Full text: Hessenland (44.1933)

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Dann sprach M e i S über die alten kirchlichen 
(Einrichtungen und) Gebäude der Stadt No 
te n b u r g. Oie Angaben, die (im Anschluß wohl 
hauptsächlich an v. Dehn-Rotfelfer) über Rotenburger 
Bauten in Wanderführcrn und dergl. gemacht werde», 
sind vielfach unzutreffend. In der — zum Altersspital 
umgebauten — Skt. Gcorgskapelle glaubt der Vortra 
gende, z. T. nach älteren Zeichnungen, einen Bau aus 
der i. Hälfte des 13. Jahrhunderts, der Übergangs 
zeit also, zu erkennen, dessen ursprünglicher Chor im ich 
Jahrhundert so ausgebaut zu sein scheint, wie er setzt 
noch vorhanden ist. (Reste einer Inschrift sind nicht 
mehr leserlich). — An der im Frühjahr 1932 vollende 
ten Wiederherstellung der St. Jakobskirche hat die 
ganze Bürgerschaft sichtlichen Anteil genommen. Vordem 
außen und innen wahrhaft verschandelt, ist der Bau jetzt 
wieder ein ansprechendes Denkmal charaktervoller Bür 
gerlichkeit geworden. Zur Baugeschichte konnte der Red 
ner auf seine' Ausführungen in der Jubiläumsnummer 
des „Rotenburger Tageblattes", 1931, verweisen. Merk- 
würigerwcise erscheint seit dcni 19. Jahrhundert die 
Nachricht, diese Kirche sei 1352 errichtet; man hält in 
Rotenburg hartnäckig an diesem Datum fest und glaubt 
sogar auf Urkunden darüber verweisen zu können. Meis 
wieg nach, daß diesem Datum schon die fast durchweg 
spätgotischen Bauformen widersprachen, und daß die ur- 
knndlichen Nachrichten zweifellos mißverstanden sind x ). 
C'S handelt sich dabei offenbar um die Urkunden, die 
Landgraf Heinrich II. (am 7. Dezember 1332) und Erz 
bischof Gerlach von Mainz (am 30. August 1333) 
wegen der Gründung des Rotenburger Kollegialstiftes 
ausgestellt haben. Ausdrücke wie „collegium institue 
re, erigere et dotare“ — „ecclesiae collegiatae . . . 
ab Henrico . . . lundatae“ — „ecclesiam parochia- 
lem ... in ecclesiam pro instituendis quattuordecim 
canonicis . . . erigimus, instituimus, sublevamus . . 
sind fälschlich nicht auf die Umwandlung der alten 
Pfarrkirche zur Stiftskirche, sondern auf einen Neubau 
bezogen worden. Tatsächlich wurde sa das Stift 1356 
in die Neustadt verlegt mit dem ausdrücklichen Auf 
trag, dort eine neue Kirche zu bauen, da die Altstädter 
Pfarrkirche nicht genügte. Die neue Kirche, 1370 be 
gonnen, wurde die großartige Hallenkirche zu St. Maria 
und Elisabeth, der die Restaurierungskunst des vorigen 
Jahrhunderts so übel mitgespielt hat. 
Widersprechen mußte der Vortragende aber auch dem 
verehrten Freunde Rotenburgs, Herrn Justizrat Eck- 
hardt-Witzenhausen, der im Turm der Jakobskirche ein 
„rein romanisches" Bauwerk sieht. (Dgl. „Hessenland" 
1931, S. 331; „Mitteilungen" 1930/31, S. 40 - Un 
widerleglich hat die — durch einen Aufbruch festgestellte 
— Tatsache, daß sich das Gesiins des anstoßendep spät 
gotischen Chores noch unter der Turmwand fortsetzt, be 
wiesen, daß der Turm später ist als der Chor, daß es 
sich bei den Rundbogenfenstern und dem Rundbogenfries 
des Turmes um spätgotische oder Renaissanreformen 
handelt, ist auch die Überzeugung von Dr. Ganßauge, 
der in der „Kasseler Post" vom 3. Juli 1932 die Alt 
städter Kirche behandelt hat. 
Von kirchlichen Einrichtungen in Rotenburg ist außer 
einer Augustinerterminei (1343) und dem aus der Neu 
stadt an die Georgskapelle verlegten Elisabethen-Hospi- 
tal ein Hospital zu Skt. Nikolaus zu erwähnen, das, 
wie der Flurname beweist, unterhalb des heutigen Fried 
hofs über der alten Kasseler Landstraße gelegen hat. 
1) Ganz unverständlich ist auch die Angabe in Dehio's 
„Handbuch der Kunstdenkmäler", die Kirche sei „be 
zeichnet 1932". 
Vgl. dazu die Ausgabe des von Melsungen nach HerS- 
feld reitenden Landgrafen Ludwig II.: „Den siechen vor 
Rodenberg eynen bch.", 31 August 1430, (siche Küch, 
„Zeitschrift" 43 , S. 202). Wenn 1870 nicht weit von 
der Stelle dieses Siechenhauses ein „Blatternhaus" für 
Pockenkranke errichtet wurde, so spricht dabei oielleicht 
eine bemerkenswerte Tradition mit. — Ungewiß ist, ob 
aus der 1338 vorkommenden Bezeichnung" bei dem Tön- 
nigesheußigen" auf eine Niederlassung der Antonitar 
geschlossen werden kann. — Die Ausführungen wurden 
durch Lichtbilder unterstützt. 
Zu den Veranstaltungen des Geschichtsvereins können 
zwei Abende gerechnet werden, zu denen formell der 
„Bürger- und Verkehrsoerein" eingeladen hatte. Wäh 
rend sonst dem Geschichtsverein ein Raum der Jakob 
Grimm-Schule zur Verfügung steht, fanden diese Abende 
vor einem größeren Kreise im Hotel „Engel" statt. 
Hier sprach Meis am 30. Mai 1932 über „R 0 - 
tenburger Straßen- und Flurname n". 
Ein Salbuch von 1338, sowie kirchliche Zinsregister aus 
dem 17. und der Stadtplau aus dem 18. Jahrhundert 
dienten ihm dazu, die damaligen Namen mit den heu 
tigen zu vergleichen und die Flurnamen in vorsichtigster 
Weise z. T. zu deuten. Bei der Erklärung der Stra 
ßennamen ergab sich von selbst eine Schilderung städti 
schen Lebens und Treibens. (Verschwunden ist n. a. 
eine Straßenbezeichnung, die 1538 und 1600 als „Gro- 
bengaste", 1630 als „Grubengasse" vorkommt und heute 
im Dolksmunde als „Gräbergasse" weiterlebt). 
Am 12. Dezember 1932 sprach Dr. Schellhase über 
die Geschichte der Landschaft an der 
mittleren Fulda. Nach einem Hinweis auf die 
Duellen, die sich für die Geschichte der Landschaft um 
Bebra und Rotenhurg verwerten lassen, ging der Vor 
tragende zunächst auf einzelne Fragen ein; u. a. er 
wähnte er den Karmelitermönch „Theodericus de Roden 
berg", der i 443 in Kassel Lesemeistcr war, und gab eine 
kurze Geschichte der Familien Stückradt, 0. Stnckrad, 
deren Ursprung in der Wüstung Stöckerode bei Nieder 
gude zu suchen ist. Ein Längsschnitt brachte die Vorge 
schichte, Gaugeschichte, Siedlungsgeschichte, Geschichte 
der Wüstungen, Straßen- und Verkehrggeschichte und 
die Territorialgeschichte der Landschaft an der mittleren 
Fulda; eine Anzahl Lichtbilder förderte das Verständnis 
für die behandelten Fragen. Eingehender wurden die 
ältesten Grenzbeschreibungen ans dem Gebiete des Krei 
ses Rotenburg betrachtet. Aus dem umfänglichen Ma 
terial wurden ausgewählt die Eherinevirstgrenze von 
1003, die Grenze der Rotenburger Burgfreiheit von 
1388, die Ulfener Gerichtsgrenze von 1432, die Ger- 
stunger Markgrenze von etwa 1450, die Grenze an der 
Iburg zwischen den v. Trott und der Gemeinde Iba 
und die neue Sontraer Amtsgrenze von 1649. Einige 
Proben aus den Driginalen und kulturgeschichtliche Be 
trachtungen schlossen dieses Kapitel ab. 
Am 30. Januar 1933 endlich hatte der Ge- 
schichtsverein die Freude, daß Studienrat Schmidt- 
Hcrsfcld ihnen den genußreichen Lichtbildcrvortrag 
wiederholte, den er auf der vorjährigen Hauptversamm 
lung in Hersfeld gehalten hatte. (Vgl. „Mitteilungen" 
1931/32, S. 3: „Hefsenland" 1932, S. 129). Bilder 
aus dem Kreise Rotenburg ergänzten und , er 
weiterten die Vorführungen von „V 0 l k g k u n st im 
Kreise H e r s f e l d". Wenn auch gerade an diesem 
Abend die unmittelbarste Gegenwart, die deutsche Schick 
salswende ihr Recht forderte und begreiflicherweise nur 
wenige Getreue erschienen waren, so werde» doch die 
Anregungen dieses Abends gerade im Sinne des neuen 
Deutschland nicht verloren sein.
	        

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