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Hessenlan
Monatsschrift für Landes- und Volkskunde, Kunst und Ltteratur Hessens
Herausgeber Or. C. H i tz er o t h, Marburg a. L., Markt 21 / 23 / 24 , Fernsprecher 54 und 55 .
Enthaltend zugleich die „Mitteilungen" des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde.
41. ttafcceang. tieft 6. Marburg, mini im
Landgraf Karl von Hessen als deutscher Reichsfürst.
Von^ÄZibliotheksrat Dr. Friedrich Israel, Kassel.
Am 23. März 1930 jährte sich zum zweihun-
dertsien Male der Tag, an dem Landgraf Karl
von Hessen nach öojähriger oder, wenn wir die
sieben Jahre der Vormundschaft abrechnen, 53-
jähriger Regierung im 76. Lebensjahre die müden
Augen für immer schloß. Eine Regierung von so
langer Dauer pflegt auf jeden Fall für die Ge
schichte des beherrschten Landes von erheblicher Be
deutung zu sein, eine Epoche von ganz bestimmter
Prägung, einerlei, ob der Landesherr fähig oder
unfähig ist. Nun war aber Landgraf Karl ein
kluger, umsichtiger und tatkräftiger Fürst, der die
Erfordernisse des gegebenen Augenblicks klar er
kannte, die Zeichen der Zeit zu deuten wußte. So
erscheint es ohne Weiteres gerechtfertigt, an dieser
Stelle seiner zu gedenken. Und zwar soll einmal
seine Tätigkeit nach der politischen Seite gewür
digt werden, die meist etwas zu kurz kommt. Es
soll versucht werden, die Stellung des Landgrafen
Karl innerhalb der großen Politik seiner vielbeweg
ten Zeit zu umreißen. Zuvor wollen wir uns erst
einmal vergegenwärtigen, wie sich die allgemeine
Weltlage zu Beginn seiner Regierung gestaltet
hatte.
Das 16. Jahrhundert hatte mehrere Probleme
von weltgeschichtlicher Bedeutung gezeitigt. Zu
nächst einmal das religiöse, seit Luthers Auf
treten die christliche Welt in ein protestantisches
und ein katholisches Lager geteilt hatte. Der Pro
testantismus ist noch geraume Zeit nach Luthers
Tode 1546 in langsamem Fortschreiten begriffen.
Allein die immer schärferen Gegensätze zwischen
Lutheranern und Reformierten schwächen seine Po
sition mehr und mehr, zumal der Katholizismus sich
im Tridentiner Konzil reorganisiert hat und mit
Geschick und Erfolg daran geht, wieder an Boden
zu gewinnen. Es ist bekannt genug, daß sich an
solchen Streitigkeiten der Dreißigjährige Krieg
entzündet hat, der dann den Besitzstand des alten
und des neuen Bekenntnisses im wesentlichen end
gültig regelte. — Allein in diesem großen Ringen
hatte auch ein sehr gewichtiges politisches
Problem zwar nicht seine Lösung gefunden, war
ihr aber näher gekommen. Es ist die Auseinander
setzung zwischen Frankreich und dem Hause
H a b s b u r g. Durch seine glückliche Heirats
politik war es Kaiser Maximilian I. gelungen, die
Vereinigung der habsburgischen Erblande mit
Spanien anzubahnen. Sein Enkel und Nach
folger Karl V. vereinigte in seiner Hand zunächst
die habsburgische Hausmacht: die Lande Österreich,
Steiermark, Kärnten, Krain und Tirol, dazu die
sogenannten vorderösterreichischen Erblande, näm
lich den Sundgau im südlichen Elsaß, den Breiö-
gau im südlichen Baden und die Markgrafschaft
Burgau an der oberen Donau. Dazu kamen 1526
Böhmen mit Mähren mw Schlesien, sowie Un
garn. Das damalige Ungarn umfaßte allerdings
lediglich einen verhältnismäßig schmalen Land
streifen südwestlich von Mahren bis zum Adriati
schen Meer, ein Gebiet, das zudem dauernd den
Zugriffen des Qsmanischen Reiches ausgesetzt war.
Weiter gehörte zur Habsburgischen Hausmacht der
größte Teil des Reiches Karls des Kühnen von
Burgund, nämlich: Herzogtum und Freigrafschaft
Burgund, Herzogtum Luxemburg und etwa das
heutige Gebiet von Belgien und Holland mit Aus
nahme der Bistümer Lüttich und Utrecht. Habs
burgisch war auch das Herzogtum Mailand und
endlich das Königreich Spanien mit seinen Neben
landen Neapel, Sizilien, Sardinien und den ame
rikanischen Kolonien. Karls V. Macht hatte nicht