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Daß der russische Zarenchron nicht ungestraft
bestiegen wird, diese von ihren Vorgängern und
Nachfolgern fast ausnahmslos gemachte bittere Er
fahrung sollte trotz aller forcierten Reformversuche
auch Katharina der Zweiten nicht ganz erspart
bleiben. Daß man der, die Halbinsel Krim berei
senden Landesmutter „Potemkinsche Dörfer" an den
Weg zauberte, war längst noch nicht das
Schlimmste. Weniger bekannt, aber um so furcht
barer war jenes andere, an den Grundpfeilern ihres
Thrones rüttelnde Ereignis, aus dem der, trotz aller
zur Schau getragenen landesmütterlichen Fürsorg
lichkeit, schuld- und fluchbeladenen Herrscherin ohne
künstliche Attrappierung und schonende Maskie
rung in seiner ganzen Schreckhaftigkeit das ver
zerrte bleiche Antlitz ihres erdrosselten Vorgängers
und Gatten schaden- und rachefroh entgegengrinste.
Ein furchtbarer Rächer war nämlich dem Er
mordeten erstanden in der Gestalt des ihm wie aus
dem Gesicht geschnittenen tierisch rohen Kosaken
Pugatschew, deö russischen Tilekolup, wie er ein
halb Jahrtausend nach Rudolf von Haböburgs
Tagen eben nur hierzulande noch möglich war.
Fast zwei Jahre lang wälzte sich die Lawine seines
täglich wachsenden Anhangs über weite Gebiete
des Riesenreiches dahin, Alles auf ihrer Bahn von
Grund auf wieder zerstörend, was Menschengeist
und Menschenhand geschaffen. Wie einst vor den
wilden Husfitenscharen die erzgepanzerten Heere
der abendländischen Ritterschaft, so wichen vor dem
Ansturm der Pugatschewianer lange Zeit die ihnen
entgegengesandten Heere der russischen Regierung,
und die Gefahr war um so größer, als auch der
i. I. 1768 begonnene Krieg gegen den türkischen
Erbfeind im Süden noch nicht beendet war.
Wie es schließlich dennoch gelang, durch Nie
derwerfung deö Aufstandes diese, auch dem Thron
der Zarin schon bedenklich nahegerückte Gefahr zu
beschwören, darf uns hier nicht weiter interessieren.
Mit um so größerer Spannung sehen wir uns
nach dieser, für notwendig gehaltenen, Abschwei
fung wieder nach unserem Helden um. Daß die
Pugatschewsche Lawine auf ihrer alles Gebild von
Menschenhand und Menschengeist zertrümmern
den Fahrt auch um Johann Heinrichs blühende
Erziehungsstätten keinen Bogen gemacht hatte, wie
er selbst einst ums Hefsenland, wissen wir ja schon,
und wir erfahren jetzt auch, welchem bei allem Un
glück glücklichen Umstande er es zu verdanken
hatte, daß besagte Lawine nicht auch über ihn selbst
dahingegangen war. Allein dem Umstand nämlich,
daß „gerade in seiner Abwesenheit", wohl in Pe
tersburg oder Jaroölaw, „die Pugatschewsche
Insurrektion in Kleinrußland sich ausbreitete".
Uber weitere persönliche Erlebnisse in dieser Zeit
enthält unsere Quelle leider nichts. Denn, ganz
abgesehen von der allgemein gehaltenen Bemer
kung, daß „der Bruder davon eine gräßliche Be
schreibung gemacht" habe, kann auch die Mättei-
lung, daß „sein mit andern, von der Regierung zu
jenem edlen Werke berufenen, Männern gemein
schaftlich errichtetes Schul- und Erziehungsinstitut
durch den entsetzlichen Bösewicht zerstört war",
nach dem darüber Gesagten nicht mehr überraschen.
Immerhin ist sie insofern von Interesse, als sie
Art und Bedeutung der zuletzt von ihm ausgeübten
Tätigkeit noch etwas deutlicher erkennen läßt als
bisher. So zwar, daß sich daraus als Ausgangs
und Mittelpunkt seines Wirkens ein in Kleinruß
land errichtetes, für alle von ihm schon gegründeten
oder noch zu gründenden und zu beaufsichtigenden
„Provinzialschulen" vorbildliche Musteranstalt er
gibt, ein inmitten des Barbarenlandes geschaf
fenes, nach allen Seiten ausstrahlendes Kultur
zentrum. Daß ihm dabei noch „andere, von der
Regierung berufene, Männer" zur Seite gestan
den, kann sein Hauptverdienst, seinen Hauptanteil
daran um so weniger schmälern, als jenes Institut
ausdrücklich als das „Seine", also doch wohl den
Stempel vor allem seiner Persönlichkeit tragend,
bezeichnet wird.
Eben darum aber auch um so schmerzlicher für
ihn, „das edle Werk" so bald schon wieder in
Trümmern liegen zu sehen. Ein Schmerz, dem
gegenüber auch das glücklich gerettete Leben für
ihn, der es oft schon aufs Spiel gesetzt und dem
es drum wohl noch weniger als „der Güter
höchstes" galt als manchem andern, kaum irgend
wie in die Wagschale fiel. Das bloße nackte Le
ben zumal, das dem, mitten aus erfolgreichstem,
ihm selbst höchste Befriedigung gewährendem
Schaffen jäh Herausgerissenen als einziger Besitz
geblieben. Auf den ersten Blick gewiß eine Tra
gik, der sich kaum jemand wird verschließen können,
und die auch wir voll empfinden würden, wenn es
nicht eben Johann Heinrich Fuchs wäre, dem bei
feiner uns ja hinlänglich bekannten Einstellung
auch den schwersten Schicksalsschlägen gegenüber
schon zuzutrauen ist, daß er auch dies wohl
schwerste Mißgeschick seines Lebens wieder selbst
nicht allzu tragisch genommen habe. Freilich war
es ja auch mit dem bloß geretteten nackten Leben
doch nicht ganz so schlimm, wie eö auf den ersten
Blick erscheint. Insofern nämlich, als der so
schwer Getroffene angesichts seiner der Zarin ge
leisteten Dienste und seines dadurch in weiten