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bis 15. Jahrhundert die vornehmsten Träger der
geldwirtschaftlichen Entwicklung des Wirtschafts
lebens waren. — Sehr frühe schon besaß Wolf
hagen eine Ntünze, ein Reiterbrakteat des Land
grafen Konrad zeigt uns, daß gleich nach der Grün
dung die Stadt mit dem Münzrechte ausgestatter
ward. Im 14. und 15. Jahrhundert Lauchen dann
erst wieder Dickpfennige auf, und es scheint, als ob
bis dahin das Münzrecht der Stadt geruht habe.
Denn sonst wäre es unerklärlich, daß sich die
„Teichthörner" (nach dem Teichturme, in dem die
Münzstätte war) erst durch einen Beischlag, die
Nachbildung einer zu Brakel geschlagenen Pader-
bornischen Mnnze neu einführen mußten. Auch wird
im Umlande von Wolfhagen, z. B. in Dörnberg,
nach Warburger Währung oder nach Kafselischcr
Währung gerechnet, während sich die Wolfhager
Währung auf die Stadt und ihr nächstes Umland
beschränkt zu haben scheint.
Mit außerordentlicher Sorgfalt hat Siegel
die Geschichte der inneren Verwaltung dargestellt.
Wir sehen, wie die Stadt mit dem Rechte der
Stadt Kassel ausgestattet wurde, wie sich eine dem
Patriziat ähnliche Schicht zwar bildete, aber doch
nicht zur vollen Entwicklung gelangte. Das lag
wohl daran, daß Wolfhagen kein Knotenpunkt des
Verkehrs und damit des Bandes war, wie das in
Kassel für das dortige Patriziat nachzuweisen ist,
das von der Grundherrschaft und dem Rentenbezug
langsam in den Handel und das Geldgeschäft hin-
überglitt. Als daher in Wolfhagen die erstarken
den Zünfte Einlaß in den Rat forderten, vollzog sich
der Übergang ziemlich reibungslos, wie wir denn in
dem Spiel der Kräfte in Hessen vier Kombi
nationen beobachten können, in denen sich der Über
gang der Patriziatöverfafsung zu der Herrschaft
der Zünfte vollzieht.
Sehr eingehend behandelt Siegel die äußere Ge
schichte der Stadt. Oft nicht ohne Breite. Das
liegt aber daran, daß feine Geschichtsdarstellung
nicht nur Forschungsergebnisse wiedergeben will zu
wissenschaftlichem Gebrauche, sondern daß seine Ge
schichte der Stadt Wolfhagen ein populäres Buch
sein soll, in dem der Bürger der Stadt in erster
Linie die Geschichte seiner engsten Heimat, einge
schlossen in das Gesamtbild der Geschichte deö Hes
senlandes, findet. Um dieses Zweckes willen mußte
manche Einzelheit im Nahmen des Gesamtgeschehens
gezeichnet werden, wie das z. B. bei den Kriegs
ereignissen des Dreißigjährigen Krieges und denen
des Siebenjährigen Krieges der Fall war. Das
war gewiß kein Schade, denn Gustav Siegel hat
als sein besonderes Forschungsgebiet die Geschichte
der hessischen Heeresmacht im Dreißigjährigen
Kriege, und was dabei Wolfhager Lokalereigniffe
angeht, so konnte er diese durch seine Studien eben
jener Tage nur vertiefen. Dankbar steht man im
Hintergründe der Wolfhager Geschichte das ge
waltige Kriegstheater aufsteigen, auf dem die hessi
sche Heeresmacht unter Landgraf W i l -
h e l m V. und dessen Witwe Amelie Elisa
beth eine so bedeutende Rolle spielte. — Zur
Heeresgeschichte des 18. Jahrhunderts gibt auch
das Kapitel noch einen wertvollen Beitrag, das
Wolfhagen als hessische Garnisonstadt zeigt. Das
Wachthaus auf dem Markte erinnert noch in bau
licher Hinsicht an jene Zeit, und eine Bildertafel
gibt die Uniformen aller der Regimenter wieder, vie
je in Wolfhagen in Garnison lagen. — Überhaupt
ist der Bilderschmuck des Buches eine reiche und
wertvolle Beigabe, die die genußreiche Lektüre des
Buches noch angenehmer macht.
Einige kleine kritische Randbemerkungen mögen
aber doch gestattet sein, — sie find nicht bestimmt,
den Wert des prächtigen Heimatbuches herabzu
setzen, sie sollen nur Anregung geben zu einigen
Verbesserungen für eine hoffentlich bald notwendige
zweite Auflage.
Auf Seite 9 spricht Siegel von dem Begriffe
„Waldrecht". Johannes Sch u l tz e in seinem
Urkundenbuche der Kasteler Klöster und Stifter
spricht dagegen von Waltrecht. Es scheint mir, als
ob hier vielleicht zwei noch nicht völlig gegeneinander
abgegrenzte Rechtsbegriffe der mittelalterlichen
Agrarwirtschaft neben einander stünden, das
Waltrecht als eine Form der Zeitpacht („schalten
und walten") erscheint mir neben dem „Mergel
recht" (vom Mergeln des Bodens — Verbessern)
als eine klar zu deutende Rechtsgestalt, während mit
dem Begriffe des Waldrechteü nicht überall etwas
anzufangen ist. Es könnte nur im Bereiche von
Neurodungen oder in Beziehungen zu Markwal
dungen voll deutbaren Sinn haben. Es wäre dank
bar, wenn man einmal der Klärung dieser Frage
näher kommen könnte.
Im gleichen Zusammenhange bespricht Siegel
die Stellung der Bewohner der „Garthusen". Er
hätte zur Klärung des Begriffes die Kasseler Ver
hältnisse, wie sie N e b e l t h a u (Zeitschr. f. h. G.
XII., S. 276 f.) schildert, heranziehen können, wo
der Begriff der Garthusen und ihrer Einwohner,
der „hortulani“, sehr genau definiert ist.
Zur Geschichte der Stadtkirche S. Anna muß
man bedauern, daß Siegel die prächtigen Ausfüh
rungen, die wir R. Hamann und K. W i l -
helm-Kästner verdanken („Die Elisabeth-
kirche zu Marburg und ihre künstlerische Nach
folge", — S. 180, — Marburg 1924) nicht ge
kannt und beachtet hat. Das Bild der Ent-
. stehungsgeschichte der Wolfhager Stadtkirche hätte