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Dann sprach Pfarrer Wessel aus Balhorn über
die Geschichte eines schönen vergoldeten Abendmahls
kelches mit Patene aus seiner Gemeinde, indem er zu
gleich beide Stücke vorwies. Sie tragen beide slavische
Anschriften, die sich auf ihre Stiftung beziehen und die
man lange nicht zu deuten wußte. Nun wurde aber
durch umfangreiche Forschungen festgestellt, daß die
Ctifterin ursprünglich in der heute protestantischen Ge
meinde Rothemann in Steiermark beheimatet gewesen
ist, eine Tochter der Familie Hofmann von Sternau, die
schon im i 6 . Jahrhundert eine merkwürdige Beziehung
zu Hesten aufweist, indem einer von ihr als Rat König
Ferdinands I. auf den Abschluß des Friedens von Ka
den hinwirkte, durch den der Feldzug des Landgrafen
Philipp nach Württemberg und die Wiedereinsetzung
des Herzogs Ulrich dort 1534 legalisiert wurde. Oie
Stifterin des Kelches heiratete in erster Ehe einen Gra
fen Dohna, in zweiter einen mährischen Adeligen, von
Zirotin. Dieses Geschlecht, das auch dem „Winter
könig" Friedrich von der Pfalz angehangen hatte, verlor
seine Besitzungen und nur Anna von Zirotin, eine sehr
energische Dame, erlangte teilweise Wiedereinsetzung,
auch die Gewährung der protestantischen Religionsübung.
Oie ersten Nachrichten über den Kelch gehen auf das
Jahr 1638 zurück, als ein Bote von Balhorn ihn aus
Kastei abholte. Da um diese Zeit, für 1635, ein Herr
von Zirotin im hessischen Heere als Hauptmann diente,
damals in Bocholt in Garnison stehend, so wäre es nicht
unmöglich, daß er jenen Kelch verkauft habe, nachdem
er ihn aus seiner mährischen Heimat mitgebracht. Auch
wäre noch ein zweiter Weg denkbar über die in
hessische Dienste getretene schlesische, vordem auch mäh
rische Familie Kunowitz, die big 1700 in Kastei vertre
ten war. — Jedenfalls eröffneten die Forschungen über
den schönen Kelch ein weites Feld der Ausblicke auf
hessische Beziehungen, die man sonst wohl kaum beach
tet hätte. — Eine rege Aussprache schloß sich an, wobei
besonders noch der Familie Kunowitz gedacht wurde, die
den Sensenstein als Lehen innehatte.
Dann bekam Dr. H 0 f m a n n das Wort zu einem
Vortrage über hessische Gasthausschilder. Er knüpfte
an seine Ausführungen vom Dezember an, erinnerte noch
einmal an die Herkunft der Ausschankzeichen, dann an
die Hausmarken, die statt der Hausnummern früher die
Häuser kennzeichneten. Im allgemeinen sind ja die Gast
hausschilder alter Prägung aus dem Bilde von Kassel
verschwunden. Stücke in den Sammlungen des Hessi
schen Landesmuseums gehen nur bis auf den Anfang des
19. Jahrhunderts zurück und die heute vorhandenen sind
meist ohne besonderen Charakter. Oer Untergang der
„Nasenschilder" geht wohl auf polizeiliche Eingriffe zu
rück, — Redner schilderte dann, was im Museum und
in den Straßen noch vorhanden, gedachte des gegen
wärtigen „Wilden Mannes" in der Leipziger Straße und
des alten „Wilden Mannes" in der Wildemannsgaste,
des „Goldenen Helm" am Altmarkt (Judenbrunnen)
und verschiedener Wirtshauszeichen in anderen hessischen
Städten, so Hanau und Frankenberg. Redner versprach
auch nach Durchführung der Bestandsaufnahme in Hes
sen das noch vorhandene Material im Bilde vorzufüh
ren. — In der anschließenden Diskussion gedachte Zoll
direktor Woringer des „Roten Mantels" vor dem Leip
ziger Tore, Volkswirt Jacob, erinnerte an den auf Miß
verständnis beruhenden Wirtshausnamen „Zur Fichte"
in der Fichtenstraße, erzählte eine Geschichte aus dem
„Goldenen Helm" und eine Mystifikation, die vor
etwa 20 Jahren mit dem „Stern" zu Hersfeld sich er
eignete und die auch einen literarischen Niederschlag gefun
den. Privatmann Wentzell gab noch den Wortlaut einer
alitterierenden Wirtshaustafel zum Besten.
Nun sprach Lehrer H 0 r w i tz über Johannes
von M ü l l e r, besten Grabmal auf dem alten Kaste-
ler Friedhof (Lutherplatz) steht. Er war am 3. Januar
1751 als Sohn eines Pfarrers zu Schaffhausen in der
Schweiz geboren, wandte sich zunächst dem Studium der
Theologie zu, ging dann aber zu dem der Geschichte über,
kam 1781 nach Berlin, wo ihn Friedrich II. angezogen
hatte, zu dem er aber wenig Beziehungen finden konnte.
Bald darauf sehen wir ihn als Lehrer für Statistik am
Collegium Carolinum zu Kassel, mehr aber noch als mit
seiner Disziplin mit Geschichtsforschung beschäftigt. Von
Kastei ging sein Weg nach Wien, wo er unter Joseph II.
arbeitete und von diesem den Adel verliehen erhielt.
Später gelangte er wieder nach Berlin in die Akademie
der Wissenschaften und hier traf er 1806 mit Napoleon
zusammen, der den Gelehrten trotz anfänglichen Sträu-
bens für sich gewann. Bei der Gründung des König
reichs Westphalen wurde Müller zum Minister des
Äußeren bestellt, aber so wenig er praktische Erfahrun
gen in der Diplomatie hatte, so wenig versuchte er auch
nur, sich einzuarbeiten und war während der kurzen Zeit
seines Amtes imnier nur mit Archivalien umgeben zur
Förderung seiner wissenschaftlichen Arbeiten. Dies be
richtete auch sein Freund Reinhardt, der kaiserliche Ge
sandte in Kassel, nach Paris. Müller wurde dann Chef
der Ilnterrichtsverwaltung und hat hier bei Unruhen an
der Universität Göttingen Gutes zur Befriedung zu
leisten vermocht, suchte auch den Abbau der Universitä
ten hintan zu halten, vermochte aber nur Marburg,
Göttingen und Halle zu retten, während Rinteln, Helm
stedt und Paderborn geopfert werden mußten. Müller
rieb sich im Kampfe mit den kulturfeindlichen Jnteresten
des Königs auf, der auch seinen Tod nicht bedauerte.
Oer Minister Simeon hielt ihm bei der Beisetzung eine
französische Gedenkrede, später aber stiftete dar
bayerische König Ludwig I. jenes Denkmal, das heute
etwas versteckt noch steht. Ein literarisches Denkmal
aber hatte ihm schon Schiller im „Tell" gesetzt, dort,
wo der Bericht von der Ermordung des Königs Albrecht
gegeben wird. — Mit Worten des Dankes schloß dann
der Vorsitzende den Abend.
Im Rahmen der Kasseler kulturellen Arbeitsgemein
schaft sprechen am 21. Januar 1932 Dr. Zeh aus
Oarmstadt über das Osebergschiff, am 23. Februar 1932
Dr. von Mastow über den Pergamonaltar.
Am Donnerstag, n. Februar 1932, hielt im Rahmen
der Kulturellen Arbeitsgemeinschaft der Konservator der
Kunstdenkmäler Or.-Jng. B l e i b a u m einen gut be
suchten Vortrag über die St. Elisabethkirche in Mar
burg. Den besonderen Anlaß dazu bot die im. Herbst
und Winter von Reg.-Baurat Lütcke unter Mitarbeit
der staatlichen und provinziellen Denkmalpflege im
Laufe von sieben Monaten durchgeführte Erneuerung,
zu der Staat und Kirchengemeinde gemeinsam die Mit
tel aufgebracht haben. Oberbaurat Dr. G e ß n e r als
Vorsitzender des den Vortrag veranstaltenden Vereins
für Heimatschutz in Kurhessen und Waldeck wies ein
leitend auf die gegenwärtig im gleichen Geiste vorge
nommene Wiederherstellung der St. Martinskirche in
Kasiel und als weitere große Arbeit, die im Sinne und
auch mit Unterstützung des Heimatschutzes durchgeführt
wird, auf die Ausgrabungen und Sicherungsarbeiten auf
der Weidelsburg hin, wo Reg.-Baurat Dr. T e x t 0 r
gleichzeitig ein begrüßenswertes Werk produktiver Ar
beitslosenfürsorge durchführt. Über den Vortrag ist in
der Kasieler Sonntagspost vom 21. Februar 1932 ein
gehend berichtet worden.