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Ein Brief Heinz von Luders von 1558. Von Karl Knetfck.
Heinz von LüderS Persönlichkeit ist unö heute
ihrem wahren Inhalt und Wert nach ziemlich ge
nau bekannt. Auch nach Entfernung des Sagen
haften, das wie bei jedem volkstümlichen Mann in
der Erinnerung der Nachwelt sich sehr bald nach
seinem Tode an ihn geheftet hat, ist doch soviel
Liebenswertes an dem alten hessischen National
helden aus der Umgebung Landgraf Philipps ge
blieben, daß wir ihn als einen typischen Vertreter
des deutschen Reformationszeitalters, einen from
men biedern Diener seines Herrn von absoluter
Treue und Zuverlässigkeit, mit besonderer hessischer
Färbung, ansehen dürfen, der aus der kirchlichen
Geschichte Hessens des 16. Jahrhunderts nicht
wegzudenken ist. H Von einem solchen NLanne muß
man auch kleine anekdotenhafte Züge aufbewah
ren, die das Bild feines Wesens noch zu ergänzen
geeignet find. Deshalb drucke ich hier einen Brief
von ihm an Landgraf Philipps ältesten Sohn und
späteren Nachfolger Wilhelm (IV.) ab. Er ist
aus der Zeit, da der Hauptmann zu Ziegenhain
Heinz von Lüder den jüngsten Bruder Wilhelms,
Georg, der 1567 Landgraf in Darmstadt wurde
und bereits 1596 gestorben ist, zu betreuen hatte.
Georg ist am 10. Sept. 1547 geboren, zur Zeit als
fein Vater bereits in der Gefangenschaft war. Da die
NPutter früh starb (1549), kam das jüngste Kind
Philipps zur Erziehung an den Sächsischen Hof
und konnte erst nach der Befreiung des Landgra
fen 1552 dem Vater, der den Knaben überhaupt
noch nicht gesehen hatte, wieder zugeführt werden.
Ende der 1550er Jahre wurde Georg nach Zie
genhain geschickt, wo er in Gesellschaft von 10
jungen Edelleuten gleichen Alters unter der Lei
tung von Johann Hund und Guntram Schenck zu
Gchweinsberg bis zum Jahre 1561 erzogen
wurde?) Johann Buch, der spätere erste Bibliothe
kar der Kasseler Bibliothek, erteilte ihm Unter
richt in Sprachen, Geschichte und Religion. Spä
ter kam er dann nach Marburg. Von Georgs
Erziehung erzählt Rommel in seiner hessischen Ge
schichte auf Grund von Wilhelm Buchs Chronik
ein paar lustige Geschichtchen 3 ). Daß er unter
Johann Buchs Leitung gute Fortschritte in den
Wissenschaften gemacht hat, geht aus einem lateini
schen Briefchen hervor, das er 1558 aus Ziegen
hain an seinen großen Bruder Landgraf DÄlhelm,
der wie ein Vater für ihn sorgte, schrieb und worin
1) Vgl. K n e t s ch , Heinz von Lüder, im Jahrbuch
Hessenkunst 1922 und 1926.
2) Steiner, Georg I. Landgraf von Hessen-
Oarmstadt, 1861, S. 2.
3) Rommel, Hess. Geschichte, Band 4 , S 377
und Anm. Nr. 202, Bd. 6, S. 85.
der Elfjährige dem Landgrafen Wilhelm, wenn
auch nicht gerade in klassischem Latein, zu verstehen
gab, daß er ihn nicht wieder wie das Jahr zuvor
mit dem Neujahrsgeschenk vergessen solle, und worin
er den Wunsch andeutete, aus der Ziegenhainer
Tretmühle bald an den Hof nach Kassel zurückge
rufen zu werden. Im Begleitschreiben geht Heinz
von Lüder nickt ohne Humor auf den Ton des jun
gen Herrn, der ihm als oberstem hessischen Diener
in der Festung Ziegenhain anvertraut war, ein.
Merkwürdig ist die Schreibart von Heinz. Er
schreibt hier wie in allen seinen Briefen Leutter
und meint Luetter, feurstlich statt fuerstlich, ge-
heorsam statt gehoersam, Brender statt Brneder,
beheolflichen statt behoelflichen, seol statt soel, be-
deungk statt beduengk. — Die eigenhändigen Briefe
des Heinz von Lüder und des jungen Landgrafen
Georg lauten I:
Deurchleuchtiger hochgeborner feurst,
euern feurstlichcn gnaden sein mein ganz underdenich willigk
und geheorsamen dinst zun aller zeit zuvor, g. f. und her,
uff e. f. g. schreiben an mich gedan, daß ich e f. g brender
lantgrast Jorgen ein brist zu ladtein an e. f. g. jchriben
seol, und daß im nimandt darzu beheolflichen fein seol etr.,
dem hab ich also gedan und bin bey s. g. gesesen, daß er
disen hibey ingelegtten brist mit eigener handt gcschriben,
und hat im keiner oder imant geholfen und radtt zu dem
ladtein geben, nun las ich mich bedeungk, wie wol ichß
nicht vorsthe, es sey zu seinem alter eyn gudt anhebenS
etc., e f. g. welen seiner nicht vorgesen mit dem neuen jar,
alß vor eim jar geschehen ist etc., s. g. ist ein acht dage
am lendenstein schwach gewesen, aber Gott hat sein genadt
geben, daß eß beser mit s. g. worden ist etc., wan eim-
beckisch bir vorhanden wer und hett im e. f. g. ein don al-
her geschcgkt etc., daß e. f. g. hab ich nicht seolen vorhal
ten und bevel mich e. f. g. hmit underdencklichen etc.
Datum den 20. dezembris ano 38.
E. f. 9. '
w. diner
Heinz vonn Leutther SSt.
Nobeli et praeclaro viro Henrico Lutere Praefecto
Zigehanie singulari amico.
8. P. D.
Praefecte Clarissime familiaris, Quemadmodum ä
me petijsti, ut meo fratri Wilhelmo Argumentum
ex meo ingenio scribere vellem, Nihil hac vice
habeo quam quod praesens tempus monet, Nam
non ignoras Calendas Januarias adesse, Etiam atque
etiam te rogo velis adhortari meum fratrem ut mei
etiam memor esse velit, quemadmodum superiore
anno non factum est. Porro velis scribere meo fratri,
me velle adhibere operam discendo, ut ex pistrino
liberatus ad eum in suum novum palastrium venire
possem. Vale.
Georgius L. Hassiae.
4 ) Staatsarchiv Marburg: Hesten-Darmstädt. Perso
nalien 1538—1571.