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Berge und, bis in kleinste Einzelheiten, das I^etz
der Gewässer. Die Ortschaften sind bildhaft durch
Gebäudegruppen angedeutet. Aus dem LVegenetz
ist nur eine beschränkte Zahl von Zügen ausge
wählt. Besonders stark aber find Gerichts- und
Amtsgrenzen berücksichtigt.
Die Frage der Verwendbarkeit dieses Atlas für
die historisch-geographische Forschung hängt vor
allem davon ab, inwieweit er auf selbständiger Ver-
mefsungsarbeit beruht. Angeficktö der Kürze seiner
Entstehungszeit muß von vornherein mit der Be
nutzung von vorhandenen Karten als Vorlagen ge
rechnet werden. Schon Landau ist es nicht entgan
gen, daß als solche MAcators altberühmte Land
tafel gedient hat. Das ergibt sich, wie im Ein
zelnen von TL. Elasten festgestellt worden iff, schon
ans der Gleichheit der zur Unterscheidung von
Städten, Dörfern, Höfen, Schlössern und Berg
werken verwandten Zeichen, namentlich aber aus
der Übereinstimmung sehr vieler Einzelzüge des
Gewässernetzes und zahlreicher Ortsentfernungen,
die sich zum Teil völlig gleich kommen (z. B.
Sontra—TLommen, Sontra—Iftha, Roten
burg—Gerstungen, Tann—Ludwigseck). Zweifel
los hat also Schleenstein zunächst Maßstab, Pro
jektion und Grundriß der Karte M'ercatorö zu
Grunde gelegt und übernommen. Freilich wäre es
gänzlich abwegig, sein Werk mit Landau „nur
eine Copie" nach Mercator zu nennen, und zwar
schon deshalb, weil dessen Karte überhaupt nur die
eine, die östliche Hälfte deö von Schleenstein be
arbeiteten Gebietes enthält. Aber auch die aus
Mercator entnommenen Linien und Punkte hat
Schleenstein nur als Rahmen benutzt, den er dann
auf Grund einer alle Ecken und Winkel er
fassenden liebevollen Kleinarbeit selbständig auszu
füllen trachtete, wenn er auch hier und da noch
weitere kartographische Vorlagen benutzt haben
wird.
Daß er „nach dem Augenschein" — wie daö
alte Landmefserwort lautet — gearbeitet hat, geht
ja schon aus den Befichtignngsreisen hervor, für die
er das oben erwähnte Pferdegeld erhielt. Auf ihnen
mögen ihn auch seine jungen Söhne begleitet haben;
über einen von ihnen, wohl den jüngsten, hat noch
um 1750, als er Inspektor der Landmesser wer
den soll, die „Generalsteuerrectificationscommisflon"
befürwortend berichtet, daß er „seinem Vater bey
Verfertigung der Heßischen Land-Charte ge-
holffen" 14 ). Wie Schleenstein, Hand in Hand mit
einem Stabe von Landmessern, bei seiner Arbeit
im Lande vorgegangen ist, das läßt sich wenigstens
in einem Falle ganz genau erkennen. In einem der
i 4 ) Staatsarchiv Marburg: Akten des Geheimen
Rats 4364.
großen Atlasbände der alten landgräflichen Kar
tensammlung, die die Kasseler Landeöbibliothek aus
der Wilhelmshöher Bibliothek besitzt, gelang es
mir, zwei mit einander verwandte handschriftliche
Spezialkarten der Herrschaft Plesse zu finden 15 ),
die zweifellos Schleensteinö Landesaufnahme ihre
Entstehung verdanken, wenn sie auch in seinem
Kartenwerke, das die hessischen Exklaven mit Aus
nahme von Schmalkalden ausläßt, nicht verwertet
worden find. Das geht ausdrücklich aus einem an
gleicher Fundstelle mit eingebundenen eigenhändigen
„Promemoria" Schleensteins hervor 16 ). In ihm,
das leider undatiert ist, berichtet er von den Schwie
rigkeiten, die in den als Exklaven im Hannöver-
schen liegenden Ämtern Plesse und Gleichen den
hessischen „Messers", von seiten der hannöverschen
Beamten in den Weg gelegt würden, die die Grenz
züge, wie sie „die alte hessische Carte" biete, vielfach
nicht anerkennen wollten. Im Amt Gleichen sei
den „Messers" gar gesagt worden, „wie daßselbige
nicht guth davor sein könten, wan ich und sie von
denen hanoverischen Banren auff der Grentze übel
tractiret und nach Hanover gebracht würden".
Schleenstein schließt seine Ausführungen mit den
Worten: „Wird demnach hochnötig sein, dieweilen
mich dießes frühe Jahr dahin begeben und die ge
messene Herrschaftt in die Carte bringen soll, daß vie
hanoverische Unterthanen dahin gehalten werden,
mich ungehindert arbeiten zu lassen und dan vie
Bleßischen Beambten mir auch alles auf das treu-
ligste weißen und Ilntericht geben, dan außer deme
werde nicht alleine schlechte Arbeit machen, sondern
auch die darauffgehende Kosten, indeme in denen
Wirthshaeußern zehren muß, vergeblich angewendet
werden."
Man steht aus diesen Worten, wie ernst und
genau es unser Meister mit dem ihm gewordenen
Auftrag genommen hat. Es kann denn auch gar
keinem Zweifel unterliegen, daß sein TLerk, an den
Fähigkeiten der Zeit gemessen, eine kartographische
Arbeit ersten Ranges darstellt. Wohl vermag es
den Vergleich mit dem Torso der „Landtafeln"
Dilichö, auch abgesehen von dem Künstlertum, das
Jener vor ihm voraus hat, trotz seines größeren
Reichtums an Einzelheiten nicht ganz auszuhalten;
eine im Marbnrger landesgefchichtlichen Institut
von G. Wrede und W. Elasten in verschiedenen
Maßstäben hergestellte und kommentierte Umzeich-
15) „Plans von den Oertern und Gegenden in Hes
sen" II fol. 53/54.
16) Ebenso wie der „Abriß" des strittigen „Hayn-
holtzes" zwischen Rodenberg und Lauenau an der Grenze
der Grafschaft Schaumburg, den er 1712 gemeinsam
mit dem hannöverschen Ingenieur Kapitän Villers her
stellen sollte (Kriegspfennigmeistereyrechnung S. 231);
denn damals war der Atlas längst abgeschlossen.