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in der Höhe musizieren Engelchen den Choral
„O Haupt voll Blut und Wunden", während aus
der Mitte des Butzenscheibenfensters Joh. Seb.
Bachs Bildnis leuchtet.
Auf dem Marburger Fest war auch Thielmann
mit drei Kasseler musikbegeisterten Herren an
wesend, woselbst er durch seine lustigen Vorträge
die zu einem Festessen in größerer Zahl versammel
ten Kunstfreunde und besonders Max Reger so zu
fesseln wußte, daß erst in frühester Morgenstunde
das Lager aufgesucht werden konnte. Reger erhob
sich gegen 7 Uhr voller Kraft und Klarheit vom
Tische, dem Weisen Sokrates im „Gastmahl" ver
gleichbar, und sprach: „Nun will noch den „Sim
pel" („Simplizissimus") lesen, um io tthr ist
Die hessischen „Freiheiten". I.
Nicht von der persönlichen Freiheit des Einzel-
menschen, der Glaubens- und Gewissensfreiheit, der
sittlichen, rechtlichen, der wissenschaftlichen, künst
lerischen oder politischen Freiheit soll in diesem Auf
satz die Rede sein, sondern von den lokal begrenzten
Bezirken in Städten und andern Ortschaften, die
in Hessen den Namen „Freiheit" führen oder ge
führt haben, denn in den meisten dieser Orte ist
selbst der Name im Verschwinden oder hat doch
keine rechtliche Bedeutung mehr, sondern besteht
nur noch als topographische Bezeichnung einer
Straße, einer Häusergruppe oder eines Stadt
bezirks. Der Name kommt auch in andern deut
schen Ländern und Landesteilen als Bezeichnung
eines örtlichen Bezirks vor, namentlich in den nord
westlichen Gebieten (Hannover, Hamburg, West
falen, Rheinland bis nach Belgien hinein 1: ), aber
auch im ehemaligen Königreich Sachsen. Aber in
der Geschichte der hessischen Städte und Ortschaf
ten begegnet er uns öfter als anderswo. Es dürfte
der Muhe wert sein, dem Sinne dieser Bezeich
nung nachzugehen.
Brunner 1 2 ) erklärt den Namen der Kasteler
„Freiheit" (Martinsfreiheit) aus dem Umstand,
daß den Neuansiedlern vor den Toren Kastelö eine
gewisse Abgabenentlastung gegenüber den Bürgern
der Altstadt, wenigstens für einige Jahre vom
Landesherrn verliehen war. Daß sie diese Ver
günstigung tatsächlich genosten haben, ja daß sie
später noch einmal für einige weitere Jahre er
neuert ist, steht fest, wenngleich das alte Stadt-
privilegium von 1247 nicht mehr im Original vor-
1) Beispiele dafür und nähere Auskünfte dar
über bietet in großer Menge das Deutsche Rechts
wörterbuch in Heidelberg, ein Institut zur Erfor
schung der älteren deutschen Rechtssprache.
2) Geschichte der Residenzstadt Kassel. 1913.
Probe." Wie mir Thielmann sagte, hatte Reger
immer eine Anzahl Anekdoten auf Lager, die er
prächtig zu erzählen verstand. Eine lautete: Es
waren mal zwei Schwestern, die waren arm und
nannten nur ein einziges falsches Gebiß ihr eigen.
Eines Tages war die ältere Schwester zu einem
Kaffeekränzchen eingeladen, die andere aber wartete
voller Schmerzen auf deren Rückkehr, um eine ge
schenkte Theaterkarte zu benutzen. Als endlich die
Altere erschien, sprang die Jüngere auf diese zu,
entriß ihr das Gebiß, schob es schnell in ihren
eigenen Mund und sagte schnalzend: „Ah, Schlag
sahne hat's gegeben!" Wurde eine Postkarte ge
schrieben, unterzeichnete der Meister stets mit
„M ax Reger, Akkordarbeiter."
Von Dr. jur. et phil. A p e l, Marburg.
Handen ist. Ja, es muß sogar zugegeben werden,
daß es noch andre städtische Neuansiedlungen mit
dem Namen „Freiheit" gibt, denen ähnliche, aber
noch geringere Vergünstigungen zu Teil wurden.
Aber daß diese Vergünstigungen den betr. An
siedlungen zu dem Namen „Freiheit" verholfen
haben sollten, ist höchst unwahrscheinlich, nicht nur
wegen der Geringfügigkeit und nur zeitweiligen
Dauer dieser Vorzüge, sondern weil auch bei einer
ganzen Anzahl dieser „Freiheiten" (z. B. Gudenö-
berg, Fritzlar) diese Abgabenermäßigung nicht
nachzuweisen ist und tatsächlich gefehlt hat, also
nicht die Ursache dieses Namens sein kann. Auch
war ihr eigentlicher Zweck nicht eine tatsächliche
Freiheit, eine Existenzerleichterung für die Nen-
bürger, sondern einerseits die Heranziehung neuer
Ansiedler und andrerseits der raschere Ausbau des
neuen Stadtwefens, der durch die Neuvergünsti-
gnngen erleichtert und beschleunigt ward. Es ist zu
vermuten, daß erst spätere Generationen, die den
eigentlichen Sinn des Namens „Freiheit" nicht
mehr verstanden, ihn von einer teilweisen und zeit-
weisen Abgabenfreiheit hergeleitet haben.
Eine andre Erklärung dürfte der Sache näher
kommen. In manchen Gebieten, z. B. in West
falen, ist der Name „Freiheit" eine Bezeichnung
für offne Märkte, Marktfleckens). Marktflecken
sind Ortschaften, denen die Marktfreiheit und der
Marktfrieden, die Grundlage städtischer Anwesen,
vom König (später auch vom Landesherrn) ver
liehen war, die dann aber in der Entwicklung zur
Stadt stocken und stehen geblieben find und das Ziel
nicht erreicht haben. Es gibt deren eine ganze An-
3) bürgermeister, raif und gantze Gemeynheit
unser leven vryheit Plettenberg. Urk. d. Herzogs
v. Cleve für Plettenberg im I. D. v. Steinen,
Wests. Gesch. 2, 60.