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den prophetischen Worten: Philipp möge die
Rechenschaft vor Gott, den großen Stoß, den es
der evangelischen Sache bringen werde, endlich sieb
selbst, Weib und Kinder, Land und Leute bedenken
und sich von menschlicher Lieb und List und Begier
nicht überwinden lassen. „Sonst besorgen wir, es
werde Euer Liebden zur Entsetzung vom Regiment,
Verlierung und Zerreißung von Land und Leuten
dienen. Davor wird Euer Liebden niemand helfen
mögen oder können." Das war der Mann der Praxis
und des schlichten, sittlichen, christlichen Emp
findens; er traf das Richtige, sogar in der heraus
sage der Folgen. Anders die Theologen, die Philipp
in großer Zahl zu Rate zog. Zwar drei hessische
Geistliche traten ihm mutig entgegen; ihre Namen
verdienen deshalb der Vergessenheit entrissen zu
werden, Greser von Gießen, Listrius von Zmmen-
hansen und Fabricius von Kassel. Greser hatte
seinem Superintendent Adam Krafft gemeldet, die
Doppelehe deö Landgrafen errege viel Ärgernis im
Land. Krafft hatte den Nlnt, dies dem Landgrafen
vorzuhalten. Auf einer Jagd bei Gießen holte sich
der Landgraf den kühnen Pfarrer, der ihm ahnungs
los eine Bittschrift wegen der Gießener Schule
übergeben wollte, beiseite und begann mit ihm ein
Streitgespräch über die Zulässigkeit der Doppel
ehe. Dabei zog der Fürst den kürzeren. Greser be
richtet: „ich fragte ihn schließlich, ob er wolle, daß
seine Untertanen ihrem Herrn nachahmten"? Da
stutzte der Landgraf und sogte: „daß weiß ich wahr
lich nit". Ein Zahr später zog Philipp den schlag
fertigen Pfarrer auf der Zagd bei Kassel abermals
in ein langes Gespräch und empfahl ihn dem Her
zog von Sachsen als Hofprediger nach Dresden;
vielleicht um ihn los zu werden? Schlimmer erging
es dem Kasseler Pfarrer Fabriciuö, der schon im
Dienst des Landgrafen die Munsterschen Wieder
täufer, wiewohl vergeblich, selbst unter Lebensge
fahr bekämpft hatte. Der trat gegen die Doppel
ehe seines Herrn öffentlich auf, aber leider scheint
er, soweit wir bis heute hineinsehn können, das in
recht ausfahrender Weife getan zu haben, wenn ers
auch in seiner Selbstbiographie bestreitet. Denn
wir wissen, daß seine Kollegen sich öfter über seine
eitle, gehässige Art, sein Recht zu vertreten, be
schwert haben. Er hat dabei den Hofprediger Phi
lipps übel verleumdet, mußte alles zurücknehmen,
wurde entsetzt, seiner Güter beraubt und floh nach
Wittenberg. Als Melanchthon für ihn Fürbitte
bei Philipp einlegte, gab ihm Philipp sein Gut zu
rück, fügte aber hinzu: „hoffentlich betrügt er euch
in Wittenberg nicht auch". Ein dritter Pfarrer
Listrius von Zmmenhaufen hatte sich auch im Ton
vergriffen und über Margarete von der Saale
Häßliches behauptet. Ihm wurde angedroht, er
solle schweigen, sonst würde er wegen Lästerung der
Obrigkeit bestraft werden. Es gab also mutige
Pfarrer, leider waren sie nicht immer taktvoll. Daß
Philipp ernste maßvolle Kritik vertrug, zeigt sein
Verhalten gegen Greser, selbst wenn die Ver
mutung richtig sein sollte, daß er ihn weggelobt hat.
Die Mehrzahl der Theologen, so erschrocken sie
waren, vermochten ihn mit den damaligen Mät-
teln der Bibelanslegung nicht zu widerlegen. Auch
Luther nicht. Der widerriet zwar auf dringendste,
warnte vor den Folgen, mußte aber zugeben: Ver
bieten kann ich es nicht. Ähnlich haben zu jener
Zeit auch katholische Theologen wie Kardinal Ca-
jetan geurteilt. Wir fragen: Wie ist das möglich,
daß hier die Theologen weniger klar sehen als oie
Laien? Es ist die alte Erscheinung, die unsere
Gegenwart wieder so stark bestätigt, daß die Fach
leute vor lauter Theorie weniger das Richtige tref
fen als das schlichte Empfinden des Nichtfach
manns, die Beobachtung der Schiller schon in dem
bekannten Wort Ausdruck gab: Und was kein Ver
stand des Verständigen steht. . . Den Theologen
jener Zeit fehlte es noch am Blick für die geschicht
liche Entwickelung der Religion auch in der Bibel
von halb heidnischen, sittlich tief stehenden Begrif
fen zu immer reinerer Gotteserkenntniö über
Moses und die Propheten hinauf bis zn Christus.
Ihnen galt im wesentlichen noch jedes sitt
liche Urteil des Alten Testaments
als Urteil Gottes. So vermochte auch
Luther dem Philipp die Doppelehe nicht direkt zu
verbieten. „Da sie aber durchs Gesetz verboten sei,
so könne er sie ihm auch nicht erlauben. Er könne
ihm nur den geheimen Beichtrat geben, um der
hohen Not seiner Seele willen, im geheimen eine
zweite Frau zu nehmen. Gott werde ihn dann eben
so dispensieren von dem Gebot der Einehe, wie er
die Patriarchen dispensiert habe. Aber, so fügte
Luther hinzu: „ich habe nicht das Recht, wider
öffentliches und löbliches Recht ein anderes zu
setzen, ob ich gleich heimlich zur Not deö Gewissens
schuldig bin anders zu raten". Wir können da nicht
mehr mit. Luther steht eben hier noch im Bann
der katholischen Beichtpraxiö.
Rockwell, der die ganze schwere Frage sorfältig
untersucht hat, schließt mit dem vorsichtigen Urteil:
„Das sichert seinem Verhalten eine andere
Schätzung, als ihm bisher zuteil geworden ist." Das
eigentliche Unrecht Luthers und auch Philipps
scheint mehr in der niedrigen Einschätzung der Frau
zn liegen; in all ihren Erörterungen spielt die
Rücksicht auf die Frau überhaupt
keine Rolle. Aber auch hier find beide nur
Kinder ihrer Zeit.
Philipp griff gierig nach dieser halben Recht
fertigung, beredete seine erste Frau zur Einwilli
gung in die Nebenehe und ließ sich mit Margarete