Full text: Hessenland (40.1928)

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Bericht ihres ersehnten und zerstörten Mutter- 
glückes erschüttert; das beklagenswerte Los der 
Frauen spricht aus der Erzählung des alten 
Komödianten, ist der wehe Inhalt in dem 
Trauerspiel der Namenlosen, die den weißen 
Tod im Hochgebirge sucht und findet. Auch 
die erotischen Erlebnisse Lampioons haben die- 
sen Zug ins Glücklose. Zuweilen möchte man 
diesem übersinnlichen Freier und seiner Lei- 
denschaft etwas weniger Allzumenschliches 
wünschen, dann aber wieder versöhnt uns die 
Feinheit und Reinheit der Empfindungen und 
Liebesergüsse. Welchen Reichtum an Melo 
dien enthält der „Brief an Bettina", bergen 
die Träumereien über „Ingeborg", welche 
Güte und Grazie liegt in dem Ausklang des 
Buches, in diesem Verliebtsein in eine „kleine 
Birke". „Kleine Birke, flüstere ich vor mich 
hin, wir beide, kleine Birke ... ich bin heute 
auch so traurig, weißt du . . ." Und an einer 
anderen Stelle: „An ihrer Oberfläche sind die 
Dinge dieser Welt so schön. Da zittert der 
Hauch, der bunte Schmelz, die unsagbare 
Süße." Mit diesen Teilen seiner Dichtung 
berührt Manfred Hausmann den großen hes 
sisch-romantischen Träumer, den Prinzen Rosa 
Stramin. 
Bei allem Ernst, aller Entsagung, allem 
Rätselhaften des Lebens, das Lampioon über 
winden möchte, bricht sich als zukunftsfrohes 
Zeichen für den Dichter ein kraftvoller Humor 
hindurch, der versöhnend über die Torheiten 
der lieben Zeitgenossen lächelt. Das zeigt die 
heitere Reise in vierter Wagenklasse, davon 
zeugt das entzückende Kapitel vom Paffauer 
Trachtenfest und sein übersprudelnder Humor 
unter den verschüchterten und geküßten Mäd 
chen. 
Ein kurzes Wort noch über die vor dem 
Roman erschienenen Novellen des Dichters. 
Auch hier nimmt das erotische Erlebnis brei 
teren Raum ein. Seine Träger sind Nord 
deutsche, Schwerblütige, denen das Geständnis 
um den Zusammenklang hart ankommt, denen 
das Schweigen näher liegt denn das Plaudern, 
nud selbst in seiner sonnigsten Erzählung „D i e 
Frühlingsfeie r"* *), der einzigen Novelle, 
die am Ausgang zwei glücklich Vereinte sieht, 
wird viel gegrübelt und philosophiert über 
Gott und die Geheimnisse der Welt, viel mehr 
als sonst bei solch jugendlich Heißblütigen, wie 
dieser Dirks und seine Hertha sind, geschehen 
*) Vertag Carl ©cfyünemann-Vremen. 
mag. Anders sind die Menschen in „D i n a 
B o ck s d o r n"*) aus der Sammlung „O r - 
gelkaporge l".*) Diese arme Dina, 
die die Schönheit ihres jungen Leibes dem Ge 
liebten opfert, um ihm das Glück, die Erlösung 
zu bringen, steht in der deutschen Dichtung 
nicht ohne Vorbilder. Aber wie der Dichter 
diese andere Maria Magdalena ihr Geschick er 
füllen läßt und im Ausgang der Erzählung 
diesen grauenhaften Kampf zwischen dem Pater 
des Mädchens und ihrem Perführer mit den 
rücksichtslosesten Mitteln einer darstellenden 
Kunst daneben setzt, das ist bei allem Wider 
spruch, den diese Szene erfahren wird, dennoch 
groß und bedeutend. Weit friedlicher sind die 
beiden Menschen in der „B e g e a n u n g" aus 
der bei Reclam erschienenen Sammlung 
„IungeDeutsch e", eine stille Geschichte, 
die in ihrer liebevollen Kleinstadtschilderung 
an Ottomar Enkings beste Bücher erinnert. 
Auch in der Wesenszeichnung der beiden, die 
in ihrer einfach mutigen Art ihr Schicksal tra 
gen, ist ganz die Stimmung jener Welt getrof 
fen. Schließlich fehlt in den übrigen Erzäh 
lungen die erotische Linie nicht ganz. Sie bricht 
zum Verbrecherischen aus in „Holde r", aus 
der „F r ü h l i n g s f e i e r". Hier ist natu 
ralistisch im besten Sinne gestaltet, und das 
Grauen in dieser Darstellung wird wieder aus 
geglichen durch das versöhnende Mitleid um 
diesen verachteten, verirrten Menschen. Ebenso 
ist in der Novelle „T j a r k s", aus „Orgel- 
k a p o r g e l" die Sehnsucht eines von Natur 
nicht mit Schönheit Begabten, dieses Grob- 
gliederigen mit den roten, behaarten Händen, 
nach dem kleinen Kontorfräulein, das ihm der 
Inbegriff des Liebesglückes bedeutet, führend 
für die Handlung. Seines Dichters Liebe aber 
umgibt diesen von der sogenannten feinen Ge 
sellschaft Gemiedenen und macht ihn zum Hel 
den eines wilden Geschehens. Roch stärker er 
scheint diese Liebe in dem reizenden Märchen 
„O r g e l k a p o r g e l", die einen verwitter 
ten, zum Krüppel geschossenen Soldaten, der 
die Orgel in den Hinterhöfen dreht, und ein 
kleines Proletarierkind zur Paradiesespforte 
leitet. Zu den Verkannten gehört auch der 
Held einer Bubengeschichte „O n t j e A r p s" 
(in den „Verirrte n")*), Was wir an 
dieser herrlichen Geschichte von der Freund 
schaft zweier Knaben am meisten bewundern, 
ist das feine Verständnis für die kleinen und 
großen Leiden eines Knaben in der Ueber- 
*) Vertag Earl Sch imema n n-Bre men. 
*) Verlag Reclam.
	        

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