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Strecke Frankfurt—Mainz 9)4 Stunden^). Da
sehen wir gleich, was für ein gefährlicher Konkur
rent hier bestand resp. weiterhin drohte — denn
die Zahl der Touristen, welche für die Sehens
würdigkeiten dieser Strecke (vom Dampfer aus!)
einen ganzen Tag übrig hatten, ist gewiß auch
schon damals keine große gewesen. Es wirkt für
ven der heute mit der Bahn von Hanau nach
Frankfurt zu fahren gewohnt ist, direkt erheiternd,
wenn er hier, nach einem Hinweis auf den bevor
stehenden Bau dieses Eisenbahnabschnitts liest:
„Doch auch mit unserem Dampfer werden wir
Frankfurt bald erreicht haben. Wir haben nur
noch 40/3 Stunden dahin. . . ."
Von der Regnitzmündung bis zu seiner Ver
einigung mit dem Rhein hat der Main eine Länge
von 330 Kilometern: dafür braucht das Dampf
boot nach der angefügten „Überlicht" 107)4
Fahrtstunden! Das macht, die nötigen Über-
nachtnngsstationen angerechnet, mindestens eine
volle Reisewoche aus. 8 Nit der Postkutsche kam
man auch damals rascher zum Ziele. Und auch zu
Fuße.
Wie sich der Reisende am besten einrichtet, wo
ein Schiffswechsel eintritt oder eintreten kann, wo
sich eine Übernachtung empfiehlt, wie es mit den
Fahrtpreisen steht und wieweit man etwa an Bord
eine Verpflegung vorfindet, von dem allen ist in dem
„Handbuch" nirgends die Rede — man kann es
also kaum eine Werbeschrift, noch weniger einen
„Main-Baedeker" nennen, wie das Schanz tut.
Wir wundern uns fast, daß ihm (1843) eine
zweite Auflage beschieden war. Es setzt Leser vor
aus, die die Stimmung mitbringen, wie das bei
den Besuchern des Rheins tatsächlich der Fall
war, und die nun Zeit und Bedürfnis haben, sich
über das Geschichtliche wie über das Sagengewebe,
das diese Fahrt begleitet, von bestberufenen Män
nern recht gründlich unterrichten zu lasten. Für
den gebildeten Leser von heute, dem der Blick rück
wärts in die Zeit vor 1848 und vor dem großen
Eisenbahnverkehr schon an sich lohnend scheint, ist
es unbestreitbar eine anziehende Lektüre, denn die
beiden Autoren sind zwar keine praktischen Reise
führer, aber hochgebildete Männer, deren Auge
auch für die Gegenwart offen ist, obwohl ihr In
teresse vor allem der Vorzeit gilt.
Natürlich sind es vor allem die an Denkmälern
der Geschichte und Kunst so reichen größeren
Städte, denen hier breiter Raum gewidmet ist.
Nach einer kurzen Wanderung entlang dem
oberen Main und seinen Ouellbächen betreten wir
2 ) Über die Preise erfahren wir leider nichts.
Bamberg, dem 23 Seiten gelten; Würzburg er
hält 33, Frankfurt volle 50 — aber auch unser
Hanau ist mit 12 Seiten bedacht, die freilich
hauptsächlich den kriegerischen Vorfällen seiner
Geschichte gelten. Bei Bergen erfahren wir, daß
eine Linie „des uralten Geschlechts der Schelm
von Bergen", dem Erlöschen nahe, noch in Geln
hausen lebe. Im übrigen hält sich das Handbuch
streng an alles, was vom Schiff aus sichtbar resp.
von den Landeplätzen aus ohne Unterbrechung der
Mainfahrt bequem erreichbar ist. Allenfalls etwa
wird ein Ausflug von Miltenberg nach Amorbach
empfohlen, Gelnhausen aber geht leer aus.
Interessieren würden uns genauere Angaben
über die Gasthöfe, aber die find leider sehr ungleich
mäßig: bei Marktbreit werden drei aufgeführt,
bei Ochsenfurt keines: ich hätte so gern die mir
wohlvertraute „Schnecke" hier erblickt. In Würz
burg steht der „Adler" an der Spitze, dosten Ruf
noch in Kindheitstagen zu mir gedrungen ist —
heute ist es ein Wirtshaus dritten Ranges. In
Hanau behauptet der „Riese" sein altes Renommee,
aber in Miltenberg fehlt sein Namensvetter neben
„Engel", „Anker", „Löwe" noch ganz — und
doch wird uns heute immer wieder versichert, das
stattliche Patrizierhaus am Marktplatz, das als
Gasthof heute diesen Namen trägt, sei das älteste
Hotel Deutschlands, in dem schon Barbarosta und
später der Doktor Luther abgestiegen sein soll. Es
steht doch so aus, als ob dieser Anspruch erst recht
jungen Datums sei; unser Handbuch, das auch alle
Sagen verzeichnet, weiß nichts davon!
Für die mediatisterten Fürsten und Grafen zeigt
Sprnner — im übrigen durchaus ein Mann von
ausgesprochen liberaler Gesinnung — als .Histo
riker ein besonderes Interesse: das kündigt schon die
von ihm selbst mit der größten Sorgfalt gezeichnete
Karte des Stromlaufs an, wo neben den Ufer
staaten Bayern, Baden, Hessen-Darmstadt, Kur
hessen, Nassau die Eastell, Taxis, Schwarzen
berg, Löwenstein-Wertheim, Leiningen, Löwenstein,
Erbach, Isenburg-Birstein mit ihrem geschlostenen
wie Streubesitz sorgfältig eingetragen sind. Weiter
erfahren wir, daß Miltenberg der Sitz des Fürst!.
Leiningenschen „Herrschaftögerichts", Kleinheubach
eines solchen des Fürsten von Löwenstein-TOert-
heim-Freudenberg, Marktbreit desgleichen des
Fürsten Schwarzenberg sei — lauter Erscheinun
gen der alten Zeit, die das Jahr 1848 hinweg
räumte.
Dem Brauch der Reisebücher des 18. Jahr
hunderts entspricht es, wenn bei den einzelnen
Orten nicht nur die in öffentlicher Hand befmd-