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Dem Gedächtnis von Karl Altmüller
1865 1932.
Worte, gesprochen bei der Weihe der Gedenktafel am
i. Januar 1933 in Kassel am Hause Königstor 48.
Was wir sammeln, was wir speichern,
Mag's die Erben noch bereichern,
Einst vergeht's.
Nur der Schatz der Seelenspenden
Wächst, je mehr wir ihn verschwenden.
Jetzt und stets. (Oehmel)
Was uns heute hier zusammengeführt hat am ersten
Tage des neuen Jahres, ist tiefe Dankbarkeit und froher
Stolz. Tiefe Dankbarkeit für den Schatz der Seelen
spenden, für die Fülle geistiger, sittlicher Anregungen, die
Karl und Hang Altmüller, Vater und Sohn, uns gegeben
haben und froher Stolz, daß es unsere Mitbürger,
Söhne unserer geliebten Stadt Kassel gewesen snd.
Am heutigen 1. Januar 1933 kehrt der Geburtstag
von Karl Altmüller, „dem Dichter des Hefseuliedes",
wie auf der Gedenktafel steht, zum 100. Male wieder.
Mit diesem Liede: „In der Fremde" überschrieben, hat
sch Karl Altmüller die Unsterblichkeit in seinem Hessen
lande geschert, mit diesem Liede ist ihm ein großer Wurf
gelungen, hat er für alle Zeit die schlichteste und zu
gleich tiefste Prägung für echte Hessenart gegeben.
„Ich weiß ein teuerwertes Land,
Mein Herz ist zu ihm hingebannt,
Ich kann es nimmermehr vergessen,
Das liebe Land der blinden Hessen.
Nicht ist es sonnenreich und warm.
An Gold und Silber ist es arm;
.Reich ist es nur an tausend Schmerzen
Und an der Treue Gold im Herzen.
Wenn einstmals auf der weiten Welt
Die Treu der Klugheit räumt das Feld,
Sonst nirgend eine Ruhstatt hätte —
Das Hessenland bleibt ihre Stätte."
Oer Mann, aus dessen Seele dies Lied quoll, war ein
echter Dichter. In seinen Gedichten ist überall dieser
schlichte Herzenston, dieses ungekünstelte Empfinden,
dieses deutsche, fromme Gemüt, diese kristallklare Rein
heit. Dabei verrät er immer den Meister des vollen
deten Stils. Und ebenso kristallklar und formvollen
det sind seine Erzählungen.
Karl Altmüller, der in einzigartiger Weise die Bil
dung seiner Zeit in sch aufgenommen und mit großer
Blickweite den Horizont seiner Zeit überschaute, ja, die
ser Zeit in Vielem vorausschaute, hat noch mehr durch
diese seine besondere Art gewirkt, als durch seine im
Druck erschienenen Schriften. Er war so etwas wie
eine oberste Instanz im Heffenlande und darüber hinaus
in allen Fragen der Literatur und Kultur. Mit den
besten Köpfen seiner Zeit stand er in lebendigem Aus
tausch, mit Dingelstedt, Fontane, Gutzkow, Badenstedt,
Felix Dahn, Geibel, Hackländer, Heinrich Seidel, Ernst
Koch (dem Dichter des Prinz Rosa-Stramin), Paul
Heyse, Jul. Rodenberg, Hermann Lingg, Bogumil
Goltz, Gervinus, Sophie Junghans, Herman Grimm,
Ed. Oevrient, Ruhl, Meyerbeer, — von denen die
Meisten auch sein gastliches Haus in Kassel besucht
1833—1880 und Hans Altmüller
Von Pfarrer Karl T h e y ß
haben. Diese Namen allein geben einen Begriff von
dem llmfang seiner Interessen und der Vielseitigkeit
seiner Beziehungen. Karl Altmüller ist groß gewesen
als unbestechlicher Kritiker und Ästhetiker. Ein scharfes
Erfassen des Wesentlichen, ein untrüglicher Sinn für
das Echte und Wahrhaftige, eine adelige Gesinnung, ge
nährt an den Tischen der edelsten und bedeutendsten
Geister der Weltliteratur, machten ihn zu einem ruhen
den Pol in der Erscheinenden Flucht. So hat er auch
hier in unserer Stadt durch seine Vorträge, — und et
war ein glänzender Redner — überaus befruchtend ge
wirkt, als ein Sämann, der weit ausholend köstliche
Saatkörner oorauswarf in den Acker der Seelen.
In der Geschichte unserer Stadt bleibt er unverges
sen als der erste Direktor der M u r^ a r d -
scheu Stadtbibliothek, der er den Stempel
feines reichen, umfassenden Geistes und seines hohen
Strebeng aufgedrückt hat. Außerordentlich bedeutsam
war auch seine Wirksamkeit am Kasseler Theater
als Dramaturg. Gerade sein unbeirrbares Stil
gefühl, seine starke künstlerische Begabung, seine stete
Fühlungnahme mit den führenden Männern der Zeit,
und sein innerliches Verwurzeltsein mir den großen un
vergänglichen Meistern der Bühne befähigten ihn zu
diesem Posten in geradezu idealer Weise.
Von seiner nie rastenden, unerschöpflichen Arbeits
kraft legen Zeugnis ab die umfangreichen Arbeiten dich
terischer und literarhistorischer Art, die sich in seinem
Nachlaß finden, fein und klar geschrieben, wie der Mann
war, von dem sie stammen. Es ist nur zu hoffen, daß
es möglich sein wird, diesen Schatz noch zu heben, da
mit das Bild des Dichters und Schriftstellers sich runde
und nur umso Heller strahle.
Alles in Allem: Ein Mann, auf den die Stadt Kassel
und dag Hefsenland wohl stolz sein darf, eine prächtige
nnd glänzende Erscheinung, der wir in tiefer Dankbar
keit gegenüberstehen.
Und doch wurden alle diese herrlichen Gaben und
Fähigkeiten noch überstrahlt von dem Zauber der Per
sönlichkeit dieses seltenen Mannes. Vielleicht ist seine
allergrößte Wirkung diese persönliche gewesen, von
Mund zu Mund, von Auge zu Auge, von Herz zu Her
zen! Hinter allem, was aus seiner Feder floß und über
seine Lippe» kam, lag dieser Zauber des Persönlichen.
„Und hinter ihm in wesenlosem Scheine lag, was uns
alle bändigt, das Gemeine". Eine anima candida, eine
reine Menschenseele, ein Eharakter ohne Tadel, ein tief
frommer Mensch, ein vorbildlicher Freund, voller Ver
stehen und voller Hilfsbereitschaft.
Ergreifend die Klage seiner Mitbürger, seiner Freunde,
seiner Zeitgenossen, als dieser Mann im 47. Jahre sei
nes Lebens allzu früh abgerufen ward. Oie Hessische
Morgenzeitung rief ihm danials die unvergänglichen
Worte nach, die Goethe einst seinem Freunde Schiller
gewidmet:
Schon glühte seine Wange rot und röter
Von jener Jugend, die uns nie verfliegt.
Von jenem Mut, der früher oder später
Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt,
Von jenem Glauben, der sich stets erhöhter
Bald kühn hervordrängt, bald geduldig schmiegt,
Damit das Gute wirke, wachse, froinme.
Damit der Tag des Edlen endlich komme.