Full text: Hessenland (43.1932)

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Die Textor, oder wie sie früher, ehe sie das huma 
nistische Mäntelchen umhingen, hießen, Weber, lei 
ten ihren Ursprung aus dem Dörfchen Hestenthal 
bei Schwäbisch-Hall, das trotz seinem Beiwort eine 
fränkische Stadt ist, her, sie kamen 1561 von da 
Ln die kleine feine Hohenlohesche Residenz Weickerö- 
heim, wo sie nach einer Zwischenstation, während 
der ein TOeber die Stelle eines Hohenloheschen La 
kaien und Hofschneiders innehatte, etwa um 1608 
zum Studium und zwar zur Rechtsgelehrtheit 
kamen, der sie bis ins 19. Jahrhundert treugeblieben 
stnd. MA Goethes Urgroßvater erwarben ste 1703 
das Frankfurter Bürgerrecht. Der Name des 
Wirklichen Kaiserlichen Rats, Reichs-, Stadt- 
und Gerichtsschultheißen Johann Wolfgang Tex 
tor, dem sein Enkel, der junge Goethe, auch seine 
Vornamen verdankte, ist noch unvergesten, wenn 
stch auch die Gelehrten in der Beurteilung seines 
Charakters und seiner Politik nicht einig find. Von 
Textors fränkischen Ahnen seien besonders noch die 
in der Gegend von Crailsheim ansässigen Theologen 
familien Priester, deren Stammvater zuerst katho 
lischer Priester, dann in der Reformationszeit der 
erste evangelische Prediger in Feuchtwangen war, 
Karg, Ley und die Köhler, die ihrerseits wieder ihren 
Ursprung aus Frankfurt nahmen, sowie die ans 
Gemünd und Bopfingen stammende schwäbische 
Juristenfamilie Enslin genannt. Auch die väter 
liche Großmutter Goethes, Cornelia Goethe, geb. 
Walther, entstammte von Vater und Mutter her 
(die Mutter war eine geb. Streng) fränkischen 
Familien aus der Gegend von Weickersheim, 
Rothenburg 0. d. T., Dombühl. 
Ins Hessische, zumal nach Oberhessen, dem Lande 
an der Lahn, und in die Wetterau, der wir die alte 
rheinfränkische Hauptstadt Frankfurt angliedern, 
weisen die Ahnen der mütterlichen Großmutter 
Goethes Anna Lindheimer. — Von Goethes 
Urgroßeltern gehörten, wenn wir noch einmal Zah 
len reden lasten, zwei nach Thüringen, drei ent 
stammen den Hohenloheschen Landen, zwei stnd 
Frankfurter und einer Hesse. Nehmen wir die 
Reihe der 32 Ahnen, also der Ururgroßeltern, so 
können mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit zehn da 
von für Thüringen in Anspruch genommen werden, 
für weitere zehn läßt stch der Ostfränkische Ur 
sprung nachweisen, vier stammen aus Hessen, drei 
aus der Wetterau und fünf aus der Reichsstadt 
Frankfurt. Fasten wir die Hessen, Wetterauer 
und Frankfurter, die ja manche Beziehungen zu 
einander haben, zusammen, so kommt wieder die 
Dreiteilung heraus. Die größere Intelligenz 
innerhalb dieser Gruppen scheint auf die Fränki 
schen und Hessischen Ahnen Goethes zurückzugehen. 
Soweit man sehen kann, beruht der Goethe, wie er 
unsterblich bleiben wird, auf dem Blut des Ehe 
paares Textor-Lindheimer, der Eltern seiner Mut 
ter, wenn man auch neuerdings versucht, den Ein 
fluß von der Vaterseite stärker zu betonen, indem 
man in dem weitgereisten Großvater Friedrich 
Goethe manche „Strömungen in Seele und Geist" 
des Enkels bereits vorgezeichnet sehen und fast 
„einen genialen Zug in seinem Wesen spüren" 
will A ). Man weiß aber so wenig Sicheres von 
diesem Mann, daß man eigentlich kaum mehr von 
ihm sagen kann, als daß er eine tüchtige Persönlich 
keit war, die stch aus eigener Kraft aus kleinen 
Verhältnissen heraus eine angesehene Stellung in 
Frankfurt errungen hat und sich dessen gerade in 
der Nähe Frankfurter Patrizierstolzes zu rühmen 
wußte. Gewiß war es für Goethe „auch ein un 
schätzbarer Gewinn, daß seine Vorfahren Hand 
werker gewesen find", die ihm „herzhafte Kraft zur 
sinnvollen Lebensgestaltung mitgegeben haben". Und 
wenn auch bei Goethes Vater, der ihm auf den 
ersten Blick so unähnlich wie möglich zu sein scheint, 
bei genauerer Betrachtung doch so mancher Zug her 
vortritt, der sich namentlich bei dem alternden Goethe 
wiederfindet >— für die Gestaltung der Geistigkeit 
Goethes bedeuten die mütterlichen Ahnen doch erheb 
lich mehr. Die T e x t 0 r ein Juristengeschlecht, das 
durch eine gleichartige, der Höhe der Bildung der 
Zeit entsprechende Erziehung der männlichen Ver 
treter während einer Reihe von Generationen und 
durch die mit den Töchtern aus gleichartigen und 
gleichwertigen Familien (Priester, Enslin) ge 
schlossenen Ehen einen bestimmten Charakter von 
hoher Intelligenz, Kultur und Bildung erhielt; die 
Lindheimer, deren nicht übermäßige geistige 
Höhe durch die Ehe von Goethes Urgroßvater, dem 
ans einer alten Frankfurter Metzgerfamilie stam 
menden Dr. jur. Cornelius Lindheimer, mit Elisa 
beth Catharina S e i p aus Marburg ganz beson 
ders gesteigert wurde. Denn das Erbgut, das diese 
Frau sowohl vom Vater wie von der ^Mutter her 
ihren Nachkommen übermachte, war außergewöhn 
lich wertvoll und schwerwiegend. Die von Großen- 
linden bei Gießen kurz von 1600 nach Marburg 
gekommenen S e i p (Wirte, dann Verwaltungs 
beamte, Juristen) und die S t e u b e r aus Lißberg 
(Theologen in Gießen und Marburg) wie die 
S ch e i b l e r aus Gemünden a. d. Wohra (Kauf 
leute, dann Theologen, später bis heute als hervor 
ragende Industrielle bekannt) und L y n ck e r ans 
Marburg, heute in einigen Zweigen geadelt, die 
eine Mmge hervorragender Männer in den ver 
schiedensten sowohl gelehrten als auch anderen Be 
rufen hervorgebracht haben, die Kornmann 
4 ) Böthe: „Drei Generationen Goethe", im Archiv 
für Sippenforschung 1932, Heft z.
	        

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