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auf die Vorgeschichte bezüglichen Akten und be
sonders eine Kartothek der Bodenfunde aufnehmen
soll. Von seinen Arbeiten im Gelände nenne ich
besonders die Ausgrabung eines Urnengräber
feldes der Hallstattzeit bei Klein-Englis und die
Aufdeckung wichtiger Grabhügel am Knüll und
bei Marburg.
Allerwärts ist zu beobachten, wie die Wissen
schaft der Vorgeschichte allmählich auch die F r ü h-
g e s ch i ch t e in ihre Kreise zieht. In Hessen setzte
diese Forschung naturgemäß an den alten kirchlichen
Centren ein: in Fulda, in Heröfeld und in Fritz
lar, überall getragen von der Persönlichkeit I. Von-
deraus. In Hersfeld gelang es ihm die ehrwürdi
gen Kirchlein des Sturmius und Lullus und die
karolingische Basilika nachzuweisen, die schon fast
die Größe des romanischen Baus hatte. Unter dem
heutigen Dom von Fulda fanden sich Reste der
Kirche des Sturmius mit dem ursprünglichen Grab
des Bonifatius, darüber die große karolingische
Ratgar-Bafilika mit dem Kreuzaltar, der über
dem ältesten Bonifatiusgrab errichtet wurde, und
den großen Atrien, die ihr später im Osten und
Westen vorgelegt wurden. Auf dem Büraberg bei
Fritzlar entdeckte Vonderau die stattlichen Reste des
alten Bischofssitzes: Mauer und Graben, die an
der am meisten gefährdeten Stelle durch kurze
Wälle verstärkt waren, im Innern die alte Tauf
kapelle und zahlreiche Reste leichter Holzbaracken,
dazu Einzelfunde, welche bis in die frühe fränkische
Zeit zurückgehen.
„Hessen als Durchgangöland vorgeschichtlicher
Kulturen", so hat W. Bremer einen seiner zusam
menfassenden Aufsätze betitelt (Hefsenland 1925,
325 ff-) und damit auch den leitenden Gesichts
punkt ausgesprochen. Hessen, das sich mit der Wet
terau und dem Kinzigtal gegen Süden, mit dem
Lahntal gegen Westen, mit dem Wesertal gegen
Norden öffnet, durch das die wichtigsten Straßen
nach Osten, nach Mitteldeutschland führen, war
immer dazu bestimmt zwischen stärker geschlossenen
Kulturgebieten zu vermitteln.
Es muß daher wundernehmen, daß bisher Funde
aus der älteren Steinzeit, dem Palaeolithikum, völ
lig fehlen. Da aber im nahen Oberheffen, näm
lich bei Treis an der Lumda, neuerdings auch an
anderen Orten, von Dr. Richter in Gießen viele
Befiedelungspunkte gefunden find, so muß angenom
men werden, daß diese Spuren auch bei uns nicht
fehlen, und es nur darauf ankommt, sie richtig zu
suchen. Dies wäre die erste der Forschungsauf
gaben, die ich im Folgenden formulieren möchte.
In der jüngeren Steinzeit bietet sich dann ein
reiches Bild verschiedener Kulturen, die sich durch
ihre Topfwaren und Werkzeuge mehr oder
weniger scharf von einander abheben. Hier wird
die Forschung immer klarer erkennen müssen, wie
einzelne Kulturen von Thüringen nach dem Rhein
oder von Süddeutschland nach Niedersachsen ge
zogen find, wie andere sich im Land festgesetzt ha
ben und manche nur mit ihren Ausläufern nach
Hesten hineinreichen. Das letztere gilt z. B. für die
Mrchelsberger Keramik, deren Scherben sich über
raschenderweise auf der Altenburg bei Niedenstein
gefunden haben. Die Mächelöberger Keramik ge
hört zur selben Kultur wie die Pfahlbauten am
Bodensee. Diese Kultur ist den Rhein hinunter
gewandert, hat sich andererseits nach Böhmen und
Mähren verbreitet und erreicht in Hessen einen
ihrer nördlichsten Punkte.
Besondere Wichtigkeit erlangt unter den geschil
derten Umständen die Feststellung der Straßen, sie
ist von den im ersten Abschnitt genannten Gelehrten
— hier in Schlüchtern wäre noch Rektor Mald-
feld zu erwähnen — bereits weit gefördert worden.
Besonders gut find wir über den Süden unseres
Gebiets, Wetterau und Fuldaer Land, unterrichet,
dagegen wäre in Niederhefsen noch die genauere
Lage z. B. der westfälischen Straßengruppe bis zur
Diemel festzulegen.
Was die Funde anlangt, so fällt zunächst auf,
daß in Niederhefsen die Steinzeit gut bekannt,
die Bronzezeit spärlich vertreten ist, während es
im oberen Fulda- und Werra-Tal gerade umge
kehrt steht. Hier wird die Forschung wohl aus
gleichen können und z. B. im Fulda-Land nach
Spuren der ältesten in Kurhessen faßbaren Kultur
suchen; es ist die Kultur der Bandkeramik.
Die Bandkeramik stammt von der Donau, an
der sie aufwärts wandert und sich dann weit in
Süd- und Mitteldeutschland verbreitet, besonders
die fruchtbaren Lößhöhen der Wetterau find über
sät mit ihren Spuren. Eö find Ackerbauer, die man
an ihren steinernen Feldgeräten und an den band
artigen eingeritzten Verzierungen ihrer Töpfe er
kennt. Diese Kultur mischt sich in unserer Gegend
vielfach mit der Stichkeramik, d. h. mit einer aus
dem Norden stammenden Kultur, die ihre Gefäße
mit eingestochenen Ornamenten versteht. Ihre
Träger waren Jäger und Nomaden. Auch die
Einwanderung dieses Volkes, das aus Thüringen die
Kultur des Rösiener Typus mitbrachte, dürfte sich
noch genauer festlegen lassen. Die Feststellung
Wolffö am Frauenberg bei Marburg, daß dort
eine stichkeramische Grube über einer spiralband
keramischen liege, ist leider nicht gesichert.
Besondere Probleme stellt die Kultur der
Schnurzonenbecher, die am Ausgang der Stein
zeit unser Gebiet beherrscht hat, und der die ein