Full text: Hessenland (42.1931)

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Jahren immer fester und fester. Zunächst der Erb 
prinz, dann der Landgraf und zuletzt erst recht der 
Kurfürst konnte fich dem bestrickenden Einfluß des 
begünstigten Ratgebers nicht mehr entziehen und 
mußte sich ihm willenlos fügen, selbst wenn desten 
Vorschläge für Beide zum Verhängnis werden 
sollten. — 
Aber auch von einer andern, vorerst noch abseits 
stehenden Persönlichkeit war die Brauchbarkeit des 
Subalternbeamten bemerkt und beobachtet worden, 
daß er beim Erbprinzen gut angeschrieben sei. Das 
war Meyer Amschel Rothschild, der Münz- und 
Medaillenhändler aus dem Frankfurter Ghetto. 
Bisher hatte er dem Erbprinzen ab und zu Stücke 
für seine Sammlung geliefert und fich damit den 
Titel „hochfürstlich Hessen-Hanauischer Hoffaktor" 
erworben; nun dachte er daran, mit Hilfe des jun 
gen Finanzbeamten vielleicht in geldgeschäftliche 
Beziehungen zu seinem hohen Kunden treten zu 
können, wenn dies auch noch geraume Zeit dauern 
sollte. Über die ersten Annäherungsversuche Roth 
schilds an Buderus geben unsre Familienpapiere 
keinen Aufschluß; sie gehen aber doch wohl in die Zeit 
von 1780 bis 85 zurück. Aus diesen Jahren hat 
fich ein von BuderuS nebenamtlich geführtes Quit 
tungsbuch erhalten, in welchem sowohl Roth 
schilds Namen vorkommt, wie der seines Schwie 
gervaters Wolf Salomon Schnapper. Es mag 
sein, daß über diesen der Weg zu Buderus 
führte. Kurzum, wir wissen heute, daß der Plan 
Rothschilds, die Geldgeschäfte mit dem Hause 
Hesten-Castel für sich zur Lebensaufgabe zu machen, 
in einem Ausmaß gelungen ist, wie es damals wohl 
Niemand vorausgesehen hat. Legen wir das Jahr 
1785 zu Grunde, so war der Erbprinz 42, Roth 
schild 41, Buderus aber erst 26 Jahre alt, als 
dieses Dreigestirn am Horizont des hessischen Fi 
nanzhimmels aufzugehen im Begriff stand. — 
Im November 1786, ein Jahr, nachdem der 
Erbprinz Hanau verkästen und den Thron seiner 
Väter in Kassel bestiegen hatte, verheiratete sich 
Buderus mit der Tochter Maria Dorothea seines 
Vorgesetzten, des Kammerratö Christoph Friedrich 
Gullmann, der in günstigen Verhältnisten gelebt 
zu haben scheint; wenigstens kam nach seinem Tode 
ein Weinlager von hohem Wert in seinem Haus 
an der Esplanade in Hanau zur Versteigerung. In 
jener Zeit, wo man Wertpapiere im heutigen Sinn 
kaum kannte, war es vielfach der Brauch, sein 
Vermögen in Weinvorräten anzulegen, wenn es 
nicht in Grundstücken oder Wertgegenständen ge 
schehen konnte. Der Kammerrat Gullmann hat 
die Verheiratung seiner Tochter nicht mehr erlebt 
und wohl infolge der Trauer wurde die Ehe in aller 
Stille im Pfarrhaus des nahgelegenen Dorfs 
Bruchköbel geschlosten; eö lagen aber für sie in der 
Zukunft Schoße mehr schwarze als wie heitere 
Lose. — 
Christoph Friedrich Gullmann war ein Sohn 
des großbritannischen und kurfürstlich Braun- 
schweig-Lüneburgifchen Rats und Residenten Gott 
fried Gullmann in Frankfurt a. M., der einem 
angesehenen Augsburger Kaufmannsgeschlecht ent 
stammte und eines der schönsten Patrizierhäuser be 
saß; es ist nicht weit entfernt von Goethes Geburts 
haus und bildet heute noch eine Zierde der Frank 
furter Altstadt. Aber auch die mütterlichen Vor 
fahren der jungen Frau Qbereinnehmerin Buderus 
gehörten achtbaren, vorzugsweise Hanauer Fami 
lien an. Von ihren Urgroßvätern war einer der 
bekannte „hochgräflich Hanauische Leibmedikus" 
Ar. Jeremias Müller, der zu Beginn des 18. 
Jahrhunderts die erste Analyse des Heilwasters 
vom „Guten Brunnen", dem späteren „Wil 
helmsbad", wie er nach dem Erbprinzen hieß, ver 
öffentlicht hat; ein anderer war der „hochgräflich 
Hanauische Regierungsrath" Johann Balthasar 
Maley, der i. I. 1736, als die Grafschaft Hanau 
an Hessen gefallen war, die Beamtenschaft im 
Schluß Philippsruhe auf den neuen Landesherr», 
den Landgrafen Wilhelm VIII., den Großvater 
des Erbprinzen, zu vereidigen hatte. Dieser Maley 
war mit einer Tochter des Zollverwalterö Philipp 
Heinrich Spener, eines Bruders des berühmten 
Begründers des Pietismus, Philipp Jakob Spener, 
verheiratet. Hieraus ergeben sich meine blutsver- 
wandtschaftlichen Beziehungen zu diesem großen 
deutschen Gottesgelehrten. — 
Für den Landgrafen Mälhelm IX., wie der 
Erbprinz nunmehr hieß, haben mit seiner Thron 
besteigung „die goldenen Hanauer Zeiten", so 
nannte er sie selbst, aufgehört, aber auch für Ha 
nau, das ihm gar Manches, ich möchte fast sagen 
bis auf den heutigen Tag, zu verdanken hat. 21 
Jahre lang hatte sich unter seiner Regierung in 
der kleinen Residenz am Main im Flitter des Ro 
koko ein Leben voll Glanz abgespielt, hatten viele 
hohe Gäste und Vertreter der damaligen Kunst- 
ltnd Geisteswelt in der Stadt verkehrt, die nun in 
der Stille liegen und aus ihr erst nach 20 Jahren 
aufgerüttelt werden sollte. — 
Dem neuen Landgrafen, der in Kastei keinen Er 
satz für seinen Hanauer Vertrauensmann in Geld 
fragen gefunden haben mag, lag nun nichts näher, 
als diesen selbst zu sich zu berufen. So wurde Bu 
derus, der vorher noch zum „Oberkriegskommista- 
rius" aufgerückt war, im Frühjahr 1792 als 
„Kammer-Zahlmeister und Rechnungsführer" an 
die Ober-Rentkammer nach Kastei versetzt und ver 
legte mit seiner jungen Frau und zwei Töchterchen
	        

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