Full text: Hessenland (42.1931)

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schmückt. Diese Reliquien sind für die Zeit ihrer 
Überführung von Marburg nach Wien, also von 
1588 ab, biö heute urkundlich so gut beglaubigt, 
wie es überhaupt bei derartigen Stücken nur mög 
lich ist. Eine ausführliche Darstellung der Geschicke 
der Wiener Reliquien hat 1908 Sophie Görreö in 
den „Historisch-Politischen Blättern für das katho 
lische Deutschland" gegeben, einen zusammenge 
faßten Bericht hat neuerdings auch das Elisabethi- 
nerinnenkloster zu Wien über „Das Haupt der 
Heiligen Elisabeth" drucken lassen. — Wie reimt 
sich nun das über die Wiener Reliquien Gesagte 
damit zusammen, daß nach Zeitungsnachrichten 
vor wenigen Wochen in Brüssel das Haupt der 
Heiligen Elisabeth in einem Reliquiar in der 
Sakristei der Kirche St. Gudula gefunden sein 
soll? Nach denselben Zeitungsberichten aus Brüs 
sel und Antwerpen soll die Infantin Jsabella 
Elara Eugenia von Spanien, Statthalterin der 
Niederlande (gestorben 1633), eine Cousine zweiten 
Grades des vorn genannten Deutschmeisters Erz 
herzog Maximilian und gleichzeitig seine Schwä 
gerin, die Gemahlin seines Bruders Erzherzog 
Albrecht (1559—1621), Reliquien der Heiligen 
Elisabeth, darunter auch den Schädel, nach 
Brüssel gebracht haben, aber aus Gray in der 
Franche Comté, wohin sie 1586 aus Marburg 
gekommen seien. Die Geschichte dieser Brüsseler 
Reliquien ist im Gegensatz zu der Überlieferung, 
die man von den Wienern hat, recht unklar. Ein 
Teil der durch die Infantin erworbenen Elisabeth 
reliquien wurde am 19. November 1663 unter gro 
ßen Feierlichkeiten dem großen Beginenhof zu Gent 
übergeben. Der Schädel aber blieb in Brüssel im 
Karmeliterkloster, wohin ihn die Infantin geschenkt 
hatte. Seit der Aufhebung dieses Klosters in der 
Revolutionszeit hat sich nach Montalembert die 
Spur dieser Reliquien verloren. Man könnte 
ja nun annehmen, daß sie jetzt in Brüssel in der 
Kirche St. Gudula wieder aufgetaucht sein könn 
ten. — Aber es ist da nur die Rede von dem 
wiederaufgefundenen Schädel, und gerade der 
Schädel der Heiligen soll (ebenfalls nach 
Montalembert, der im allgemeinen sehr gut unter 
richtet war) aus Brüssel später in das Schloß cíe 
1 a Roche-Cuyon in Frankreich gekommen und 
von da um 1830 durch den Kardinal Herzog von 
Rohan nach Befanyon gebracht sein. Und in 
Besancon im Hospital St. Johann wird er noch 
heute als Hauptheiligtum verehrt! — Also es han 
delt sich heute nicht nur darum, festzustellen, ob der 
Schädel in Wien oder der ehemals bei den Kar 
melitern in Brüssel befindliche als der echte anzu 
sehen ist, sondern außerdem noch, ob dieser Brüsseler 
heute Ln St. Gudula in Brüssel oder in St. Jo 
hann in Besanyon aufbewahrt wird. Vielleicht 
kann diese Frage aus Brüsseler Archivalien gelöst 
werden, leicht ist die Lösung nicht, auch schon deö- 
ivegen, weil wohl keine der drei Kirchen freiwillig 
die Echtheit ihres Hauptes preisgeben möchte. 
Zum Schluß noch die Frage, ob überhaupt noch 
körperliche Reste der von Katholiken und Prote 
stanten in gleicher Weise verehrten Heiligen in der 
ihr geweihten Kirche in Marburg vorhanden find. 
Da wäre zuerst festzustellen, daß, — wenn überhaupt 
nach den vielen Schenkungen von Knochen und 
Knochenpartikeln nach auswärts, die bis 1627 nach 
zuweisen find, als Landgraf Georg von Hefsen- 
Darmstadt, der damals Herr in Marburg war, 
dem Erzbischof Ferdinand von Köln einige Elisa- 
bethreliquien zusandte, noch etwas übriggeblieben 
wäre, — das etwa Zurückgebliebene nur sehr gering 
gewesen sein kann, wie denn der Landgraf selbst 
schreibt, er habe nur „ein einiges sehr kleines Stück 
lein zu etwas Contentirung seiner venerirenden 
Affection darvon behalten, welches ich under meine 
allerlibste Sachen reponiren, sonderlich einfassen 
lassen, E. Gn. etwa einmal mit Gelegenheit zeigen 
und verordnen will, daß es zu stetigen Tagen under 
den x>retio8i8 meines Hauses a88ervirt werde." — 
lind das Wenige, was allenfalls außer dem vom 
Landgrafen zurückbehaltenen Teilchen noch Vorhan 
sen gewesen sein könnte, wäre dann wohl im Mai 
1634 bei einem Einbruch in der Kirche, bei dem 
man den Stein vor dem Altar, unter dem angeb 
lich die Reste beigesetzt waren, verrückt fand, ent 
wendet worden. 
Dann ist mit einem Irrtum aufzuräumen, dem 
vor sechs Jahren eine Reihe von kunst- und ge 
schichtsbegeisterten Marburger Gelehrten zum 
Opfer gefallen find. Man hat am 27. Juni 1923 
aus der etwas verletzten getriebenen Marienstatue 
an der einen Schmalseite des Elisabethsarkophags 
16 Stücke und Stückchen herausgeholt, die zum 
Teil Reste eines Überzugs von außen vergoldetem 
ganz dünnem Silberblech zu tragen schienen. Was 
war natürlicher, als daß man diese harten, an 
scheinend ihrer Kostbarkeit wegen so sorgsam in 
Edelmetall gehüllten Teilchen für Knochenstücke, 
also für Reliquien und natürlich für Reliquien der 
Heiligen, deren Sarkophag sie entnommen waren, 
ansah. Nun hat sich bei der Wiederherstellung des 
kostbaren Schreins herausgestellt, daß das ein Irr 
tum war, der durch den Fachmann, den mit der 
Technik des Mittelalters wohlvertrauten Gold 
schmied, ohne Weiteres aufgeklärt werden konnte. 
Es handelte sich nicht um Knochen, sondern um 
hartgewordene Stücke einer Art Kitt, der zur Ver-
	        

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