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Hausen 1815 und 1818 schon Zeichnungen von
Willingshänser Bauern und Willingshänser
Landschaft gezeichnet. Gerhard von Reutern, der
ein sehr feiner Bildnismaler war und auch Ge
mälde religiösen Inhalts geschaffen hat, wurde
in Willingshausen durch die malerische Tracht
der Schwälmer und durch deren Leben zu einer
großen Anzahl von Gemälden angeregt, die er,
wie auch seine anderen Gemälde der kaiserlich-
russischen Familie zur Verfügung stellte als Dank
für den Ehren-Gehalt, den diese ihm gab. Auf
diese Weise kam auch eine Anzahl Willingshänser
Bilder in die Eremitage zu Petersburg.
1825 machte Reutern mit dem Professor an der
Kasseler Kunstakademie Ludwig Emil Grimm, dem
Bruder von Jakob und Wälhelm Grimm, Land
schaftsstudien in !Willingöhausen, auch 1826 und
1627 arbeitete er wieder dort. 1828/29 entstan
den in Willingshausen u. a. folgende Agnarellbil-
der: i von ReuternS Schwager Fritz von Schwert
zell auf der Jagd im freien Feld. 2. Der Saal
im Willingshänser Schloß mit den vier Kindern.
3. Taufpaten in Schwälmer Tracht (Lisbeth
Damm). 4 - Hochzeitsgäste (gefchappelt: Anne
Kathrine Ort und Johann Riebeling). 3. Ein
Trauerzug (Paul Dörr mit Frau und Tochter).
6. Metropolitan Schanz aus Ziegenhain traut in
der Willingshänser Kirche Ludwig Dörr mit
Trinchen Neusel. Auch mehrere Landschaften ent
standen in dieser Zeit, darunter eine Federzeich
nung: alte Hute-Eichen, welche sich im Goethehaus
in 8Deimar befindet. Später folgten noch viele
Willingshänser Bilder, von denen die „Hansan-
dacht einer bäuerlichen Familie", „Schwälmerin
am Brunnen", „Ein seine Schafe hütender Schä
fer", „Strickendes 8Vädchen", „8Vntter mit
schlafendem Kind auf dem Arm" hier genannt
seien.
Ludwig Emil Grimm hatte Reutern öfter nach
Willingshausen begleitet und ihm mit seinem Rat
zur Seite gestanden.
1833 Reutern nach Düsseldorf übergesie-
delt, wo er Schüler von Theodor Hildebrand
wurde. Von dort kam mit ihm 1841 zum ersten
mal Jakob Fürchtegott Dielmann (geb. 1609 in
Sachsenhansen, gest. 1883 in Frankfurt a. 8V.)
nach Willingshausen, dessen Schaffen fiir die Ent
wicklung des Dorfes zum deutschen Studienplatz
bedeutungsvoll wurde. Reutern lebte abwechselnd
in Rußland, Deutschland, der Schweiz und
Italien. In Deutschland vor allem in Kassel,
Düsseldorf und Frankfurt a. 8V. Er starb am
22.8Värz 1863 zu Sachsenhansen, wo er auch
begraben wurde. Ausfübrliche 8Vitteilnngen iiber
G. von Reutern find in seinem „Lebensbild, darge
stellt von seinen Kindern" (als 8Vanuskript ge
druckt) zu finden.
Später schrieben iiber G. von Reutern: Dr.
Otto Berlit, Hersfeld, im Jahrgang 1919 der
Hefsenkunst „Gerhard von Reutern, der erste Wil
lingshänser 8Valer", ferner Direktor Dr. Wil
helm Schoof, Hersfeld im Hefsenland 1932,
Hefte 3—6, „Gerhard von Reutern und seine
Beziehungen zu Goethe", und Walter Cohen:
„Oberst von Reutern" in „Hundert Jahre A.
8Varcus und E. Vvebers Verlag", Bonn 1918.
So war durch G. von Reutern, den zunächst
nur verwandtschaftliche Beziehungen nach Wil
lingshausen geführt hatten, der dann aber 8Valer
geworden befreundete 8Valer ans Kassel, Düssel
dorf und Frankfurt mit nach Willingshausen
brachte, dieses Dorf einer der frühesten deutschen
8Valer-Studienplätze geworden.
Was Reutern und die meisten Künstler, die
nach ihm nach Willingshausen kamen, zur Dar
stellung reizte, waren in erster Linie die 8Venschen,
die Bauern, und danach erst die Landschaft.
Überall in deutschen Landen ist und war, beson
ders früher, der Bauer eine urwüchsige, kraftvolle
Erscheinung, aber nicht überall wurde er Gegen
stand künstlerischer Darstellung. Daß dies im Ge
biet der Schwalm ganz besonders stark der Fall
wurde, liegt zum Teil an heimatlichen Beziehun
gen der Künstler zu Hessen, vor allem aber daran,
daß der Stamm der Schwälmer in seiner Abge
schlossenheit sich seine knorrige Eigenart stark be
wahrt hatte, daß er treu an alten Sitten und
Gebräuchen hing und nicht zuletzt, daß seine
malerische Bauerntracht, die, besonders bei den
8Vännern, im Schnitt der fast aller deutschen
Bauern ähnelte, mehr als in anderen Gegenden
Hessens und Deutschlands überhaupt sich seit lan
ger Zeit unverändert erhalten hatte und so beschaf
fen war, daß in ihr sowohl Ernst wie Heiterkeit,
tiefste Trauer und höchste Lust und Freude durch
Form und Farbe stärksten Ausdruck fanden.
8Van nmß zu den Bildern ReuternS zurück
gehen, um zu sehen, wie ungemein reich die Tracht
der Schwälmer bis über die 8Vitte des vorigen
Jahrhunderts hinaus gestaltet war. Prächtig er
scheinen die Köpfe der 8Vänner mit dem lang bis
über die Schultern herabwallenden Haar, wie man
es in ganz vereinzelten Fällen noch vor etwa zwan
zig Jahren bei den ältesten 8Vännern fand. Wie
festlich heiter war bei 8Vädchen der Schmuck der
langen farbigen seidenen Bänder, die an silbernem
Gürtel befestigt, über den Rock, ihn fast ganz be
deckend, herunter fielen, und wie frisch sahen 8Vän-
ner und Burschen auch am Alltag ganz in weiß
gekleidet mit roter oder blauer Weste aus, so wie