Marburg von heute.
, „ 3 0 'fcem Kranze unserer schönen hessischen
Städte nnd Städtchen nimmt Marburg zweifellos
einen ganz besonderen Rang ein. Es wird nie mit
großen Einwohnerzahlen prunken können — nie
„Großstadt" werden, das ehemalige Ilniverfikäts-
dorf — eö wird nie die Zentrale der oder sener In
dustrie sein oder sonstwie nach amerikanischen
Mustern sich irgendwie hervortun — aber es wird
stets von allen, die es kennen, mit einer besonderen
Betonung in der Stimme genannt werden. Mät
einem Laute, in dem etwas von Frühling, von Fu-
Oas Rathaus. Nach c. Orig.-Radierung von W. Giese.
gend, von Schönheit hessischer Landschaft, von Le
bensfreude, von Erinnerung an Rausch und Wis
senschaft lebt. Wer (Marburgs Berge nicht im
Frühlingsklewe oder im roten wilden Wein sah,
hat es nicht gesehen, und wer (Marburg nicht
abends in seinen stillen Gassen erlebte, hat es nicht
erlebt. Natur, Kunst, Geschichte, alles spricht
deutlich zu uns, aber — und das ist das Entschei
dende: all diese „Steine" reden, leben und werden
leben, solange noch jedes Fahr junge Studenten zur
alma mater Philippina ziehen.
So sei es gleich hier gesagt. Daß (Marburg
nicht wie so manche mittelalterliche Stadt und
(Marburg ist eine solche, denn nur damals konnte
man in so engem Tale eine Stadt erbauen — in
einen Dornröschenschlaf verfallen ist, dankt es
seiner Universität, jener großartigen Schöpfung
Philipps des Großmütigen, die nicht nur der
engeren Heimat, sondern dem ganzen Vaterlande
mehr und mehr von Bedeutung ward und ge
blieben ist.
Das Wort Rosa Stramins, daß (Marburg
eine Universität ist, soll an dieser Stelle nicht
fehlen. (Wenn auch das moderne Leben und das
(Wachstum der Stadt (voriges Fahr wurden über
25 000 Einwohner gezahlt) vieles geändert hat,
auch heute noch i s t Marburg eine Universität.
Student und Bürger find andere geworden — zu
gegeben — manche harmlose Fröhlichkeit ist harter
Not gewichen, aber noch immer schlingt sich ein
Band gemeinsamen Erlebens um beide und hält sie
mehr zusammen als in andern Universitätsstädten.
"Wer die Entwicklung (Marburg in den letzten
30 Fahren miterlebt hat, kann nicht anders als
eingestehen, daß die Stadt eine Entwickelung durch
gemacht hat, zwar organisch und Schritt für
Schritt, aber doch in einem Ausmaße, die Achtung
abnötigt, von dem Univerfitätsdorf ist nichts mehr
vorhanden. Die Stadt ist aus dem Kreise 9 Nar-
burg ausgeschieden, kreisfrei geworden und hat
>chon in der bevorstehenden Eingemeindung von
Ockershausen das Bedürfnis bewiesen, über die
eigenen Grenzen hinauszugehen. Die ehemalige
„Scherzenwiese" ist zum „Südviertel" geworden,
unter der „Schäferbuche" ist Elsaßhausen entstan
den, am Ortenberg wird munter gebaut, und rings
an den Hängen, am Rotenberg, im Eappelerfeld
usw. find Villen in großer Zahl entstanden. So ist
die bauliche Veränderung im letzten Menschenalter
enorm entsprechend der wachsenden Anzahl der Be
wohner. Die innere Stadt ist inzwischen „mo
derner" geworden. Eö braucht an dieser Stelle
nicht gesagt zu werden, wieviel kostbare Schönheit
des Stadtbildes dabei auf Ewigkeit verschwunden
ist, wieviel Kitsch neu erstanden — man denke an
manche Häuser am (Markt und anderswo. Freilich
jede moderne Stadt hat ihre Verkehrsaufgaben,
nnd für jede Aufgabe gibt es eine Lösung; daß
nicht immer die beste Lösung gefunden wurde, dies
Schicksal teilt (Marburg mit fast allen alten
Städten, die in jener üblen Zeit baulich sich ver
änderten, aber noch steht viel, das unser Gemüt
erfreut und erhebt. Dabei ist die AnderungSwnt