137
schmückt. Diese Reliquien sind für die Zeit ihrer
Überführung von Marburg nach Wien, also von
1588 ab, biö heute urkundlich so gut beglaubigt,
wie es überhaupt bei derartigen Stücken nur mög
lich ist. Eine ausführliche Darstellung der Geschicke
der Wiener Reliquien hat 1908 Sophie Görreö in
den „Historisch-Politischen Blättern für das katho
lische Deutschland" gegeben, einen zusammenge
faßten Bericht hat neuerdings auch das Elisabethi-
nerinnenkloster zu Wien über „Das Haupt der
Heiligen Elisabeth" drucken lassen. — Wie reimt
sich nun das über die Wiener Reliquien Gesagte
damit zusammen, daß nach Zeitungsnachrichten
vor wenigen Wochen in Brüssel das Haupt der
Heiligen Elisabeth in einem Reliquiar in der
Sakristei der Kirche St. Gudula gefunden sein
soll? Nach denselben Zeitungsberichten aus Brüs
sel und Antwerpen soll die Infantin Jsabella
Elara Eugenia von Spanien, Statthalterin der
Niederlande (gestorben 1633), eine Cousine zweiten
Grades des vorn genannten Deutschmeisters Erz
herzog Maximilian und gleichzeitig seine Schwä
gerin, die Gemahlin seines Bruders Erzherzog
Albrecht (1559—1621), Reliquien der Heiligen
Elisabeth, darunter auch den Schädel, nach
Brüssel gebracht haben, aber aus Gray in der
Franche Comté, wohin sie 1586 aus Marburg
gekommen seien. Die Geschichte dieser Brüsseler
Reliquien ist im Gegensatz zu der Überlieferung,
die man von den Wienern hat, recht unklar. Ein
Teil der durch die Infantin erworbenen Elisabeth
reliquien wurde am 19. November 1663 unter gro
ßen Feierlichkeiten dem großen Beginenhof zu Gent
übergeben. Der Schädel aber blieb in Brüssel im
Karmeliterkloster, wohin ihn die Infantin geschenkt
hatte. Seit der Aufhebung dieses Klosters in der
Revolutionszeit hat sich nach Montalembert die
Spur dieser Reliquien verloren. Man könnte
ja nun annehmen, daß sie jetzt in Brüssel in der
Kirche St. Gudula wieder aufgetaucht sein könn
ten. — Aber es ist da nur die Rede von dem
wiederaufgefundenen Schädel, und gerade der
Schädel der Heiligen soll (ebenfalls nach
Montalembert, der im allgemeinen sehr gut unter
richtet war) aus Brüssel später in das Schloß cíe
1 a Roche-Cuyon in Frankreich gekommen und
von da um 1830 durch den Kardinal Herzog von
Rohan nach Befanyon gebracht sein. Und in
Besancon im Hospital St. Johann wird er noch
heute als Hauptheiligtum verehrt! — Also es han
delt sich heute nicht nur darum, festzustellen, ob der
Schädel in Wien oder der ehemals bei den Kar
melitern in Brüssel befindliche als der echte anzu
sehen ist, sondern außerdem noch, ob dieser Brüsseler
heute Ln St. Gudula in Brüssel oder in St. Jo
hann in Besanyon aufbewahrt wird. Vielleicht
kann diese Frage aus Brüsseler Archivalien gelöst
werden, leicht ist die Lösung nicht, auch schon deö-
ivegen, weil wohl keine der drei Kirchen freiwillig
die Echtheit ihres Hauptes preisgeben möchte.
Zum Schluß noch die Frage, ob überhaupt noch
körperliche Reste der von Katholiken und Prote
stanten in gleicher Weise verehrten Heiligen in der
ihr geweihten Kirche in Marburg vorhanden find.
Da wäre zuerst festzustellen, daß, — wenn überhaupt
nach den vielen Schenkungen von Knochen und
Knochenpartikeln nach auswärts, die bis 1627 nach
zuweisen find, als Landgraf Georg von Hefsen-
Darmstadt, der damals Herr in Marburg war,
dem Erzbischof Ferdinand von Köln einige Elisa-
bethreliquien zusandte, noch etwas übriggeblieben
wäre, — das etwa Zurückgebliebene nur sehr gering
gewesen sein kann, wie denn der Landgraf selbst
schreibt, er habe nur „ein einiges sehr kleines Stück
lein zu etwas Contentirung seiner venerirenden
Affection darvon behalten, welches ich under meine
allerlibste Sachen reponiren, sonderlich einfassen
lassen, E. Gn. etwa einmal mit Gelegenheit zeigen
und verordnen will, daß es zu stetigen Tagen under
den x>retio8i8 meines Hauses a88ervirt werde." —
lind das Wenige, was allenfalls außer dem vom
Landgrafen zurückbehaltenen Teilchen noch Vorhan
sen gewesen sein könnte, wäre dann wohl im Mai
1634 bei einem Einbruch in der Kirche, bei dem
man den Stein vor dem Altar, unter dem angeb
lich die Reste beigesetzt waren, verrückt fand, ent
wendet worden.
Dann ist mit einem Irrtum aufzuräumen, dem
vor sechs Jahren eine Reihe von kunst- und ge
schichtsbegeisterten Marburger Gelehrten zum
Opfer gefallen find. Man hat am 27. Juni 1923
aus der etwas verletzten getriebenen Marienstatue
an der einen Schmalseite des Elisabethsarkophags
16 Stücke und Stückchen herausgeholt, die zum
Teil Reste eines Überzugs von außen vergoldetem
ganz dünnem Silberblech zu tragen schienen. Was
war natürlicher, als daß man diese harten, an
scheinend ihrer Kostbarkeit wegen so sorgsam in
Edelmetall gehüllten Teilchen für Knochenstücke,
also für Reliquien und natürlich für Reliquien der
Heiligen, deren Sarkophag sie entnommen waren,
ansah. Nun hat sich bei der Wiederherstellung des
kostbaren Schreins herausgestellt, daß das ein Irr
tum war, der durch den Fachmann, den mit der
Technik des Mittelalters wohlvertrauten Gold
schmied, ohne Weiteres aufgeklärt werden konnte.
Es handelte sich nicht um Knochen, sondern um
hartgewordene Stücke einer Art Kitt, der zur Ver-