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werden, daß der in der rühmlichst bekannten Offi
zin von Friedrich Scheel, Kassel, hergestellte Band
anch bnchtechnisch höchstes Lob verdient.
Wir erhalten also hier in 15 Generationen die
fast fünf Jahrhunderte umfassende Geschichte einer
Familie, die mit Recht zum „Uradel" der deutschen
Industrie gerechnet werden darf; ist sie doch eins
ver ältesten, feit 1608 ununterbrochen fortbestehen
den Industriegeschlechter Deutschlands. Wenige
Geschlechter auch können eine so berufliche Stetig
keit aufweisen; im Lauf von rund 320 Jahren
übertrug sich in zehn Generationen derselbe Beruf
immer wieder vom Vater auf den Sohn. Aus be
scheidenem Gießereibetrieb war die Firma Henschel
und Sohn als eine Lokomotivfabrik von (Weltruf
erstanden. Noch vor 130 Jahren erhielten die we
nigen Gesellen ihre Mittagskost am Tisch ihres
Meisters, des Kasseler Stückgießers Georg Chr.
Karl Henschel, während 1922 über 10 400 An
gestellte und Arbeiter bei der Firma ihr Brot ver
dienten. Wie die Geschichte der Krupps und Bor-
stgs, so zeigt auch die der Henschel, daß der Wille
des einzelnen, daß Fleiß und Ausdauer solcher
(Männer mit weitblickendem Unternehmungsgeist
zum Ziele führen.
Wie bei so vielen anderen Geschlechtern, fehlen
für die ältesten Generationen fast jegliche persön
liche Nachrichten, wir sind auf Kirchenbücher und
Akten angewiesen; erst mit dem Ende des 18.
Jahrhunderts setzen persönliche Aufzeichnungen ein.
Der Name Henschel ist wohl nicht, wie oft an
genommen wird, eine Bezeichnung für Handschuh,
(Händschel) oder eine Weiterbildung von Hencze,
Heinrich, sondern ist zweifellos eine Diminutiv
form von Johannes (Hannes, Hänsel, Henschel).
Die Namensträger stammen aus dem deutsch
slavischen Grenzgebiet und verbreiteten sich von hier
aus vornehmlich nach dem Osten und Norden
Westdeutschlands. Die Wiege des Henschelschen
Geschlechtes stand in Schlesien, wo der Name auch
heute noch weit verbreitet ist. Als ältester Na
mensträger wurde ein Peter H e n t s ch i l er
mittelt, der, in der Ouergafse zu Breslau woh
nend, in den Jahren i 4 Z 4 und 1473 in den Ur
kunden des dortigen Klarifsinnenklosterö aufgeführt
wird. Dieser Peter Hentschil kann als Vater des
A u g u st i n Henschel in betracht kommen, der um
1300 als Bürger und „Kretschmer", d. h. als
Gastwirt und Kleinkrämer in Breslau lebte. Sein
um 1306 geborener und mit Anna Schramm aus
Breslau vermählter Sohn Hans ergriff den Be
ruf des Vaters, und auch dessen 1537 geborener
Sohn A u g u st i n war, wie Vater und Groß
vater Kretschmer. Auf die Dauer hat ihn dieser
Beruf aber wohl nicht befriedigt, er wurde Zoll
beamter bei der schlesischen kaiserlichen Kammer.
Seine 1600 gestorbene Frau Barbara schenkte
ihm 3 Kinder. Nach ihrem Tod heiratete er
Anna Schmied, aus welcher Ehe noch 4 Kinder
hervorgingen. Sein zweiter Sohn Augustin war
Kürschner, dessen Bruder Matthäus Handels
mann; der älteste Sohn Johannes (1590 bis
1664) wandte sich dem Gießerberuf zu, welchem
Handwerk das Geschlecht die kommenden zehn Ge
nerationen hindurch treu geblieben ist. Er trat als
Lehrling nicht bei einem Breslauer Meister, son
dern in Glatz bei einem aus Nürnberg gebürtigen
Rotgießermeister Veit Wast'nger ein. Nach Be
endigung seiner fünfjährigen Glatzer Lehrzeit kehrte
er 1614 in seine Vaterstadt Breslau zurück, trat
seine von der Zunft vorgeschriebene dreijährige
Wanderschaft an, war Geselle bei dem Glocken
gießer Klapperbach in (Mainz, erwarb 1617
das (Mainzer Bürgerrecht und starb 1664 in
Gießen. Vor seinem Fortzug nach Gießen verlor
er in (Mainz seine erste Frau Anna Schnchmacher
aus Weilbnrg, eine verwitwete Frau Klapperbach
aus der Mainzer Glockengießerfamilie. 1626 war
er durch den wegen seiner fanatischen Hexenverfol
gungen bekannten (Mainzer Erzbischof Georg
Friedrich von Greiffenklau alö Brunnenmeister des
ErzstiftS Mainz angestellt worden. 1634 schloß
Graf Wilhelm zu Solms den schon erwähnten
Vertrag über Ilmgießung von Geschützen auf
seinem Schloß Greifenstein mit ihm ab. Außer
der Geschütz- und Stückgießerei widmete sich Jo
hannes Henschel auch dem Glockenguß; so können
wir aus seiner Mainzer Zeit noch die Glocken von
Bingen (1629), Amorbach (1631) und Burg
Tringenstein (1637) nachweisen, aber zweifellos
fmd während seines 23jährigen Mainzer Aufent
halts noch weitere Glocken aus seiner Gießerei her
vorgegangen. Vielleicht haben ihn die Ereignisse
des Dreißigjährigen Krieges veranlaßt, nach dem
Tod seiner ersten Frau 1637 von (Mainz nach
G i e ß e n überzusiedeln, das schon Philipp der
Großmütige in den Jahren 1530—1333 zu einer
starken Festung gemacht hatte. Hier verheiratete
er sich 1638 mit Anna Peusch, die ihn mit sieben
Kindern beschenkte. Anch in Gießen goß er eine
Reihe Glocken und starb dort 73jährig 1664.
Sein Sohn Johannes, verheiratet mit
Anna Margarethe Kempf aus Gießen, übernahrn
die Gießerei. 1690 erhielt er von dem damaligen
Landgrafen Ernst Ludwig von Heffen-Darmstadt
ein Privileg für die bevorrechtete Ausübung seines
Glockengießergewerbes. Auch von ihm find noch
eine Anzahl Glocken bekannt. Er starb kurz vor
Vollendung seines 82. Lebensjahres. Sein ältester
Sohn Heinrich Balthasar, geboren 1672,