36
Jahren immer fester und fester. Zunächst der Erb
prinz, dann der Landgraf und zuletzt erst recht der
Kurfürst konnte fich dem bestrickenden Einfluß des
begünstigten Ratgebers nicht mehr entziehen und
mußte sich ihm willenlos fügen, selbst wenn desten
Vorschläge für Beide zum Verhängnis werden
sollten. —
Aber auch von einer andern, vorerst noch abseits
stehenden Persönlichkeit war die Brauchbarkeit des
Subalternbeamten bemerkt und beobachtet worden,
daß er beim Erbprinzen gut angeschrieben sei. Das
war Meyer Amschel Rothschild, der Münz- und
Medaillenhändler aus dem Frankfurter Ghetto.
Bisher hatte er dem Erbprinzen ab und zu Stücke
für seine Sammlung geliefert und fich damit den
Titel „hochfürstlich Hessen-Hanauischer Hoffaktor"
erworben; nun dachte er daran, mit Hilfe des jun
gen Finanzbeamten vielleicht in geldgeschäftliche
Beziehungen zu seinem hohen Kunden treten zu
können, wenn dies auch noch geraume Zeit dauern
sollte. Über die ersten Annäherungsversuche Roth
schilds an Buderus geben unsre Familienpapiere
keinen Aufschluß; sie gehen aber doch wohl in die Zeit
von 1780 bis 85 zurück. Aus diesen Jahren hat
fich ein von BuderuS nebenamtlich geführtes Quit
tungsbuch erhalten, in welchem sowohl Roth
schilds Namen vorkommt, wie der seines Schwie
gervaters Wolf Salomon Schnapper. Es mag
sein, daß über diesen der Weg zu Buderus
führte. Kurzum, wir wissen heute, daß der Plan
Rothschilds, die Geldgeschäfte mit dem Hause
Hesten-Castel für sich zur Lebensaufgabe zu machen,
in einem Ausmaß gelungen ist, wie es damals wohl
Niemand vorausgesehen hat. Legen wir das Jahr
1785 zu Grunde, so war der Erbprinz 42, Roth
schild 41, Buderus aber erst 26 Jahre alt, als
dieses Dreigestirn am Horizont des hessischen Fi
nanzhimmels aufzugehen im Begriff stand. —
Im November 1786, ein Jahr, nachdem der
Erbprinz Hanau verkästen und den Thron seiner
Väter in Kassel bestiegen hatte, verheiratete sich
Buderus mit der Tochter Maria Dorothea seines
Vorgesetzten, des Kammerratö Christoph Friedrich
Gullmann, der in günstigen Verhältnisten gelebt
zu haben scheint; wenigstens kam nach seinem Tode
ein Weinlager von hohem Wert in seinem Haus
an der Esplanade in Hanau zur Versteigerung. In
jener Zeit, wo man Wertpapiere im heutigen Sinn
kaum kannte, war es vielfach der Brauch, sein
Vermögen in Weinvorräten anzulegen, wenn es
nicht in Grundstücken oder Wertgegenständen ge
schehen konnte. Der Kammerrat Gullmann hat
die Verheiratung seiner Tochter nicht mehr erlebt
und wohl infolge der Trauer wurde die Ehe in aller
Stille im Pfarrhaus des nahgelegenen Dorfs
Bruchköbel geschlosten; eö lagen aber für sie in der
Zukunft Schoße mehr schwarze als wie heitere
Lose. —
Christoph Friedrich Gullmann war ein Sohn
des großbritannischen und kurfürstlich Braun-
schweig-Lüneburgifchen Rats und Residenten Gott
fried Gullmann in Frankfurt a. M., der einem
angesehenen Augsburger Kaufmannsgeschlecht ent
stammte und eines der schönsten Patrizierhäuser be
saß; es ist nicht weit entfernt von Goethes Geburts
haus und bildet heute noch eine Zierde der Frank
furter Altstadt. Aber auch die mütterlichen Vor
fahren der jungen Frau Qbereinnehmerin Buderus
gehörten achtbaren, vorzugsweise Hanauer Fami
lien an. Von ihren Urgroßvätern war einer der
bekannte „hochgräflich Hanauische Leibmedikus"
Ar. Jeremias Müller, der zu Beginn des 18.
Jahrhunderts die erste Analyse des Heilwasters
vom „Guten Brunnen", dem späteren „Wil
helmsbad", wie er nach dem Erbprinzen hieß, ver
öffentlicht hat; ein anderer war der „hochgräflich
Hanauische Regierungsrath" Johann Balthasar
Maley, der i. I. 1736, als die Grafschaft Hanau
an Hessen gefallen war, die Beamtenschaft im
Schluß Philippsruhe auf den neuen Landesherr»,
den Landgrafen Wilhelm VIII., den Großvater
des Erbprinzen, zu vereidigen hatte. Dieser Maley
war mit einer Tochter des Zollverwalterö Philipp
Heinrich Spener, eines Bruders des berühmten
Begründers des Pietismus, Philipp Jakob Spener,
verheiratet. Hieraus ergeben sich meine blutsver-
wandtschaftlichen Beziehungen zu diesem großen
deutschen Gottesgelehrten. —
Für den Landgrafen Mälhelm IX., wie der
Erbprinz nunmehr hieß, haben mit seiner Thron
besteigung „die goldenen Hanauer Zeiten", so
nannte er sie selbst, aufgehört, aber auch für Ha
nau, das ihm gar Manches, ich möchte fast sagen
bis auf den heutigen Tag, zu verdanken hat. 21
Jahre lang hatte sich unter seiner Regierung in
der kleinen Residenz am Main im Flitter des Ro
koko ein Leben voll Glanz abgespielt, hatten viele
hohe Gäste und Vertreter der damaligen Kunst-
ltnd Geisteswelt in der Stadt verkehrt, die nun in
der Stille liegen und aus ihr erst nach 20 Jahren
aufgerüttelt werden sollte. —
Dem neuen Landgrafen, der in Kastei keinen Er
satz für seinen Hanauer Vertrauensmann in Geld
fragen gefunden haben mag, lag nun nichts näher,
als diesen selbst zu sich zu berufen. So wurde Bu
derus, der vorher noch zum „Oberkriegskommista-
rius" aufgerückt war, im Frühjahr 1792 als
„Kammer-Zahlmeister und Rechnungsführer" an
die Ober-Rentkammer nach Kastei versetzt und ver
legte mit seiner jungen Frau und zwei Töchterchen