Full text: Hessenland (41.1930)

Marburg von heute. 
, „ 3 0 'fcem Kranze unserer schönen hessischen 
Städte nnd Städtchen nimmt Marburg zweifellos 
einen ganz besonderen Rang ein. Es wird nie mit 
großen Einwohnerzahlen prunken können — nie 
„Großstadt" werden, das ehemalige Ilniverfikäts- 
dorf — eö wird nie die Zentrale der oder sener In 
dustrie sein oder sonstwie nach amerikanischen 
Mustern sich irgendwie hervortun — aber es wird 
stets von allen, die es kennen, mit einer besonderen 
Betonung in der Stimme genannt werden. Mät 
einem Laute, in dem etwas von Frühling, von Fu- 
Oas Rathaus. Nach c. Orig.-Radierung von W. Giese. 
gend, von Schönheit hessischer Landschaft, von Le 
bensfreude, von Erinnerung an Rausch und Wis 
senschaft lebt. Wer (Marburgs Berge nicht im 
Frühlingsklewe oder im roten wilden Wein sah, 
hat es nicht gesehen, und wer (Marburg nicht 
abends in seinen stillen Gassen erlebte, hat es nicht 
erlebt. Natur, Kunst, Geschichte, alles spricht 
deutlich zu uns, aber — und das ist das Entschei 
dende: all diese „Steine" reden, leben und werden 
leben, solange noch jedes Fahr junge Studenten zur 
alma mater Philippina ziehen. 
So sei es gleich hier gesagt. Daß (Marburg 
nicht wie so manche mittelalterliche Stadt und 
(Marburg ist eine solche, denn nur damals konnte 
man in so engem Tale eine Stadt erbauen — in 
einen Dornröschenschlaf verfallen ist, dankt es 
seiner Universität, jener großartigen Schöpfung 
Philipps des Großmütigen, die nicht nur der 
engeren Heimat, sondern dem ganzen Vaterlande 
mehr und mehr von Bedeutung ward und ge 
blieben ist. 
Das Wort Rosa Stramins, daß (Marburg 
eine Universität ist, soll an dieser Stelle nicht 
fehlen. (Wenn auch das moderne Leben und das 
(Wachstum der Stadt (voriges Fahr wurden über 
25 000 Einwohner gezahlt) vieles geändert hat, 
auch heute noch i s t Marburg eine Universität. 
Student und Bürger find andere geworden — zu 
gegeben — manche harmlose Fröhlichkeit ist harter 
Not gewichen, aber noch immer schlingt sich ein 
Band gemeinsamen Erlebens um beide und hält sie 
mehr zusammen als in andern Universitätsstädten. 
"Wer die Entwicklung (Marburg in den letzten 
30 Fahren miterlebt hat, kann nicht anders als 
eingestehen, daß die Stadt eine Entwickelung durch 
gemacht hat, zwar organisch und Schritt für 
Schritt, aber doch in einem Ausmaße, die Achtung 
abnötigt, von dem Univerfitätsdorf ist nichts mehr 
vorhanden. Die Stadt ist aus dem Kreise 9 Nar- 
burg ausgeschieden, kreisfrei geworden und hat 
>chon in der bevorstehenden Eingemeindung von 
Ockershausen das Bedürfnis bewiesen, über die 
eigenen Grenzen hinauszugehen. Die ehemalige 
„Scherzenwiese" ist zum „Südviertel" geworden, 
unter der „Schäferbuche" ist Elsaßhausen entstan 
den, am Ortenberg wird munter gebaut, und rings 
an den Hängen, am Rotenberg, im Eappelerfeld 
usw. find Villen in großer Zahl entstanden. So ist 
die bauliche Veränderung im letzten Menschenalter 
enorm entsprechend der wachsenden Anzahl der Be 
wohner. Die innere Stadt ist inzwischen „mo 
derner" geworden. Eö braucht an dieser Stelle 
nicht gesagt zu werden, wieviel kostbare Schönheit 
des Stadtbildes dabei auf Ewigkeit verschwunden 
ist, wieviel Kitsch neu erstanden — man denke an 
manche Häuser am (Markt und anderswo. Freilich 
jede moderne Stadt hat ihre Verkehrsaufgaben, 
nnd für jede Aufgabe gibt es eine Lösung; daß 
nicht immer die beste Lösung gefunden wurde, dies 
Schicksal teilt (Marburg mit fast allen alten 
Städten, die in jener üblen Zeit baulich sich ver 
änderten, aber noch steht viel, das unser Gemüt 
erfreut und erhebt. Dabei ist die AnderungSwnt
	        

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