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entschloß sich Lucä, die Wartezeit zu einer Reise
nach Bremen zu benützen, um die dort untergebrach
ten Möbel abzuholen. Da gerade eine mit sechs
Pferden bespannte Hofkutsche nach Rinteln ging
und ihm von der Regentin zur Verfügung gestellt
wurde, verlief dieser Teil der Reise aufs bequemste;
es war auch eine besondere Aufmerksamkeit und be-
dentende Erleichterung, daß der hessische Landdrost
in Rinteln, von Born, seine Kutsche zur Weiter
fahrt bis Minden hergab. Von da an wurde zu
nächst der Wasserweg benutzt — ein kleiner
Fischerkahn brachte sie auf der Mieser bis nach
Petershagen, wo sie der gewöhnliche Postwagen auf
nahm und nach Bremen brachte. Die Rückkehr er
folgte auf demselben Wege — eö bedarf nur dieser
kurzen Hinweise, um klar zu machen, wie zeitrau
bend und umständlich eine solche Reise war; unsere
Vorfahren nahmen das freilich als unvermeidliche
Notwendigkeit gern mit in Kauf.
Aber auch Reisen innerhalb des Landes waren
mit allerhand Schwierigkeiten verbunden. Eine
Schwester der Frau Lucä war in Wanfried ver
heiratet, und ihr wurde daher schon bald nach der
Ankunft in Kassel ein Besuch abgestattet. Die
Reise ging zunächst fnldaabwärts zu Schiff nach
Munden, dann die Werra aufwärts durch eine
„sehr lustige Gegend" vorüber an Witzenhausen •---
dem eine „sehr finstere" Pfarrkirche angemerkt
wird — nach Allendorf und sodann nach 2 Dan-
fried; die Rückfahrt erfolgte mit dem Wagen über
Eschwege, Reichensachsen, Bischhausen und Cappel.
Ein anderes Mal — eö war im Jahre 1684 —
hatte der Sekretär Heilerfieg — derselbe, der nach
dem Tode der Frau Lucä die Aufsicht über das
Hauswesen übernahm — Lucä überredet, eine solche
Besuchsreise nach Wanfried zu Pferd zu machen.
Die Hinreise verlief ohne Unfall. Für die Rück
reise aber gab man dem geistlichen Herrn ein an
deres Pferd und schnallte ihm noch dazu Sporen an,
in deren Anwendung er nicht erfahren war. Die
Folge davon war, daß schon bald nach dem Ab
reiten das Pferd mit seinem Reiter, der eö nicht zu
halten vermochte, durchging und davonraste, ohne
daß Heilersieg irgendwie hätte Beistand leisten kön
nen. Die wilde Jagd ging der Werra entlang,
deren hohes Ufer zur Linken blieb. Lucä besorgte
daher, das Pserde möchte schließlich ins Wasser
stürzen, und entschloß sich, im vollen Jagen abzu
springen. Merkwürdigerweise ging das ohne ernsten
Schaden ab. Der nachkommende Heilersieg fand
ihn bewußtlos am Boden liegen, brachte ihn aber
mit frischem Essig wieder ins Leben zurück, so daß
nach einiger Zeit die Weiterreise angetreten werden
konnte. Das ausgerissene Pferd war auch wieder
eingefangen worden; man zog es aber vor, es dem
Knecht zu überlasten und Lucä auf dessen Pferd zu
setzen. Er hat aber nie wieder Neigung verspürt,
eine sonst so beliebte Reise zu Pferd zu unternehmen.
Die wiederholten Reisen nach Wanfried hatten
Lucä dort bekannt werden lasten, sodaß er um
Unterstützung angegangen wurde, als die Staat
1682 in äußerst gefährliche Lage geriet. In diesem
'Fahr trat in Sachsen und Thüringen die Pest auf
und griff schließlich auch nach Hessen, nach Wan
fried über. Um die Weiterverbreitung der Seuche
zu verhüten, besetzte der Landgraf die Stadt »nit
starker Reiterei und sperrte sie vollständig ab. Die
Verpflegung übernahm der Landgraf, der die Le
bensmittel an einen bestimmten Ort bringen ließ,
von wo sie abgeholt werden mußten. Natürlich litt
die Stadt unter dieser strengen Abschnürung und
bat Lucä, er möge doch beim Landgrafen eine Er
leichterung des Verkehrs befürworten. Er hatte
damit aber keinen Erfolg, da nach Mitteilung des
Kanzlers Vultejus der Landgraf der Meinung
war, es sei bester, daß e i n Mensch stürbe, als daß
das ganze Volk verdürbe. Der Landgraf hatte
dann die Genugtuung, daß seine Strenge den ge
wünschten Erfolg zeitigte: wenn auch in Wanfried
200 Menschen der Seuche zum Opfer fielen, so
griff diese doch nicht weiter um sich, und Hessen
blieb vor schwerem Unglück bewahrt.
Die Einwanderung der französischen Refor
mierten stellte im Zahre 1686 das Land vor beson
dere Aufgaben, deren sich der Landgraf nachdrück
lich annahm. Zur Unterstützung der Ankommen
den wurden Sammlungen im Lande veranstaltet,
deren Verwendung sich aber insofern unglücklich ge
staltete, als man den ersten allzu reichlich spendete
und dadurch für die späteren nicht mehr ausreichend
sorgen konnte. Daß nicht alle Hoffnungen, die der
Landgraf auf diese neuen Elemente setzte, verwirk
licht wurden, daß aber doch im ganzen genommen
diese Ansiedelung dem Lande Vorteil brachte, soll
hier nicht weiter ausgeführt werden. Erwähnt sei
nur, daß sich nach Lucä's Beobachtungen und Mit-
teilungen auch — was nicht überraschen kann —
unsaubere Elemente unter den Zuwanderern befan
den; so wurden einst zwn Spione ertappt, als sie auf
den Wällen der Stadt Kassel Schanzen auözumes-
sen versuchten, und eö ist anzunehmen, daß solcher
Mißbrauch der Gastlichkeit nicht allein steht. Auch
mit den einwandsfreien Teilen wickelte sich nicht
alles so glatt ab, wie man wohl gewünscht und er
wartet hatte. So machten vor allem die franzö
sischen Prediger, die als Führer ihrer Volks- und
Glaubensgenossen angesprochen werden müsten,
allerhand Schwierigkeiten, um sich der festen Ein
ordnung in das hessische Kirchen- und Staatöwesen,