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Kirchhain trafen sie eine Musikantentruppe, die auf
dem Wege zur Marburger Frühlingsmesse war.
Die beiden Studenten versprachen den musicis, sie
in Kirchhain zu bewirten, diese machten nur zu gern
kehrt, und unter Begleitung einer eigenen Kapelle
zogen Dingelstedt und Vogel in das Städtchen ein.
Dort gab es natürlich ein großes Hallo, die Schul
jugend umdrängte jubelnd den seltsamen Zug, und
beinahe wäre die gestrenge Polizei eingeschritten.
Wahrscheinlich blieben die beiden dem Wirte
brav die Rechnung schuldig; Dingelstedt hielt es
sorglos genug mit dem schönen Vers
„Ist kein Geld in Bänken,
Ist doch Pump in Schenken
Für den kreuzfidelen Studio."
Er besaß in solchen Dingen eine beneidenswerte
„Großzügigkeit". So weigerte er sich, als er sich
damals mit Vogel, „von Stadt zu Stadt pumpte",
dennoch, seinen Ranzen zu tragen; er, der in diesem
bunten Auszug mit dem Freunde durchs Land zog,
bestand darauf, zum Ranzentragen einen Burschen
zu mieten, und da man den nicht gut mit einem
Schuldschein abspeisen konnte, griff das die Reise-
kasse bedrohlich an, so daß der gute Vogel sich schließ
lich Dingelstedts Ranzen seufzend mit aufschnallte.
Später ist ihm die Abzahlung der Schulden nicht
leicht geworden; seine Gläubiger hätten fast sein
Examen vereitelt, indem sie die notwendigen Fakul-
tätözeugnisse mit Beschlag belegten. Schließlich
halfen ihm aber die Mutter und Freund Hartmann
ans der peinlichen Lage. Dingelstedts Landsmann
Rodenberg, der diese Anekdoten erzählt, sagt dazu,
Dingelstedt habe etwas Burschikoses, das „zu dem
aristokratischen Grundton seines Wesens einen an
genehmen Kontrast bildete", sein Leben lang be
halten "). In seiner Muse hat die Burschenzeit
nur wenig Früchte getragen. Sie klingt nach in
einem Gedicht, das er am 4- März 1840 an seinen
Freund und Corpsbruder Julius Hartmann, ge
nannt „der Kleine", richtete:
„Schau um Dich, Kleiner! Wir sind alt geworden 12)
Und messen unser Bündnis schon nach Jahren.
Weit hinter uns in lustigen Akkorden
Berklingen unsrer Burschenzeit Fanfaren.
Der Mond der Blüten welkte und der Träume,
Und statt im Grünen steh'n wir schon im Gelben,
Die Menschen um uns wechselten, die Räume;
Doch wir — nicht wahr? — wir sind uns noch dieselben!
Was soll Dich an jene Zeiten mahnen
Als wir vereint am Weserstrand gegangen,
Und als wir sür die blau-rot-schwarzen Fahnen,
Den blanken Schläger und die Humpen schwangen? .. ."
Farbenreicher ist das Bild der Studentenzeit in
seinem Gedicht „Extrapost":
n) Rodenberg 35 f.
12) Oeetgen weist mit Recht daraufhin, daß D. da
mals noch nicht 26 Jahre alt war; vgl. Deetgen 177 f.
Ein Bruder Handwerksbursche ruht
Im grünen Gras am Wege!
Nimm das in deinen Fechterhut,
Und Glück zur Fahrt, Kollege!
Fortrollend, in mein Eck gedrückt.
Gedenk ich alter Zeiten,
Als ich, wie er, gebeugt, gebückt
Am Stabe mußte schreiten.
Da gab's statt flotter Extrapost
Und steifer Willkommsfeste
Nur wunde Füße, schmale Kost,
Ein Omnibus das Beste.
Beim Bruder Studio sprach mau ei»,
Entdeckt auf offner Straße,
Man schlief in einem Bett zu Zwei'»
Und trank aus einem Glase.
Fand sich der Eine just verlumpt
Und mit der Welt zerfallen,
So ward des Andren Rock gepumpt,
Und alle paßten Allen.
Statt Trinkgelds fing die Kellnerin
Ein Küßlein auf die Wangen,
Und reichte eines ihr nicht hin.
Auch mehrere, nach Verlangen.
Es war doch eine schöne Zeit,
Und ihrer denk' ich gerne,
Liegt sie gleich hinter mir, so weit,
Wie dort die blaue Ferne.
Ein Ränzchen noch die einz'ge Last,
Die Quart die einz'ge Narbe,
Die einz'ge Zierart Band und Quast
Von grün-weiß-schwarzer Farbe *3).
Ein ander Mal verherrlicht er Marburg:
„Die blauen Berge, die umblühten Gänge,
Die Stadt am Brink, das Schloß, die alte Lahn,
Die Kneipen all voll lärmenden Gedränge,
Das schaut' im Geiste mich verheißend an ..."
Und er träumt die freie Unbekümmertheit und Sorg
losigkeit der Studentenjahre zurück:
„Wir gingen toll und faul, wie einst, mitsammen,
In Scherz und Ernst, zu Tat und Traum gesellt;
Sie möchten uns vergöttern und verdammen,
Wir bauten für uns selber eine Welt." 13 14 15 )
Auch in seinen Briefen an Hartmann findet sich
hier und da eine Erinnerung an die Burschenzeit.
*835 gedenkt er des Stiftungstags der „Schaum-
burgia" und schreibt an Hartmann darüber, wie
ihm an diesem Tage in seinem einsamen Zimmer in
Ricklingen bei Hannover „alle, alle die Torheiten,
sogar die blau-rot-schwarzen, so wunderlieblich" aus
sahen, daß er fich „vor Weh nicht zu lasten
wußte" ^). Und bald darauf klagt er einmal dem
Freunde, wie sehr er fich nach einem „frohen Bur-
schen-Commerö mit der alten Schaumburgerfarbe
13) Sämtliche Werke VII, 99.
1 4 ) An den späteren Professor der Anatomie in Mar
burg Ludwig Fick; Deetgen 181.
15) Er begeht den 21. August, nicht den 31. als
solchen; sollte sich hier Heer nicht irren? Oder liegt
eine Verwechselung Dingelstedts vor?