160
Dann sprach M e i S über die alten kirchlichen
(Einrichtungen und) Gebäude der Stadt No
te n b u r g. Oie Angaben, die (im Anschluß wohl
hauptsächlich an v. Dehn-Rotfelfer) über Rotenburger
Bauten in Wanderführcrn und dergl. gemacht werde»,
sind vielfach unzutreffend. In der — zum Altersspital
umgebauten — Skt. Gcorgskapelle glaubt der Vortra
gende, z. T. nach älteren Zeichnungen, einen Bau aus
der i. Hälfte des 13. Jahrhunderts, der Übergangs
zeit also, zu erkennen, dessen ursprünglicher Chor im ich
Jahrhundert so ausgebaut zu sein scheint, wie er setzt
noch vorhanden ist. (Reste einer Inschrift sind nicht
mehr leserlich). — An der im Frühjahr 1932 vollende
ten Wiederherstellung der St. Jakobskirche hat die
ganze Bürgerschaft sichtlichen Anteil genommen. Vordem
außen und innen wahrhaft verschandelt, ist der Bau jetzt
wieder ein ansprechendes Denkmal charaktervoller Bür
gerlichkeit geworden. Zur Baugeschichte konnte der Red
ner auf seine' Ausführungen in der Jubiläumsnummer
des „Rotenburger Tageblattes", 1931, verweisen. Merk-
würigerwcise erscheint seit dcni 19. Jahrhundert die
Nachricht, diese Kirche sei 1352 errichtet; man hält in
Rotenburg hartnäckig an diesem Datum fest und glaubt
sogar auf Urkunden darüber verweisen zu können. Meis
wieg nach, daß diesem Datum schon die fast durchweg
spätgotischen Bauformen widersprachen, und daß die ur-
knndlichen Nachrichten zweifellos mißverstanden sind x ).
C'S handelt sich dabei offenbar um die Urkunden, die
Landgraf Heinrich II. (am 7. Dezember 1332) und Erz
bischof Gerlach von Mainz (am 30. August 1333)
wegen der Gründung des Rotenburger Kollegialstiftes
ausgestellt haben. Ausdrücke wie „collegium institue
re, erigere et dotare“ — „ecclesiae collegiatae . . .
ab Henrico . . . lundatae“ — „ecclesiam parochia-
lem ... in ecclesiam pro instituendis quattuordecim
canonicis . . . erigimus, instituimus, sublevamus . .
sind fälschlich nicht auf die Umwandlung der alten
Pfarrkirche zur Stiftskirche, sondern auf einen Neubau
bezogen worden. Tatsächlich wurde sa das Stift 1356
in die Neustadt verlegt mit dem ausdrücklichen Auf
trag, dort eine neue Kirche zu bauen, da die Altstädter
Pfarrkirche nicht genügte. Die neue Kirche, 1370 be
gonnen, wurde die großartige Hallenkirche zu St. Maria
und Elisabeth, der die Restaurierungskunst des vorigen
Jahrhunderts so übel mitgespielt hat.
Widersprechen mußte der Vortragende aber auch dem
verehrten Freunde Rotenburgs, Herrn Justizrat Eck-
hardt-Witzenhausen, der im Turm der Jakobskirche ein
„rein romanisches" Bauwerk sieht. (Dgl. „Hessenland"
1931, S. 331; „Mitteilungen" 1930/31, S. 40 - Un
widerleglich hat die — durch einen Aufbruch festgestellte
— Tatsache, daß sich das Gesiins des anstoßendep spät
gotischen Chores noch unter der Turmwand fortsetzt, be
wiesen, daß der Turm später ist als der Chor, daß es
sich bei den Rundbogenfenstern und dem Rundbogenfries
des Turmes um spätgotische oder Renaissanreformen
handelt, ist auch die Überzeugung von Dr. Ganßauge,
der in der „Kasseler Post" vom 3. Juli 1932 die Alt
städter Kirche behandelt hat.
Von kirchlichen Einrichtungen in Rotenburg ist außer
einer Augustinerterminei (1343) und dem aus der Neu
stadt an die Georgskapelle verlegten Elisabethen-Hospi-
tal ein Hospital zu Skt. Nikolaus zu erwähnen, das,
wie der Flurname beweist, unterhalb des heutigen Fried
hofs über der alten Kasseler Landstraße gelegen hat.
1) Ganz unverständlich ist auch die Angabe in Dehio's
„Handbuch der Kunstdenkmäler", die Kirche sei „be
zeichnet 1932".
Vgl. dazu die Ausgabe des von Melsungen nach HerS-
feld reitenden Landgrafen Ludwig II.: „Den siechen vor
Rodenberg eynen bch.", 31 August 1430, (siche Küch,
„Zeitschrift" 43 , S. 202). Wenn 1870 nicht weit von
der Stelle dieses Siechenhauses ein „Blatternhaus" für
Pockenkranke errichtet wurde, so spricht dabei oielleicht
eine bemerkenswerte Tradition mit. — Ungewiß ist, ob
aus der 1338 vorkommenden Bezeichnung" bei dem Tön-
nigesheußigen" auf eine Niederlassung der Antonitar
geschlossen werden kann. — Die Ausführungen wurden
durch Lichtbilder unterstützt.
Zu den Veranstaltungen des Geschichtsvereins können
zwei Abende gerechnet werden, zu denen formell der
„Bürger- und Verkehrsoerein" eingeladen hatte. Wäh
rend sonst dem Geschichtsverein ein Raum der Jakob
Grimm-Schule zur Verfügung steht, fanden diese Abende
vor einem größeren Kreise im Hotel „Engel" statt.
Hier sprach Meis am 30. Mai 1932 über „R 0 -
tenburger Straßen- und Flurname n".
Ein Salbuch von 1338, sowie kirchliche Zinsregister aus
dem 17. und der Stadtplau aus dem 18. Jahrhundert
dienten ihm dazu, die damaligen Namen mit den heu
tigen zu vergleichen und die Flurnamen in vorsichtigster
Weise z. T. zu deuten. Bei der Erklärung der Stra
ßennamen ergab sich von selbst eine Schilderung städti
schen Lebens und Treibens. (Verschwunden ist n. a.
eine Straßenbezeichnung, die 1538 und 1600 als „Gro-
bengaste", 1630 als „Grubengasse" vorkommt und heute
im Dolksmunde als „Gräbergasse" weiterlebt).
Am 12. Dezember 1932 sprach Dr. Schellhase über
die Geschichte der Landschaft an der
mittleren Fulda. Nach einem Hinweis auf die
Duellen, die sich für die Geschichte der Landschaft um
Bebra und Rotenhurg verwerten lassen, ging der Vor
tragende zunächst auf einzelne Fragen ein; u. a. er
wähnte er den Karmelitermönch „Theodericus de Roden
berg", der i 443 in Kassel Lesemeistcr war, und gab eine
kurze Geschichte der Familien Stückradt, 0. Stnckrad,
deren Ursprung in der Wüstung Stöckerode bei Nieder
gude zu suchen ist. Ein Längsschnitt brachte die Vorge
schichte, Gaugeschichte, Siedlungsgeschichte, Geschichte
der Wüstungen, Straßen- und Verkehrggeschichte und
die Territorialgeschichte der Landschaft an der mittleren
Fulda; eine Anzahl Lichtbilder förderte das Verständnis
für die behandelten Fragen. Eingehender wurden die
ältesten Grenzbeschreibungen ans dem Gebiete des Krei
ses Rotenburg betrachtet. Aus dem umfänglichen Ma
terial wurden ausgewählt die Eherinevirstgrenze von
1003, die Grenze der Rotenburger Burgfreiheit von
1388, die Ulfener Gerichtsgrenze von 1432, die Ger-
stunger Markgrenze von etwa 1450, die Grenze an der
Iburg zwischen den v. Trott und der Gemeinde Iba
und die neue Sontraer Amtsgrenze von 1649. Einige
Proben aus den Driginalen und kulturgeschichtliche Be
trachtungen schlossen dieses Kapitel ab.
Am 30. Januar 1933 endlich hatte der Ge-
schichtsverein die Freude, daß Studienrat Schmidt-
Hcrsfcld ihnen den genußreichen Lichtbildcrvortrag
wiederholte, den er auf der vorjährigen Hauptversamm
lung in Hersfeld gehalten hatte. (Vgl. „Mitteilungen"
1931/32, S. 3: „Hefsenland" 1932, S. 129). Bilder
aus dem Kreise Rotenburg ergänzten und , er
weiterten die Vorführungen von „V 0 l k g k u n st im
Kreise H e r s f e l d". Wenn auch gerade an diesem
Abend die unmittelbarste Gegenwart, die deutsche Schick
salswende ihr Recht forderte und begreiflicherweise nur
wenige Getreue erschienen waren, so werde» doch die
Anregungen dieses Abends gerade im Sinne des neuen
Deutschland nicht verloren sein.