der Heimat hat nie aufgehört in meinem Herzen zu
tönen, und jede Stimme, die mir von dorther kam, er
füllte mich mit Freude und Heimatswonne", kann er
auf ihre Bereitwilligkeit zählen. Selbst als er ihr
schonend initteilen muß, daß sie den Ton des Blattes
nicht getroffen hat, verliert sie die Geduld nicht, son
dern ändert mit nur leichtem ironischen Lächeln die be
anstandete Stelle, wenn sie auch nicht begreift, worin
das „verpönte pantheistifche" stecken soll.
politische Fragen werden nicht eben häufig berührt,
nur von dem von Malwida hochverehrten Garibaldi
will Ruhl nicht viel wissen, wobei er aber voraus
schickt : „In Religion und Politik muß man den Glau
ben schonen, dann bleibt man sich Freund." Rann
fährt er fort: „Mb sich wohl Garibaldi klargemacht,
was er an die Stelle zu setzen hat, wenn Papst, Kirche,
Priester, alles zusammen ausgefegt wäre? „Maul
würfe sind da, um die Erde locker und fruchtbar zu
machen, wie der Sturm dem Meere not tut, damit
keine Stagnation eintritt." So gibt er nur zu, daß
Garibaldi „für das Gewebe der Menschheit nötig sein
mag", zu größerer Würdigung kann er sich nicht ver
stehen.
Das wärmste Interesse zeigt er hingegen für eine
Freundin Malwida's, die Fürstin Wittgenstein, die
Freundin Liszt's. Diese eifrige Katholikin, deren nie
aufgegebene Hoffnung es war, die Idealistin zu be
kehren, zieht ihn mächtig an und er versucht, sich aus
der Ferne ein Bild von ihr zu machen, das freilich
erheblicher Korrektur von Seiten Malwida's bedarf.
Sie wird dabei der originellen Persönlichkeit der streng
katholischen Fürstin ganz gerecht, aber sie sieht doch zu
deutlich, daß „in Rom das wirklich Große, das die
Kirche geleistet hat, untergegangen ist im kläglichsten
Intriguenwesen". Ruhl steht dem Katholizismus
freundlicher gegenüber; er vermag es sogar, sich mit
der kuriosen Tatsache abzufinden, daß die Bücher der
Fürstin bei all ihrem Eintreten für den Vatikan doch
aus dem Index stehen, denn „die Kirche würde ohne
Disziplin nicht bestehen", und „mit erhabenen Emp
findungen hält man eben keine Religion zusammen".
Iin Grunde neigen aber sowohl Ruhl wie Malwida
mehr zu buddhistischen Gedankengängen. Die Vor
stellung der Seelenwanderung ist ihnen beiden sym
pathisch und sie deuten ihre Geistesverwandtschaft gern
aus die Abstammung aus einer gemeinsamen Heimat.
Als das Leben des mehr als Neunzigjährigen zur
Neige geht, treten die Gedanken an den Abschied und
das Ende natürlich immer mehr in den Vordergrund
und das Fazit des Lebens wird gezogen. Die Idea
listin kann nicht glauben, daß dieser unausgesetzten
Sehnsucht nach Vollendung, die mit dem Alter nicht
abnimmt, sondern wächst, nicht ein au-delà winken
sollte, Schopenhauers Freund erscheint dagegen das
Erdenleben als „die Rätsel aufgebende Sphinx, die den
Leuten, groß wie klein, die Hälse bricht und der letzte
Knax tut immer weh, wahrscheinlich nicht weher als
der erste, von dem wir nichts wissen".
Noch einmal geht ein Brief von Kassel nach Bonn,
in dem Ruhl das Leben „ein trauriges Blindekuhspiel"
nennt, noch einmal erreicht ihn ein Gruß Malwida's,
der ihm einen letzten Dank bringt für alles Gute, was
er dem Kinde, dann der alternden Freundin erwiesen
hat. Dann fällt der Vorhang über dein Gedankenaus
tausch dieser zwei vornehmen, hochstehenden Menschen,
und wir legen das Buch mit dem Gefühl aufrichtigen
Dankes für Bertha Schleicher aus der Hand, daß sie uns
diesen Einblick in das Wesen der zwei „vollendeten"
verschafft hat.
Für mich aber hat die Lektüre des Briefwechsels noch
mehr getan; sie hat geholfen, wie durch einen leichten
Windstoß, den Staub des vergeffens hinwegzublasen,
der sich über die schönste Periode meiner Vergangen
heit, über zwanzig in Rom verbrachte Jahre zu legen
begann, „lind manche liebe Schatten steigen auf"!
Sind sie aber wirklich „um schöne Stunden getäuscht
vor mir hinweggeschwunden"? Muß man sie nicht Alle
glücklich preisen, dem Ruin entgangen zu sein, den der
Weltkrieg innerlich und äußerlich über das inter
nationale Leben Roms gebracht hat? Wie würde Mal
wida darunter gelitten haben! Wie wenig würde sie
mit der ter?a Koma einverstanden gewesen sein, mit
den lärmenden Automobilen den überlauten Kund
gebungen des übersteigerten italienischen National-
gesühls, und auch wohl ebensowenig mit Mussolini
selbst. Dazu teilte sie zu sehr die Ideale Mazzini's, dev
Roma und Amore zu einer mystischen Einheit ver
schmelzen wollte.
Von der herrlichen Aussicht, die sie dein Freunde auf
die Frage nach ihrer römischen Wohnung noch so ver
lockend beschreibt, war freilich, als ich sie Mitte dev
neunziger Jahre zuerst in der via polveriera besuchte,
schon nicht mehr viel übrig geblieben, aber Abends und
Nachts hörte man doch noch auf den dann totenstillen
Plätzen Roms nichts als das wundervolle Rauschen
der römischen Brunnen, und der Wind trug im Früh-
sommer den Heudust aus der Eampagna bis ins
offne Fenster hinein. Bei Tage war es vor Malwida's
Wohnung allerdings lärmend genug, allein es waren
doch noch die charakteristischen römischen Laute, die oft
ganz melodischen Ruse der Straßenverkäufer und das
unermüdliche Geschwätz des lieben Popolino selbst, nicht
das Hupen, pfeifen und Raffeln der nwdernen Groß
stadt, aus dem der Lärm sich zusammensetzte.
Es war mir die Erfüllung eines lange gehegten
Wunsches, als Malwida's junger Freund, Dr. Bastia-
nelli, damals noch ein talentvoller aber unbekannter
Anfänger, jetzt der größte Ehirurg Italiens und Sena-
tore del Regno mich bei ihr einführte, zuerst nur,
um ihr bei allerlei kleinen und großen Leiden Hilfe
zu leisten. Meine Jugend hatte stark unter den: Ein
fluß ihrer Memoiren gestanden, und ihr hatte ich es
eigentlich zu verdanken, wenn ich, auch ohne durch die
Notwendigkeit des Broterwerbs dazu gezwungen zu.
sein, die Krankenpflege als Beruf ergriffen hatte und
sie freiwillig in römischen Krankenhäusern ausübte.
Das war damals in Rom noch Pionierarbeit und da
für hatte Malwida sich immer Verständnis bewahrt.
Mhne besondere Empfehlung war es zu dieser Zeit
schon etwas schwierig, Zutritt zu ihr zu erlangen. Die
Idealistin war nach längerem halben vergessensein so
zusagen wieder Mode geworden, und die Epoche wav
leider lange vorbei, in der fast ausschließlich erlesene
Geistesheroen Rom aussuchten. Die Familie Buchholz
pflegte schon rudelweise aufzutreten, und Malwida
traf allmählich das Schicksal, mit zu den Sehenswürdig
keiten gezählt zu werden. So erinnere ich mich noch
lebhaft des Briefes einer gänzlich Unbekannten, die ihr
den Wunsch, sie kennen zu lernen, aussprach, aber zu
gleich auch den, darüber keine Zeit zu verlieren, und
ihr deshalb sofort ein Rendezvous auf dem Palatin
vorschlug, wobei Malwida gütigst erlaubt werden
sollte, die Frenrde führen zu dürfen.
Ich wußte dem glücklichen Zufall Dank, der mir
das Sesam öffnete, und nachdem das Staunen über
den wirklich selbst für Rom ungewöhnlich wenig ge
pflegten Ausgang zur Wohnung überwunden war,
wirkte das große, mehrfenstrige Wohnzimmer mit den