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dem Untergeschosse des Südturmeö in eine Ecke ge
stellt, wo für viele dieser Fahnen der völlige Zerfall
eintrat. Waren es auch, bei den Bannern der
einzelnen Herrschaften, nur auf schwarze Seide ge
malte Wappen, die Schäfte nur roh bearbeitet und
die Fahnenspißen roh aus Blech geschnitten, so be
sitzen wir doch nur noch sehr wenige alte Trauer
fahnen dieser Art. Am besten erhalten war noch
die Trauerfahne mit dem kurhesfischen Gesamt
wappen, die am 12. Januar 1875 anläßlich des
Heimganges des Kurfürsten Friedrich Wilhelm I.
geführt war. Nun find die letzten Stücke neu
aufgezogen und werden so in geeigneter Weise wohl'
auch für die Zukunft bewahrt. — Bemerkt soll
aber noch werden, daß wohl gute zwei Dutzend
leerer Fahnenschäfte davon zeugen, wie viel Kul
turdenkmäler dieser Art untergegangen find, weil
man um 1690 kein genügendes Verständnis dafür
aufgebracht hat.
Zum Schluß seien hier noch einige Worte ge
sagt über die bauliche Erneuerung des Kirchen-
innern, die seit jener in den neunziger Zähren des
19. Jahrhunderts die erste ist, die zugleich auch die
Mängel beseitigen will, die damals bei der Er
neuerung durch Prof. Hugo Schneider sich
eingestellt hatten. Was die Ausmalung der Kirche
betrifft, so hat man die dunkle Farbe der Wände
durch einen hellgrauen Anstrich ersetzt und nur die
Architekturteile find dunkler, sandsteingrau, gehal
ten worden. Man hofft damit eine bessere Belich
tung des Kircheninnern zu erreichen. — Die schwere
Empore im nördlichen Seitenschiff, die sich an die
Pfeiler lehnte und deren Wirkung nicht zur Gel
tung kommen ließ, ist leichter gestaltet und von den
Pfeilern zurückgesetzt, so daß diese nun frei stehen.
Da man den Raum, der durch Verkleinerung der
Empore verloren geht, nicht entbehren kann, so
wird im südlichen Seitenschiff eine gleiche Empore
neu eingefügt, doch ist diese Arbeit wohl erst für
das kommende Jahr zu erwarten. Beide Emporen
schließen sich dann der Orgelempore an, die man
auf beiden Seiten durch Anlage zweier „Nester"
für einen Sängerchor erweitert hat. Auch wird
die häßliche Lücke in der Mitte des Orgelprospektes
durch eine Vororgel geschlossen werden.
Sehr schön ist es gelungen, die Gewölbeschluß
steine wieder wirksam zu machen, besonders auch
durch Freilegung der Umfassung der Schlußsteine
des Chores, die noch vollkommen intakt waren, wäh
rend fie bei den Schlußsteinen des Mittelschiffes
teilweise gelitten hat. Erneuert wird der Kanzel
körper, während der alte, aus dem 17. Jahrhundert
stammende Schalldeckel erhalten blieb. Einer
gründlichen Erneuerung aber wurden die Glas-
fenster unterzogen. Auch hier ging man davon ans,
daß die bei der Erneuerung 1889/92 hergestellter'
bunten Glasfenster zu viel Licht vom Kirchen
innern absperrten, zumal auch die damals beschaff
ten und in der Kasseler Glasmalerei der Gebrüder
Ely hergestellten neugotischen Fenster keineswegs
mehr unserem Empfinden entsprachen. Man har
nun vollkommen neue Fenster in Antik-Glas be
schafft, wobei im Chor die Wappen der Alt-
hesstschen Ritterschaft (als Stifter) festgehalten
wurden, wie sie in den Fenstern bislang erschienen.
Sie umgeben die beiden hessischen Gesamtwappen,
jenes, wie es in den Tagen des Landgrafen Philipp
geführt wurde und daneben das Wappen des Kur-
staates Hessen, wie es von 1818 bis 1866 Staats
wappen war. Die übrigen Fenster wurden mit
symbolischen Darstellungen, den zwölf Aposteln und
Ornamenten geziert. Der entwerfende Künstler
war B ö h l a n d , während der Maler der Ber
liner Porzellan-Manufaktur, P eschel, die tech
nische Herstellung der Glasmalerei durchführte.
Die nun ausgeschalteten Fenster wurden auf
Wunsch den Stiftern wieder zugestellt, der Rest
ist auf dem Kirchenboden magaziniert worden.
Die oben schon erwähnte Altar-Mensa mit den
Skulpturen vom Hochgrabe der Herzogin Agnes
wird künftig nicht mehr unter der bisherigen hölzer
nen Verschalung stehen, vielmehr wird das schöne
Werk, das wohl der Hand eines Kasseler Stein
metzen des ausgehenden 15. Jahrhunderts ent
stammt, nun den Besuchern des Gotteshauses nicht
mehr verborgen sein.
Wenn aber am 18. Dezember der eherne Mund
der Osanna und der übrigen Glocken deö Geläutes
die Gläubigen wieder in das erneuerte Gotteshaus
ruft, dann möge man auch zugleich der Vergangen
heit der St. Martinskirche gedenken, die so eng
mit der Geschichte unseres angestammten Fürsten
hauses verbunden ist, wie fie auch verbunden ist mit
Kassels Schicksalen in guten und bösen Zeiten.
Forschungsarbeit in Universitäts-Seminaren. Privatdozem Dr. Erwin Miskemann.
Vielfach tritt heute das Bestreben hervor, die wissen
schaftlichen Forschungsinstitute von den Universitäten zu
lösen und zu verselbständigen. Daß solche aristrokratische
Isolierung der allein seligmachende Weg der Forschung
sei, kann nicht energisch genug bestritten werden. Von
jeher beruhte doch der Fortschritt der Wissenschaft ge
rade auf ihrer Verbindung mit den praktischen Lehrauf
gaben der Universität, die ja auch ihrerseits ohne stetige
Fühlung mit der Forschung unerfüllbar bleibe» würden.
Darum muß es höchstes Ziel der Hochschule sein, das
Gleichgewicht dieser ihrer beiden polaren Kräfte, der
Lehre und der Forschung, sich zu erhalten.