Full text: Hessenland (43.1932)

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bis 1773), Kanzler der Marburger Universität, 
dessen Grabstein eine Zierde der Kirche bildet. 
Langsam entwickelte sich Schweinsberg zur hessi 
schen Landstadt. Wenn auch noch 1792 der Ort 
„in Ansehung der Dienste mehr einer dienstbaren 
Dorfschaft als Stadt ähnlich" erscheint, so be 
weisen doch die steigenden Einwohnerzahlen eine zu 
nehmende Aäüte: 1673 hatte die Stadt 345, 1747 
rund 620 Einwohner. 1925 betrug ihre Zahl 883. 
Endlich ließen im 19. Jahrhundert Ablösung 
und Aufhebung der patrimonialen Rechte, die zu 
meist in den vierziger Jahren erfolgte, ein neuzeit 
liches Gemeinwesen erstehen. Ein treffendes Sym 
bol dafür scheint die Annahme eines eigenen Stadt- 
fiegels und Wappens im Jahre 1818 zu sein. Da 
mals wählte man als Wappenbild nicht eine Er 
innerung an die alten Stadtherren, die Schenken 
von Schweinsberg, sondern setzte als hessische Land 
stadt nach dem Beispiel KirchhainS und Marburgs 
den Landgrafenhelm in den Schild, dem man als 
redendes Stadtzeichen einen Schweinökopf zwischen 
die Hörner gab. Kaiser und Reich und der Ur 
sprung der Schweinsberger Stadtrechte waren ver 
gessen. Doch an einem solchen Gedenktag ziemt es 
sich die Erinnerung an sie wach zu rufen. Dazu 
mögen diese Zeilen dienen. 
Zur Entstehungsgeschichte der Grimmschen Märchen. 
In der literarischen Beilage der Kölnischen 
Volkszeitung vom 23. September 1913 hat Jo 
seph Gotthardt in einem Aufsatz „Zu der 
Entstehungsgeschichte der Grimmschen Märchen" 
den Nachweis zu erbringen versucht, daß der Löwen 
anteil an der Sammlung der Grimmschen Mur- 
chen nicht Jakob und Wilhelm Grimm, sondern 
der Familie von Haxthausen in Bökendorf 
bei Höxter gebühre. Bis zum Jahre 1810 hät 
ten die Brüder Grimm noch keins der jetzt unter 
ihrem Namen gehenden Kinder- und Hausmärchen 
schriftlich aufgezeichnet gehabt. Erst durch die 1809 
oder 1810 mit Werner von Haxthausen und dessen 
Schwestern geschlostene Freundschaft seien sie in 
den Besitz des perlengestickten Albums gekommen, 
in welches die Geschwister von Haxthausen ihre 
sorgfältig gesammelten und geordneten Sagen und 
Märchen eingetragen hätten. Dieses Album bilde 
den eigentlichen Grundstock der Grimmschen Mar- 
chensammlung: „Kurz, hier liegen die Uranfänge 
der Entstehungsgeschichte der Grimmschen Mär 
chen". Die Brüder Grimm hätten 'lediglich das 
Verdienst der Herausgabe und Sichtung dabei ge 
habt, während es dem Bökendorfer Freundeskreis 
an dem nötigen Ehrgeiz gefehlt habe, die Märchen 
sammlung der Öffentlichkeit zu übergeben. Wenn 
auch das perlengestickte Marchenalbum verloren 
gegangen fei, weil dadurch die Richtigkeit dieser 
Behauptung hätte bewiesen werden können, so sei 
auch ohnedies erwiesen, daß die Wiege des deutschen 
Haus- und Kindermärchens im Höxterland und 
nicht im Hestenland zu suchen sei. 
Diese Ausführungen dürfen, um der Wahrheit 
die Ehre zu geben, nicht unwidersprochen bleiben, 
denn sie enthalten eine Fülle von Unrichtigkeiten und 
Irrtümern, die geeignet find, das Werk der Brü 
der Grimm vor der Öffentlichkeit in ein falsches 
Licht zu setzen. Deshalb erscheint es geradezu als 
Von Dr. W ilhelm Schoof, Hersfeld. 
eine Ehrenpflicht, den Brüdern Grimm zurückzu 
geben, was ihnen dort zu Unrecht genommen wor 
den ist. 
Wie wenig Gotthardt mit der Entstehungsge 
schichte der Grimmschen Märchen vertraut ist, wie 
sein Urteil durch keinerlei Sachkenntnis getrübt 
ist, beweist die kühne Behauptung, daß die Brüder 
Grimm bis zum Jahre 1810 noch keins der jetzt 
unter ihrem Namen gehenden Kindermärchen auf 
gezeichnet hätten. Die erste Anregung und entschei 
dende Förderung erhielten die Brüder Grimm 
durch Achim von Arnim. Am 17. Dezember 
1803 hatte dieser nach dem Erscheinen des ersten 
Bandes des „Wunderhorns" einen Aufruf zur 
Fortsetzung der Liedersammlung ergehen lassen und 
am Schluß von „mündlich überlieferten Sagen 
und Märchen" gesprochen. Als Folge seines Auf 
rufs erhielt Arnim am 27. Januar 1806 durch 
den Verleger Zimmer in Heidelberg zwei platt 
deutsche Märchen „Vom Fischer un finer Fru" 
und vom „Machandelboom" mit einem Brief vom 
Maler Runge zugeschickt, in welchem dieser 
schrieb: „Ich glaube, wenn jemand es übernähme, 
dergleichen recht zu sammeln, und hätte das Zeug, 
nm das Eigentliche zu packen, daß es schon der 
Mühe lohnen würde." Diese beiden Märchen, die 
für die Brüder Grimm vorbildlich wurden, gaben 
ihnen den stärksten Antrieb, statt der Volkslieder, 
die sie bisher gesammelt und in Arnims „Wunder 
horn" hatten aufgehen lasten, nunmehr zielbewußt 
und methodisch sich der Sammlung von Märchen 
zuzuwenden. Auch Arnim, der an dem Zustande 
kommen einer Märchensammlung in der Runge 
schen Art das größte Interesse hatte, regte sie wäh 
rend seines zweiten Besuches in Kastei im Jahre 
1807 dazu an. Denn er selbst hatte den in seinem 
Aufruf mitgeteilten Plan zur Sammlung von 
Sagen und Märchen inzwischen wieder aufgegeben,
	        

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