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Ergänzend triff hinzu die Kultur- und Bil
dungsgeschichte, die Volkskunde. Und auch hier
stoßen wir wieoer auf zahllose Fragen, die ein
gehendster Studien bedürfen. Wir brauchen nur
das Volk im täglichen Leben zu beobachten. V 2 ie
verschieden sind allein in den einzelnen Teilen des
Hessenlandes die Volksbräuche bei Geburten und
Todesfällen, bei Hochzeiten und Kindtanfen, bei
Volksfesten und kirchlichen Festen, bei der Ernte
und beim Schlachten, nicht zum wenigsten auch rn
der Kleidung. Gewisse, teilweise noch aus der heid
nischen Zeit stammende Vorstellungen haben ssch
brs zum heutigen Tage erbalten. Mag auch der
aufgeklärte Mansch der Gegenwart sse als Aber
glauben mit einem Achselzucken abtun, sse spielen
deshalb doch ihre gewichtige Rolle im Volksleben
und find charakteristisch für die Denkungsart des
schlichten Nrannes ans dem Volke; sse ssnd ihm
heilig. Im engsten Zusammenhange mit ihnen
stehen die Sagen und Märchen, die Volkslieder
und Spiele, die Sprichwörter und Redensarten.
Die Wetterregeln des Bauern und die Volks
medizin find auf generationenlange Beobachtungen
gegründet und halten, wenn auch nicht in jedem
Falle, so doch zum mindesten gar nicht selten den
Ergebnissen der exakten wissenschaftlichen For
schung von heute stand. Und auch hier wieder müs
sen wir sagen: Welch erstaunliche Fülle der Ge
sichte tritt uns da entgegen, allein auf dem Boden
unserer engeren, hesssschen Heimat.'
Von den eben berührten religiösen Vorstellungen
und Anschauungen zur Religions- und Kirchenge
schichte ist nur ein kleiner Schritt. Bedeutsam ist
die Rolle Hessens in der Zeit der Ebristianisserung
des inneren Deutschlands, als Bonifatius unser
Heimatland missionierend durchzog und die Kirchen
verfassung organisierte. Hessens Anschluß an die
Lehre Luthers wurde bereits gestreift. Philipps des
Großmütigen Enkel Moritz der Gelehrte führte
dann bekanntlich sein Land der reformierten Lehre
Calvins zu, wai nicht ohne Widerstand abging.
Der spätere Anfall von kurmainzischen Gebiets
teilen, ferner von Hersfelo und Fulda brachte dem
Lande wiederum Territorien mtt rein oder doch vor
wiegend katholischer Bevölkerung. So gewahren
wir also auch in Kirchengeschichte und Kirchenrecht
bei uns eine bunte Mannigfaltigkeit, um so mehr,
als überdies die Geschichte und rechtliche Stel
lung der Juden im Lande noch in die heimatkund
lichen Forschungen einzubeziehen ist.
Weiterhin aber hat ssch der Heimatforscher auch
um die Bildungsgeschichte, um die Geschichte von
Wissenschaft und Kunst seines Landes zu küm
mern. Sie umfaßt einmal die Geschichte wissen
schaftlicher und Kunst-Institute, wie Universitäten,
Archive und Bibliotheken, Museen, Kunstakade
mien, Theater usw. Dazu kommt dann aber noch
zweitens die Frage nach den Persönlichkeiten, die
an solchen Instituten oder auch als Privatleute ge
wirkt haben. Und hier zieht die Heimatforschung
sogar wissenschaftliche Disziplinen in ihren Bereich,
die rein sachlich nicht in ihre Kreise gehören. Es
gibt z. B. nicht eine spezifisch hessische Mathematik
oder Astronomie, aber es gibt doch Männer, die ssch
als gebürtige Hessen oder als Rtichthessen in unserem
Lande in diesen Wissenszweigen betätigt haben;
teilweise übrigens unter lebhafter Anteilnahme der
Landesfürsten. Ich brauche da nur an die Be
ziehungen zu erinnern, die Landgraf Wilhelm IV.
zu den Astronomen und Astrologen seiner Zeit un
terhielt, oder an die tatkräftige Förderung der
Mussk durch Landgraf Moritz, der medizinischen
und naturwissenschaftlichen Forschungen durch
Landgraf Karl. — Daß auch die Geschichte des
hesssschen Schulwesens und der einzelnen Schulen,
der höheren wie der niederen, der geistlichen wie der
weltlichen, hier einzubeziehen ist, bedarf kaum noch
besonderer Erwähnung.
Wir kommen zur Sprach- und Literaturge
schichte. Auch das wenig geübte Ohr vernimmt die
dialektischen Verschiedenheiten in unserem Gebiete.
Man spricht in Kassel anders als in Karlshafen,
in Fulda anders als in Hanau, in Marburg an
ders als in der Schwalm. Ist es vielleicht nicht
Aufgabe des Heimatforschers, diesen Dingen nach
zugehen, sse wissenschaftlich zu untersuchen und fest
zulegen? Und lassen ssch nicht auf Grund solcher
Studien wertvolle ethnographische Rückschlüsse ge
winnen? Besonders ertragreich ist auch die metho
dische Untersuchung der Orts- und Flurnamen, die
wiederum, wenn sie mit der gebotenen Vorsicht durch
geführt wird, die wichtigsten Beiträge zur Sied
lungsgeschichte zu liefern vermag. Reicht minder
bedeutsame Resultate zieht die Heimatforschung
aus der philologischen Erklärung der Personen
namen, die z. B. für die berufliche Schichtung des
Volkes manchen Beitrag bringen.
SQstif den philologischen Arbeiten ist aber die
Sprachwissenschaft noch nicht ausgeschöpft. Es ge
hört zu ihr noch das große Gebiet der Literaturge
schichte. Wohl jeder deutsche Volksstamm hat eine
oft sogar recht umfangreiche bodenständige Litera
tur, zu der namentlich die Dialektschriftsteller zu
zählen ssnd. Wir in Hessen sind nicht arm an
ihnen, und gerade in unserer Gegenwart haben wir
eine ganze Anzahl einheimischer Schriftsteller und
Dichter aufzuweisen.