Full text: Hessenland (41.1930)

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Ende. Ohne solchen Kanonendonner ging es offen 
bar nicht mehr. Als im Jahre 1680 die Kur- 
fürstin von der Pfalz nach längerem Aufenthalt 
in Kastei infolge des Todes ihres Gatten, des Kur 
fürsten Karl Ludwig, nach Heidelberg abreiste, 
wurden die Kanonen um die Stadt herum 3 mal 
abgeschossen. Derselbe Gruß bewillkommnete am 
17. Zuli 1681 die Königin Charlotte Amalie von 
Dänemark, als fie zum Besuch ihrer Mutter, der 
Landgräfin Hedwig Sophie in Kassel ankam — 
diesmal wußte freilich der Landgraf feine Schwester 
nocb durch besondere Lustbarkeiten, Tänze, Aufzüge, 
Komödien, Jagden und Feuerwerk zn ehren. 
An den Familienfeiern seiner Untertanen nahm 
der Landgraf, wo sich Veranlassung dazu bot, gern 
Anteil. Als Lucä am Z. November 1677 ein 
Sohn geboren wurde, erfolgte die Taufe am 8. 
November bei Hofe — der Landgraf war selbst an 
wesend, hob den Knaben aus der Taufe und hieß 
ihn nach seinem Namen Carolus benennen; natür 
lich durfte ein entsprechendes Patengeschenk nicht 
fehlen, und ein mit Figuren ausgestatteter stlber- 
vergoldeter Becher wird nicht nur im Augenblick 
dem glücklichen Vater, sondern vermutlich später 
hin auch dem eigentlich Beschenkten Freude ge 
macht haben. Wie heute noch wurde das freudige 
Ereignis auch im Haufe mit einer Abendgesellschaft 
gefeiert, bei der zahlreiche Gäste zugegen waren — 
nur die Nkutter dürfte nicht teilgenommen haben, 
wie denn derartige Gastereien überwiegend ohne 
Beteiligung der Frauen stattfanden; erst im 18. 
Jahrhundert find hier nach und nach andere Ge 
wohnheiten Brauch geworden. 
Als am 6. April 1679 dem Lucä'schen Haus 
eine Tochter geboren wurde, übernahm nach vor 
ausgegangenem Anerbieten die Landgräfin die Pa 
tenstelle und ließ das Kind Hedwig Sophie benen 
nen. Der am 10. April in der Nenstädter Kirche 
vollzogenen Taufe folgte wieder eine Bewirtung, 
diesmal aber nur der Frauen, nämlich der Frau 
Marschallin von Donop, die als Vertreterin der 
in Berlin abwesenden Landgräfin an der Taufe 
teilgenommen hatte, sowie der übrigen adeligen und 
sonstigen dabei anwesenden Damen. Die häus 
liche Feier bildete ein „Morgenbrod", während 
r % Jahre zuvor nach der Taufe des Sohnes 
abends nach Sitte der Zeit vermutlich bis in späte 
Stunde hinein gebechert worden ist. Übrigens be 
stand das im August nach Rückkehr der Landgrä 
fin aus Berlin übergebene Patengeschenk aus einem 
vergoldeten Becher mit Deckel, auf 3 Kugeln 
stehend. Solche ihnen genehme persönliche Be 
ziehungen pflegten unsere Fürsten auch in der Art, 
daß sie auch nicht unmittelbar zum Hofe gehörende 
Personen bei gegebenem Anlaß in ihren Wohnun 
gen besuchten. So empfing Lucä im Jahre 1678 
ven Besuch der Lanvgräfin Hedwig Sophie und 
ihrer Tochter, der Prinzessin Elisabeth Henriette, 
die im Begriff waren, nach Berlin zn reisen, und 
über eine Stunde bei ihm verweilten. Ebenso ver 
abschiedete sich die Kurfürstin von der Pfalz bei 
ihrer Abreise von Kassel nach Heidelberg von allen 
Mmistern, Räten und Predigern in deren TOoh- 
nung. 
Daß die solcher Art angesponnenen und befestig 
ten Beziehungen recht wertvoll sein konnten, hatte 
Lucä schon bei seiner Ankunft in Kassel erkannt. 
Er fand hier in der Umgebung der Landgräfin eine 
Frau von Wiallenstein, die — ebenso wie Frau 
Lucä aus Bremen stammend — sehr viel bei Hofe 
vermochte und manchem zur Beförderung verhalf. 
Da Lucä seine Selbstbiographie später verfaßte 
und nicht etwa ein jeweils gleichzeitig geführtes 
Tagebuch gegeben hat, liegt die Vermutung nahe, 
daß die überraschende Schnelligkeit, mit der er als 
Landfremder gute, zweifellos auch von anderen er 
strebte Posten gewann, freundlicher Nachhilfe dieser 
Dame zu danken ist. Diese war es wohl auch, die 
auch die damals länger in Kassel weilende Kur 
fürstin von der Pfalz veranlaßte, dem neuen Pfar 
rer, dessen Zahresgehalt überwiegend in Frucht 
gefällen bestand, dadurch beizuspringen, daß sie ihm 
einen neuen Priestermantel von feinem Tuch zum 
Geschenk machte. 
Solche Geschenke mußten überhaupt die einseitige 
Art der Besoldung ergänzen, und Lucä verzeichnet 
mit besonderer Genugtuung, daß die Anerkennung, 
die er in seiner Gemeinde erwarb, auch in reichlichen 
Neujahrögeschenken und Gaben für die Küche Auö- 
oruck fand. Dem standen freilich auch besondere 
Verpflichtungen, die allerdings nur einmal in Be 
tracht kamen, gegenüber: es war üblich, die Über 
nahme eines Amtes durch ein Gastmahl im gege 
benen Kreis zu feiern, und so gab auch Lucä, nach 
dem er die Einrichtung seines Hauswesens vollendet 
hatte, dem geistlichen Ministerium und dem Stadt 
magistrat sein „Acceßgastmahl", was angesichts der 
Zahl der hier in Betracht kommenden Personen 
keine kleine Leistung war, die aber in diesem Fall 
dadurch erleichtert wurde, daß der Magistrat den 
Wein stiftete. Gelegentlich übernahm wohl auch 
der Landgraf solche Einführung. So wissen wir 
aus dem Jahre 1684, daß er die Geistlichkeit an 
läßlich einer Pfarrwahl gleich drei Mal auf den 
„neuen Bau" zu einer Mahlzeit einlnd. 
Lucä war der Mann, der sich auch mit den 
praktischen Notwendigkeiten seiner Stellung abzu 
finden und auseinanderzusetzen wußte. Sein Amt 
belastetete ihn nicht allzu sehr, wenn er es auch 
schon als „einige Unbequemlichkeit" bezeichnete, daß
	        

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