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verfaßt, mag zunächst verwunderlich erscheinen.
Doch ist ja bekannt, daß gerade die großen Dialekt
dichter meist nicht aus dem Lande stammen, besten
Mundart sie berühmt gemacht haben. So waren
erst die Eltern Friedrich Stolzes aus
W aldeck in Frankfurt eingewandert. Und
es ist ja auch wohl zu verstehen, daß ein Kind, das
auf der Straße und in der Schule von seinen Ka
meraden eine ganz andere Sprache hört, als es zu
Hause von seinen Eltern gewöhnt ist, ein ganz be
sonders feines Ohr für die Unterschiede zwischen
beiden und für die Besonderheiten der ihm neuen
Sprache oder Mundart bekommt.
Schon Losch a. a. O. hat erkannt, daß in den
Anfangsbuchstaben der Worte, mit denen die
Überschrift des zweiten Gedichts schließt: „Ich Hoffö
Ninnige" auch die Anfangsbuchstaben des Namens
des Dichters zu erkennen find. Die Überschrift des
ersten Gedichts schließt mit den Worten: „(Der su
schwatzt,) Als ließ Ueint." Hier hat also der
Dichter, der etwa Jean Henri Martin geheißen
haben könnte, den ersten Vornamen weggelasten.
Daß diese Buchstaben, im ersten Gedicht 8, M,
im zweiten I, H, M, etwas Besonderes zu bedeuten
haben, geht auch daraus hervor, daß nur ste in la
teinischen Lettern wiedergegeben find. Im übrigen
find die Gedichte ganz mit deutschen Buchstaben ge
schrieben.
Der W o h n o r t des Dichters dürfte kaum
Kastei gewesen sein. Dagegen spricht einmal die
Tatsache, daß das erste Gedicht in Eisenach
gedruckt ist, und sodann der Inhalt, namentlich des
zweiten Gedichts, der auf eine rein ländliche Um
gebung des Verfassers schließen läßt. Der Druck
ort Eisenach und die Erwähnung des M" e i ß -
n e r s sprechen für den östlichen Teil des Landes,
doch dürfte die Werragegend nicht in Betracht
kommen, da ste sich mundartlich doch sehr von dem
eigentlichen Niederhesten unterscheidet. Eher könnte
man an die Gegend von Lichtenau, Großalmerode,
Waldkappel denken.
Die Sprache ist im wesentlichen die in Nie-
derhesten auf dem Lande noch heute gesprochene.
Ob es eine genaue Untersuchung der sprachlichen
und lautlichen Eigentümlichkeiten ermöglichen
würde, ein bestimmtes Gebiet Niederhestens als
Heimat des Dichters festzustellen, wage ich nicht zu
entscheiden. Sehr merkwürdig ist der häufige Ge
brauch der harten Konsonanten p, t, k statt der
weichen b, d, g, so in Tä statt Dä (Ihr); tecke
statt decke oder dicke, Kenick statt König. Aus der
hessischen Mundart läßt sich diese Eigentümlichkeit
kaum erklären. Sollte sie vielleicht daher kommen,
daß der Dichter von Hause aus Franzose ist?
In französischen Worten erscheinen uns die p, t,
k (c) leicht als b, d, g, weil ste nicht wie bei uns
mit einem Hauchlaut gesprochen werden, so z. B.
das P in dem Worte Paris. Umgekehrt erscheinen
den Franzosen unsere b, d, g oft als p, t, k, weil
sie nicht wie im Französischen stimmhaft gesprochen
werden. In französischen Witzblättern pflegt ja
der Deutsche dadurch gekennzeichnet zu werden, daß
er die harten und weichen, richtiger gesagt, oie
stimmlosen und stimmhaften Konsonanten ständig
durcheinander wirft.
Gewiß ist der Dichter bei der Wiedergabe des
Dialekts nicht immer konsequent verfahren. War
es doch wohl überhaupt der erste Versuch, die dörf
liche Mundart schriftlich festzulegen. Gewiste Un
terschiede zwischen dem ersten und zweiten Gedicht
lassen sich wohl daraus erklären, daß der Dichter
in der Zwischenzeit besonders eifrig „dem Volke
aufs Maul gesehen" hat, um mit Luther zu reden,
und sich dadurch in der Wiedergabe der Mundart
vervollkommnet hat. So ist z. B. das sogenannte
S ch n e r ch e l - i (s. darüber v. Pfister a. a. O.
unter „schnercheln"), das im ersten Gedicht nur ge
legentlich vorkommt, im zweiten ganz folgerichtig
durchgeführt.
Die Form des ersten Gedichts ist eine durchaus
volkstümliche. Es find kurze, kreuzweise gereimte
Verse, 64 an der Zahl, die man ebensogut in 8
achtzeilige wie in i6 vierzeilige Strofen einteilen
kann. Ich habe das Letztere vorgezogen, weil es
mir dem volkstümlichen Ton am besten zu ent
sprechen scheint. Anders das zweite Gedicht.
Der Dichter, der inzwischen im Hessenländchen eine
Art Berühmtheit geworden ist, so daß er sich stolz
den „nagelnuggen Hestenpoeten" nennen kann, hat
hier den höfischen Alexandriner gewählt.
Und wenn er diesen auch mit vollkommener Sicher
heit handhabt, so scheint mir dieses zweite Gedicht
doch an Form und Inhalt hinter dem ersten etwas
zurückzustehen. Eine gewiste Weitschweifigkeit
macht stch geltend, auch sind dem Dichter nicht viel
neue Gedanken eingefallen, so daß er mehrfach die
des ersten Gedichts in breiterer Form wiederholt.
Sehr naiv find die beiden letzten Verse mit der
Huldigung für den Prinzen Wilhelm, den Bruder
und Statthalter des Königs. Es steht beinahe so
aus, als ob es der Dichter mit diesem, dem tatsäch
lichen Landesherrn, nicht ganz verderben möchte.
Am wenigsten gelungen ist die dem zweiten Ge
dichte angehängte „Hessische Arie uf der
Zetter", der wohl eine bekannte und damals
gangbare Melodie zu Grunde liegt.
Ich laste nun die Gedichte folgen, und zwar das
erste nach meiner Abschrift, das zweite nach dem