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Am Sonntage den 2ten dieses beredete ich mich mit
des perrn Landgrafen Friedrich Durchlaucht und den
beiden perrn Ministern über die Lage der Dinge, und
von allen wurde ich ermahnet, möglichst schnell Cassel
zu verlassen, da man augenblicklich zu erwarten habe,
daß Beschlag auf die Lassen beleget werden würde.
Meine arme Frau, welche sich die Möglichkeit mei
nes Abgangs gar nicht vorstellen konnte, machte mir
die bittersten Vorwürfe darüber, daß ich ihren schon
oft erneuerten Bitten:
nun, nachdem ich den besten und längsten Theil
meines Lebens dem Dienste Eurer Kurfürstlichen
Durchlaucht mit ohnunterbrochener, unnennbarer
Anstrengung lediglich gewidmet hätte, meinen
Abschied zu nehmen und den vielleicht nur ganz
kurzen Theil meines übrigen Lebens, für welchen
mir meine mancherlei Kenntnisse zum wenigsten
meine bisherige Einnahme sichern müßten, im
Schoße einer glücklichen Familie bei allgemeiner
Eintracht und ohne Mischung einiger traurigen
Erinnerungen zuzubringen,
aus zu großer Ergebenheit für Eure Kurfürstliche
Durchlaucht nicht nachgegeben habe.
Die edelste Frau und liebevollen Kinder lies ich in
der größten Verzweifelung, ohne jede Unterstützung,
zurück und ging mit meinem Bedienten, im Anzuge
von pandwerksburschen, nichts bei mir habend, als
was ich auf dem Leibe trage, zu Fuß ab bis nach
Wolzhausen.
(D! gnädigster Kurfürst! hätten pöchstsie die Scene
der Trennung von meiner größten Wohlthäterin an
sehen können, eine schnelle Veränderung meiner Lage
würde mir gewiß zu Theil geworden seyn.
Mich macht die Erinnerung daran noch wahnsinnig.
Zu Wolzhausen nahm ich einen Bauernwagen und
suhr bis nach Veckerhagen, wo ich zu meinem höchsten
Erstaunen in Erfahrung brachte, daß man in der
ganzen Gegend Kenntniß von den in S. x ) aufbewahr
ten Sachen hat. Leider! bestätigte diese traurige Er
fahrung meine mehrmals unterthänigst vorgetragene
Bemerkung, daß man im Lande nichts mit Sicherheit
ausbewahren könne.
Das Iägerkommando in S x ) hatte man wahrschein
lich ganz vergessen und da die Franzosen dasselbe nicht
stehen lassen werden, so habe ich dessen Abgang an«
gerahten und den Renthmeister Schwedes 3 ) um Got
teswillen gebeten, die möglichst größte Sorgfalt für
die Erhaltung der Sachen anzuwenden, auch den Dber-
baudirektor Iuffow durch den in einem ganz stmpelen
Anzuge nach Lasfel geschickten Förster Bauer von
allem benachrichtiget. Von Veckerhagen bis nach
Göttingen nahm ich mir ein Bauernpserd und von
letzterem Mrte an Post.
In Hannover wunderte man sich, daß der öster
reichische Gesandte von lvessenberg nach dem Abgänge
von Eurer Kurfürstlichen Durchlaucht nicht alsbald
abgereiset sey und hielt dafür, daß er in mancherlei
pinsicht gar nicht in Lasse! bleiben könne.
Meine Todesangst wurde hierdurch verdoppelt, da
die Quintessenz von allen Nachrichten, mit Eurer
Kurfürstlichen Durchlaucht höchsten Genehmigung, in
den letzten Augenblicken, demselben zur Verwahrung
gegeben worden ist und ich noch mein Lonzepte, mit
x ) Sababurg.
2) „Christian Ludwig Schwedes, Rentmeister a.
Burggraf" Amt Sababurg, kurhess. Staats» u. Adreß-
Kal. v. \ 805 , Nieder-Peffen S. 27 u.
Nachweisungen über die in jeder Kiste enthaltenen
Sachen gnädigster Vorschrift gemäß, an denselben ab
geben mußte.
Ich habe tausend Pläne gemacht und verworfen
und glaubte endlich Sicherheit und das Mittel, größere
Dienste zu leisten zu finden, wenn ich von des Herrn
Landgrafen Larl Durchlaucht die Auswirkung eines
dänischen Titels, um welchen ich auch gebeten habe,
erlangen könnte.
Nach reiferer Überlegung beschloß ich, meinen Be
dienten, auf dessen Treue ich Felsen bauen kann, und
welchen wenige Leute in Lasse! kennen, mit Lrtheilung
der durchdachtesten Vorsichtsmaßregeln dahin zu schik-
ken und ihn einen Brief an das Kurfürstliche Geheime
Ministerium, welcher Einrichtungen zu einer Reserve
kasse für Eure Kurfürstliche Durchlaucht betrifft, und
einen andern an meine Frau bringen zu lassen, worin-
nen ich ihr rathe, mir mit ihren Sachen nachzukom
men und in große verschlüge zu denselben auch alle
bei dem Herrn von lvessenberg verwahrte Sachen,
deren Abholung mit größter Behutsamkeit mitten in
der Nacht geschehen müßte, zu legen. Die Briefe
habe ich ihm in das Futter feines Untercamifols ge
nährt.
Hannover fand ich indessen gut zu verlassen, weil
man Besorgnisse wegen meines längeren Aufenthalts
deutlich zu erkennen gab.
Mein Bedienter mußte schon gestern abend zurück
kommen und im Augenblicke (des Nachmittags um 2
Uhr) ist er noch nicht da. Ich befürchte, daß man
ihn aufgefangen hat und alles, bis auf die Sachen in
L., verloren ist.
Nach Kassel will ich nun eiligst zurückkehren und
retten was ich kann.
Der General Mortier hat alle Staabsofficiere von
der Lasselschen Garnison versammeln lassen und ihnen
bekannt gemacht, daß er jeden hessischen Dfficier er
schießen lassen würde, welcher es wage, über die
Franzosen zu raisonniren.
Die Einquartierungslast ist nicht zu ertragen. Ich
glaube, daß die höchste Anwesenheit von Eurer Kur
fürstlichen Durchlaucht vieles mindern würde.
Der Kammerherr von dem Busche-Hünnefeld zu
Hannover wünscht, daß Eure Kurfürstliche Durchlaucht
gnädigst geruhen möchten, über ihn bei jedem vor
falle nach höchsten Gutfinden zu disponiren.
Schillerschlag 3 ), am 8. November 1806 .
Ich verharre in tiefster Unterwerfung
Eurer Kurfürstlichen Durchlaucht
unterthanigsten, treuer und
pflichtschuldigsten Diener
Buderus.
Durchlauchtigster Kurfürst,
Gnädigster Kurfürst und Herr,
Mit ehrfurchtsvollster Beziehung auf meine Anzeige
vom 8ten des Mts. aus Schillerschlag verfehle ich
nicht weiter unterthänigst zu berichten, daß ich auf
meiner beabsichtigten Zurückreise nach Lasse! vorgestern
nur bis Hannover gekommen bin und daselbst die An
wesenheit des Generals Mortier mit einem Theile
von seiner Armee nahe bei der Stadt — sodann wei
ter erfuhr, daß die von Lasse! zurückgekommenen han
noverschen Deputierten ausgesagt hätten: den Fran-
3 ) liegt etwa in der Mitte zwischen Hannover und
Lelle.