Full text: Hessenland (40.1928)

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gäbe des Staates ist, dann bleibt zu hoffen, 
daß der Sinn für die geistpolitische und volk 
hafte Verpflichtung, die sie darstellt, tiefer und 
eindringlicher in das Bewußtsein der Men 
schen, der Stammesgenossen und ihrer Körper 
schaften eindringt, als es bisher der Fall ge 
wesen ist- Hierfür den Sinn und das Ver 
ständnis zu wecken und zu fördern, ist die Auf 
gabe des Bezirkskonservators, der, ein echter 
Mittler und ehrlicher Makler, nicht nur Ver 
waltungsbeamter, sondern in erster Linie Ge 
lehrter, Forscher sein muß, dessen nicht welt 
fremdem, sondern weltoffenem Sinn die 
Komplexe der Technik und der Wirtschaft nicht 
verschlossen sein dürfen. Dazu muß ihm die 
Fähigkeit zu eigen sein, durch gute Menschen 
kenntnis aufklärerisch und erziehend zu wir 
ken. Mit staatlichen Verordnungen und Ver 
waltungsimperativen ist allein nichts geleistet, 
um so mehr nicht, da ein Denkmalpflegegesetz in 
Preußen noch nicht geschaffen worden ist. Und 
wenn es ein solches Gesetz auch gäbe, dann 
bliebe es immer noch die Aufgabe des Konser 
vators, von dem Sinn und dem Wert seiner 
Arbeit menschlich zu zeugen und zu überzeugen, 
da die Kunstdenkmäler kein Besitz des abstrakten 
Staates, sondern der lebendigen, menschlichen 
Gemeinschaft sein müssen, aus der doch alle 
Kunst in ihrer Fülle und Kraft hervorgegangen 
ist; jener Gemeinschaft, die in den Selbstver 
waltungskörpern des Landes und der Kom 
munen ihren lebenserfüllten Ausdruck findet, 
oder ihn dort wenigstens finden sollte. 
Die bisherigen Bezirkskonservatoren unseres 
Landes find wissenschaftlich geprägte, schöpfe 
rische Persönlichkeiten gewesen; wir brauchen 
nur die Namen Bickell, von Drach und Holt- 
meyer zu nennen. Ihnen schließt sich Fried- 
rich Bleibaum, der bisherige ständige 
Vertreter des Bezirkskonservators, würdig an. 
In diese Stellung war er im April 1919 be 
rufen worden. Veranlassung waren neben sei 
ner praktischen und technischen Vorbildung auf 
dem Gebiet der Denkmalpflege hiermit zusam 
menhängende, kunstwissenschaftliche Arbeiten. 
Zunächst hatte Bleibaum eine Dissertation 
über den Hannoverschen Hofbildhauer Johann 
Friedrich Ziesenis verfaßt. Das bei der Ar 
beit über dieses Thema zusammengebrachte 
Material gab den Anstoß zu einem größeren 
Werke über die Bildschnitzerfamilien des Han 
noverschen und Hildesheimer Barock. Diese 
Arbeit hatte der Verfasser vor dem Kriege be 
reits im wesentlichen fertiggestellt, aber in 
folge der Kriegs- und Inflationszeit vermochte 
sie erst im Jahre 1924 im Druck zu erscheinen. 
Sie umfaßt alle Meister der Holzschneidekunst, 
die aus dem Kunstkreise Hannover, Celle, Hil 
desheim und Goslar in Erfahrung zu bringen 
find. Sie enthält nicht nur eine Lebens 
beschreibung dieser Meister, sie gibt auch eine 
Entwicklungsdarstellung der Formgebung aus 
der Zeit um 1620 bis 1780, also vom begin 
nenden Barock bis zum Abschluß des Rokoko- 
In dieser Arbeit wird dargestellt, wie die Bau- 
formen, der in Frage kommenden Architektur, 
dann die kirchlichen Einrichtungsgegenstände 
geworden sind, und wie ihre Formgebung aus 
dem Boden des Geisteslebens der Zeit zu be 
greifen ist. Ferner wird klar herausgearbeitet, 
wie sich die Unterschiede dieser formalen Ent 
wicklung innerhalb der verschiedenen Glau 
bensgemeinschaften ausprägen. Zum ersten 
Male ist dann der Versuch gemacht worden, 
eine übersichtliche Darstellung von der Form 
gebung des Ornaments an Hand datierbarer 
Beispiele zu leisten. Auch der Herkunft dieser 
ornamentalen Formgebung wird nachgegangen 
und gezeigt, welche besondere und verschieden 
artige Ausprägung sie auf deutschem Boden 
erfahren haben. Auf diese Darstellung des 
Ornaments und seine Entwicklung im 17. und 
18. Jahrhundert hat Bleibaum eine ganze 
Reihe Spezialforschungen mit großer Akribie 
begründet. Aufsätze über den Meister der 
Schnitzaltäre im Kloster Grauhof und über 
den Meister des Chorgestühls in der Kirche zu 
Lammspringe, die in „Alt-Hildesheim" er 
schienen sind, zählen ergänzend hierher. Dann 
sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten 
über den Maler Johann Georg Ziesenies, Vet 
ter des Bildhauers, wie über die Meister des 
heimischen Barock in Kassel und Fulda zu 
nennen. Hieraus hat Bleibaum vor einigen 
Jahren Auszüge in Lichtbildvorträgen be 
kanntgegeben, die im Rahmen des Hessischen 
Geschichtsvereins gehalten worden sind. 
Nachdem Bleibaum nach Kassel übergesiedelt 
war, leiteten ihn amtliche Arbeit und wissen 
schaftliches Studium ganz von selbst zu seiner 
Beschäftigung mit dem Kasseler Hofbildhauer 
Johann August Nahl dem Aelteren, dessen 
führende Stellung in der Entwicklung des 
norddeutschen Rokoko in figürlicher, ornamen 
taler und raumkünstlerischer Hinsicht Veran 
lassung gegeben hat, eine größere Monographie 
über diesen Meister demnächst im Verlag von 
Filser in Augsburg erscheinen zu lassen. Blei 
baum ist in dieser Arbeit vor allen Dingen be 
müht, die Bedeutung Rahls für das Rokoko am 
Hofe Friedrichs des Großen herauszustellen, 
da dort alles, was Raumschöpfungen und Lei
	        

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