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Bericht ihres ersehnten und zerstörten Mutter-
glückes erschüttert; das beklagenswerte Los der
Frauen spricht aus der Erzählung des alten
Komödianten, ist der wehe Inhalt in dem
Trauerspiel der Namenlosen, die den weißen
Tod im Hochgebirge sucht und findet. Auch
die erotischen Erlebnisse Lampioons haben die-
sen Zug ins Glücklose. Zuweilen möchte man
diesem übersinnlichen Freier und seiner Lei-
denschaft etwas weniger Allzumenschliches
wünschen, dann aber wieder versöhnt uns die
Feinheit und Reinheit der Empfindungen und
Liebesergüsse. Welchen Reichtum an Melo
dien enthält der „Brief an Bettina", bergen
die Träumereien über „Ingeborg", welche
Güte und Grazie liegt in dem Ausklang des
Buches, in diesem Verliebtsein in eine „kleine
Birke". „Kleine Birke, flüstere ich vor mich
hin, wir beide, kleine Birke ... ich bin heute
auch so traurig, weißt du . . ." Und an einer
anderen Stelle: „An ihrer Oberfläche sind die
Dinge dieser Welt so schön. Da zittert der
Hauch, der bunte Schmelz, die unsagbare
Süße." Mit diesen Teilen seiner Dichtung
berührt Manfred Hausmann den großen hes
sisch-romantischen Träumer, den Prinzen Rosa
Stramin.
Bei allem Ernst, aller Entsagung, allem
Rätselhaften des Lebens, das Lampioon über
winden möchte, bricht sich als zukunftsfrohes
Zeichen für den Dichter ein kraftvoller Humor
hindurch, der versöhnend über die Torheiten
der lieben Zeitgenossen lächelt. Das zeigt die
heitere Reise in vierter Wagenklasse, davon
zeugt das entzückende Kapitel vom Paffauer
Trachtenfest und sein übersprudelnder Humor
unter den verschüchterten und geküßten Mäd
chen.
Ein kurzes Wort noch über die vor dem
Roman erschienenen Novellen des Dichters.
Auch hier nimmt das erotische Erlebnis brei
teren Raum ein. Seine Träger sind Nord
deutsche, Schwerblütige, denen das Geständnis
um den Zusammenklang hart ankommt, denen
das Schweigen näher liegt denn das Plaudern,
nud selbst in seiner sonnigsten Erzählung „D i e
Frühlingsfeie r"* *), der einzigen Novelle,
die am Ausgang zwei glücklich Vereinte sieht,
wird viel gegrübelt und philosophiert über
Gott und die Geheimnisse der Welt, viel mehr
als sonst bei solch jugendlich Heißblütigen, wie
dieser Dirks und seine Hertha sind, geschehen
*) Vertag Carl ©cfyünemann-Vremen.
mag. Anders sind die Menschen in „D i n a
B o ck s d o r n"*) aus der Sammlung „O r -
gelkaporge l".*) Diese arme Dina,
die die Schönheit ihres jungen Leibes dem Ge
liebten opfert, um ihm das Glück, die Erlösung
zu bringen, steht in der deutschen Dichtung
nicht ohne Vorbilder. Aber wie der Dichter
diese andere Maria Magdalena ihr Geschick er
füllen läßt und im Ausgang der Erzählung
diesen grauenhaften Kampf zwischen dem Pater
des Mädchens und ihrem Perführer mit den
rücksichtslosesten Mitteln einer darstellenden
Kunst daneben setzt, das ist bei allem Wider
spruch, den diese Szene erfahren wird, dennoch
groß und bedeutend. Weit friedlicher sind die
beiden Menschen in der „B e g e a n u n g" aus
der bei Reclam erschienenen Sammlung
„IungeDeutsch e", eine stille Geschichte,
die in ihrer liebevollen Kleinstadtschilderung
an Ottomar Enkings beste Bücher erinnert.
Auch in der Wesenszeichnung der beiden, die
in ihrer einfach mutigen Art ihr Schicksal tra
gen, ist ganz die Stimmung jener Welt getrof
fen. Schließlich fehlt in den übrigen Erzäh
lungen die erotische Linie nicht ganz. Sie bricht
zum Verbrecherischen aus in „Holde r", aus
der „F r ü h l i n g s f e i e r". Hier ist natu
ralistisch im besten Sinne gestaltet, und das
Grauen in dieser Darstellung wird wieder aus
geglichen durch das versöhnende Mitleid um
diesen verachteten, verirrten Menschen. Ebenso
ist in der Novelle „T j a r k s", aus „Orgel-
k a p o r g e l" die Sehnsucht eines von Natur
nicht mit Schönheit Begabten, dieses Grob-
gliederigen mit den roten, behaarten Händen,
nach dem kleinen Kontorfräulein, das ihm der
Inbegriff des Liebesglückes bedeutet, führend
für die Handlung. Seines Dichters Liebe aber
umgibt diesen von der sogenannten feinen Ge
sellschaft Gemiedenen und macht ihn zum Hel
den eines wilden Geschehens. Roch stärker er
scheint diese Liebe in dem reizenden Märchen
„O r g e l k a p o r g e l", die einen verwitter
ten, zum Krüppel geschossenen Soldaten, der
die Orgel in den Hinterhöfen dreht, und ein
kleines Proletarierkind zur Paradiesespforte
leitet. Zu den Verkannten gehört auch der
Held einer Bubengeschichte „O n t j e A r p s"
(in den „Verirrte n")*), Was wir an
dieser herrlichen Geschichte von der Freund
schaft zweier Knaben am meisten bewundern,
ist das feine Verständnis für die kleinen und
großen Leiden eines Knaben in der Ueber-
*) Vertag Earl Sch imema n n-Bre men.
*) Verlag Reclam.