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richtig gelten, was noch Losch 27 ) ausführt: Dem
Kurfürsten, der jetzt dem direkten Einfluß der Nei
chenbach entrückt schien, war es ehrlich darum zu
tun, sein Versprechen zu halten und dem Volke
durch Zugeständnisse entgegenzukommen, wenn ihm
auch nichts ferner lag, als in der Verfafsungsfrage
einen radikalen Sprung ins Dunkle zu tun." Der
verfastungsfeindliche Einfluß namentlich des Kur
prinzen kam zu spät. Aber auch der kluge Rat
schlag der Reichenbach war in diesem Augenblick
nicht mehr geeignet, eine Wendung der Dinge zu
ihren Gunsten herbeizuführen. Auffallend bleibt
jedenfalls, daß weder fie noch ihre Freunde dafür
gesorgt haben, ihre Urheberschaft am Verfassungs
gedanken bekannt zu geben. Am 14. Oktober
wurde bereits die endgültige Abreise der Reichen
bach von Wilhelmshöhe von der aufgeregten Kas
seler Bevölkerung erzwungen. Die Rechnung er
wies sich als falsch. An sich war Wilhelm II. die
Wendung der Dinge tief zuwider, die Beschrän
kung seiner selbstherrlichen Befugnisse unerträg
lich. Bald nach Erteilung der Verfastung war
er zu der Erkenntnis gekommen, zu lange Selbst
herrscher gewesen zu sein, um sich an die ihm jetzt
durch die Verfassung auferlegten Schranken noch
gewöhnen zu können 28 ). Es mutet deshalb etwas
27) Kurfürstentum S. 156 und Kühn S. n6.
28) KühnS. n6;Rogge-LudwigS. 62 ff.
seltsam an, wenn B. W. Pfeiffer 22 ) meint, es
bedürfe für den aufmerksamen Beobachter des
Ganges der Verhandlungen über das ganze Ver-
fafsungswerk nicht der Bemerkung, wie da vor
dem klaren Anschauen der Wahrheit jede Erdich
tung von einer bei Erteilung der Verfastung statt
gehabten Übereilung durch rasche Benutzung der
die landeöfürstliche Autorität schwächenden Zeit
ereignisse stattgefunden habe.
Bei der Abhängigkeit Wilhelms II. von seiner
Maitreste ist es wohl nicht zu viel gesagt, wenn man
in ihrem Brief die Hauptursache der überraschen
den Wendung steht. An der Echtheit des Briefes
kann, wie schon gesagt, kein Zweifel bestehen. Dr.
Hörger hat einen genauen Schriftvergleich vorge
nommen. Bedauerlich bleibt, daß das Blatt,
welches eine Anschrift oder den Eingangsvermerk
enthielt, anscheinend abgerissen ist, sonst könnte
man noch mehr sagen, besonders aber auch solche
zum Schweigen bringen, die etwa bezweifeln
wollten, daß der Kurfürst wirklich das Schreiben
erhalten hat. Der Inhalt des Briefes läßt aber
doch in etwas das Talent zu einer sorgsamen und
tüchtigen Hausfrau erkennen, das Losch 8 °) in rit
terlicher Ehrenrettung für die Reichenbach in An
spruch genommen hat.
29) ( 5 , 296.
30) S. 128.
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