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Wilhelm Thielmann und Max Reger.
Wilhelm Thielmann, der 1924 zu
früh verstorbene Kunstmaler, besaß die besondere
Begabung, den Schwälmer Volksschlag, so wie
er leibt und lebt, mit dem Stift wiederzugeben.
Neben dieser Kunst, Pinsel und Stift ernsthaft zu
führen, verstand er sich ganz vorzüglich auf das
Karikaturenzeichnen. In fröhlichen Gesellschaften
und Familien fand er seine Opfer, die sich nachher
über ihr eigenes Zerrbild vor Lachen kugeln mußten.
In Kassel sind wohl am meisten bekannt geworden
Thielmanns große Zerrbildsammlung der „Kasse
ler Raabe-Gesellschaft" im „Wilden Wasser", die
beiden der Murhardbibliothek einverleibten Kari
katurenbücher der Gesellschaft „Pvunzel" sowie die
„Schlaraffia"-Karikaturen, von denjenigen im
Malerstübchen zu Willingshausen ganz zu schwei
gen. Diese seltene Gabe hatte nun den Künstler
auf den berühmten Tondichter und Orgelmeister
M a x Reger hingelenkt, den er in dessen Glanz
zeit kennen lernte und dann geradezu meisterhaft
zu karikieren wußte. Reger hatte, wie aus einem
in meinem Besitz befindlichen Briefe des großen
Tonsetzers hervorgeht, sein erstes Konzert in Kassel
im Frühjahr 1910 gegeben und war später häufi
ger in Kassel anwesend, bei welcher Gelegenheit
der Maler den Musiker aufsuchte. Bei seinem
ersten Besuch ereignete sich folgendes: Als auf Ne
gers „Herein" Thielmann das betreffende Zimmer
des Gasthofes betrat, sprang der Tondichter wie
besessen vom Stuhle auf, stürzte förmlich aus
Thielmann zu mit den Worten: Donnerwetter, wo
haben Sie diesen prächtigen Spazierstock her?" Es
klärte sich dann auf, daß Reger ein eifriger Ver
ehrer seltener und wertvoller Spazierfiöcke war,
von denen er eine größere Sammlung besaß. Diese
Vorliebe für Stöcke führte ihn bei jeder Anwesen
heit in Kassel zu dem Elfenbeinschnitzer Heinrich
Schröder, dem sogenannten „Schirm-Schröder" in
der Hohenzollernstraße, den er auch häufiger durch
Ankauf eines teueren Malacca-, Pfeffer-, Zucker
oder BambusrohrftockeS aus einem Stück oder auch
eines Stockes mit geschnitztem Elfenbein- oder NaS-
horngriff glücklich gemacht hat. Thielmann und
Reger wurden nun bald gute Freunde, und der
Maler konnte den Musiker nach Herzenslust in
Proben und Konzerten beobachten und zeichnen.
So entstand dann eine Mappe mit ganz köst
lichen Zerrbildern Negers, die im Jahre 191z im
Verlage von N. G. Elwert in Marburg erschien, der
liebenswürdigerweise die Wiedergabe des hier ab
gebildeten Reger-Blattes gestattete. Bald erregte
diese künstlerische Gabe in Deutschland und im
Auslande Aufsehen und Begeisterung. Auf einer
Postkarte vom ich April 1919 schrieb mir Thiel
mann: „Die Regermappe mit 18 Karikaturenblät
tern von mir erscheint in den nächsten Tagen. Ich
Erinnerungen von Johann Lewalter, Kassel.
denke, ich kann Dir eineS von den Freiexemplaren
schicken. In Meiningen Hat die Mappe grosten
Spektakel gemacht; die Prinzessin Marie Hat
gleich 2 Exemplare bestellt." Reger hatte bekannt-
lich seit 1911 als Hofrat, Hofkapellmeister und
Generalmustkdirektor in Meiningen gewirkt, von
wo er 1914 nach Iena zog.
Da Reger viel für Humor übrig hatte, paßten
die beiden Meister doppelt gut zusammen. Thiel
mann konnte nämlich die allerlustigsten Vorträge
halten und wurde aus diesem Grunde in allen Ge
sellschaftskreisen gern gesehen und viel eingeladen.
Er verstand das Krächzen eines Raben, das Ge
schnatter eines Enterichs prächtig nachzuahmen,
und „DaS Konrädchen", wonach der Maler all
gemein „Konrädche" genannt wurde, „Die Frau
Kommerzienrätin" und „Das Herborner Ständ
chen", in vollkommen unverfälschter nassauischer
Mundart wiedergegeben, waren unvergeßliche Lei
stungen, die auch Max Reger allemal zu herzlich
stem, lautestem Lachen reizten. Im Februar igi 4
fanden unter Negers Leitung die „Marburger
Musiktage" statt. Thielmann hatte eine wunder
volle Plakatzeichnung entworfen, auf welcher Neger
im Pelzmantel vor der Elisabethkirche dargestellt
war. Zur selben Zeit hatte er auch ein Exlibris
„Aus der Musikbücherei des Hauses Walther" ge
zeichnet, das Neger an der Orgel sttzend darstellt;