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errichtung der lutherischen Geineinde in Kaff ei und
von dem Neubau ihrer Rirche wird nirgends Notiz
genommen: nur die Ankunft einiger Personen, die
mit ihr zusammenhängen, erinnert an das Ereignis,
das doch für Raffel damals äußerst wichtig war. Das
gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben Kassels da
gegen erscheint in voller Lebendigkeit, wenn man die
Bekanntmachungen und Anzeigen aufmerksam studiert.
Schon allein die Bekanntgabe dessen, was verloren
oder gefunden wird, gibt wertvolle hinweise. Nicht
nur goldene Uhren, sondern auch Eßbestecke oder Teile
von ihnen werden verloren, letztere nahm man zu
Gastereien von pause mit; punde der verschiedensten
Rasse stehen auch auf der Verlustliste, unrer ihnen be
sonders die Möpse, die Modehunde jener Zeit. Andere
Verlautbarungen der Zeitung erzählen von Sen ver
schiedenen Fuhrwerken, deren sich die Gesellschaft be
diente: von der im Riemen schaukelnven Glaskutsche
bis zum Phaeton; die Portchaisen (Sänften) vertra
ten die Stelle der späteren Droschken und hatten ihren
festen, polizeilich geprüften Tarif, auch war ihren
Trägern im Dienst der Genuß von Alkohol und das
Tabakrauchen verboten. Dann hören wir von Toilette
bedürfnissen der Gesellschaft, von den Spiegeln aus der
landgräflichen Spiegelmanufaktur (die sich in der Spie-
gelmühle bei Rnickhagen befand und in Rassel eine
Niederlage hatte), hören von Parfümhändlern, Ge
würzkrämern, von den verschiedensten ausländischen
Produkten, mit denen man schon damals verstand, sich
das Leben angenehm zu machen. Stellengesuche lassen
erkennen, wie man auch schon damals durch Anpreisung
seiner Fähigkeiten um die Existenz rang, wir hören
vom Buchhandel und von alten Büchern, die zum Ver
kauf gestellt werden. Daneben preisen die Gastwirte,
deren es im damaligen Raffel etwa 50 gab, ihre Lokale
an. Eines davon, am Graben, kündet sogar an, daß
dort außer der Rasseler noch zwei fremde Zeitungen
ausliegen. Der Fremdenverkehr jener Tage, der an
den Toren kontrolliert und registriet wurde, wird sorg
lich mitgeteilt in der Zeitung; auch werden bei ange
seheneren Personen ihre Absteigequartiere mitgeteilt.
Die Fuhrleute, die Raffel passierten, geben ihre Routen
bekannt und daß oder wann sie Frachten für diese an
nehmen. Es waren oft recht beträchtliche Strecken,
die von diesen Fuhrunternehmern zurückgelegt wurden.
Neben ihnen sind noch fremde pändler, so solche mit
Ranarienvögeln aus dem parz oder Nürnberg, bemer
kenswert; auch fremde Schauspielertruppen oder andere
Sehenswürdigkeiten werden angepriesen.
Den Umfang des Zeitungsblattes des ganzen Wahres
berechnete Schmitt auf ^28 Seiten in Ser Größe eines
Schulheftes; der auf der ersten Nummer tm Roxsbilde
erscheinende Posaunenengel kommt später nur noch an
jedem Jahresanfang vor.
An der nun folgenden Aussprache, an der sich Zoll
direktor Moringer, Paul pe-idelbach, Dr. pallo und
B. Jakob beteiligten, wurden dann noch Einzelheiten
des Bildes ergänzt. Zur Geschichte der Gasthöfe und
insbesondere der der „Stadt Stockholm", des ersten
Gasthofes in Raffel, wurde noch des Besuches des
Rönigs Rar! XII. von Schweden und der Anwesen
heit Bachs gedacht; Dr. pallo verstand es, aus dem
reichen Schatze seiner Forschungen, namentlich anhand
der Museumsakten, feine Ergänzungen zu bieten. Lei
der mußte der vorgeschrittenen Zeit wegen sein Vor
trag, den er noch in Aussicht genommen hatte, aus
das nächstemal verschoben werden.
Zolldirektor Morin ger besprach dann noch
die Geschichte eines Raubüberfalles auf der Straße
über den Enkeberg und Spickershausen nach Mün
den im Jahre 1615. Zwei Protokolle des Amt
manns Seng zu Raffel vom 28. und 29 . Dktober
jenen Jahres geben darüber Auskunft, nur ist leider
über den weiteren Ausgang nichts mehr zu erfahren.
Zwei pandwerksgesellen waren auf jenem Pfade gen
Rassel gezogen, als sie am Fuldaübergange von meh
reren Spickershäusern angehalten wurden, die sie als
Deserteure aus dem Braunschweigischen Lager anspra
chen. Lin Reiter entriß einem von ihnen den Mantel
unter dem Vorgeben, daß sie Rundschaster seien, denn
Handwerksgesellen trügen keinen Mantel. Mehrere
Leute mit pellebarten sahen untätig zu. Der
Vorgang zeigt, wie schon vor dem Dreißigjährigen
Rrieg es überall gährte. Anlaß zur Zusammen
ziehung der braunschweigischen Völker damals war
wahrscheinlich der braunschweigische Erbfolgestreit. —
Im Anschluß daran machte Moringer noch aufmerk
sam auf eine neue Schrift von p. A. Schmidt „Lands
knechtwesen und Rriegführung in Niedersachsen 1533
bis 1 5^5", in welcher dieser sich mit dem Problem der
„arbeitslosen" Landsknechte auseinandersetzt. Ein Bei
spiel läßt erkennen, wie sich bei drohendem Rriege die
beiden Parteien, hier Landgraf Philipp von pessen,
dort Perzog peinlich von Braunschweig-lVolffenbüttel,
bemühten, die pausen reißiger Rnechte solange bereit
zuhalten, bis sie ihrer bedurften, aber auch dafür zu
sorgen, daß sie nicht dem Gegner zuliefen. Die Schrift
bietet wertvolles Material zur Geschichte namentlich
des 16 . Jahrhunderts. — Gegen }i\\ Uhr konnte
dann Zolldirektor Moringer als 2 . Vorsitzender den
schönen Abend schließen. —c.—
Am 7 . Januar begannen die für die nächsten Machen,
jedesmal Mittwoch 3 Uhr angesetzten Museumsfüh
rungen des pefsischen Geschichtsvereins mit einer sol
chen des perrn Rusios Dr. Möbius durch die prähisto
rische Abteilung des pefsischen Landesmuseums. An
hand der Zeittafel führte der Vortragende in den
prähistorischen Geschichtsablauf ein, zeigte dann die
verschiedenen Steinwerkzeuge in ihrer hinsichtlich der
Technik steigenden Ausführung, gab Einzelheiten der
Bearbeitungstechnik und wandte sich dann den ver
schiedenen Reramiken zu, die in ihrem Dekor Anhalts
punkte für die Besiedelung bieten. Dann zeigte er
anhand der verschiedenen Pausmodelle die Entwicklung
des steinzeitlichen Mohnhauses, so jenes vom Frauen
berg bei Marburg, wo sich noch die Mände dachförmig
über den Mohngruben dieses Sippenhauses schließen
und Reste von Stakenlehm erkennen lassen, wie Fitz
gärtenwerk sich zwischen die Balken legte. Das paus
von Paldorf mit viereckigem Grundriß nebst Vorhalle
zeigt dann einen späteren und fortgeschritteneren Typus.
Dann wurden die Grabstätten von Züschen, wo das
gewaltige Steinkistengrab liegt, und von Ellenberg, wo
ein Menhir mit ornamentaler Ausarbeitung ein pü-
gelgrab mit Steinsetzung bezeichnet, besprochen und das
Michtigste darüber mitgeteilt.
Langsam schiebt sich in das Bild der jüngeren Stein
zeit die Metallkultur, zuerst Rupfer, dann Bronze und
Eisen. Von den ersten Anlehnungen an die steinzeit
lichen Geräte ausgehend, entwickelt sich die Technik
des Metallgusses mit eigenen Formen, Gold und
Bernstein gewinnen als Pandelsware Bedeutung, wie
wir auch erkennen können, daß schon vorher manche
Geräte der Steinzeit als pandelsgut des internatio
nalen Verkehrs vom Balkan, von Irlanv und von der
Schweiz aus zu uns gekommen sind, Beziehungen, die
mit dem Fortschreiten zu feineren Techniken wachsen.
Und als die Reiten Europa besiedeln, stehen sie schon