75
gäbe des Staates ist, dann bleibt zu hoffen,
daß der Sinn für die geistpolitische und volk
hafte Verpflichtung, die sie darstellt, tiefer und
eindringlicher in das Bewußtsein der Men
schen, der Stammesgenossen und ihrer Körper
schaften eindringt, als es bisher der Fall ge
wesen ist- Hierfür den Sinn und das Ver
ständnis zu wecken und zu fördern, ist die Auf
gabe des Bezirkskonservators, der, ein echter
Mittler und ehrlicher Makler, nicht nur Ver
waltungsbeamter, sondern in erster Linie Ge
lehrter, Forscher sein muß, dessen nicht welt
fremdem, sondern weltoffenem Sinn die
Komplexe der Technik und der Wirtschaft nicht
verschlossen sein dürfen. Dazu muß ihm die
Fähigkeit zu eigen sein, durch gute Menschen
kenntnis aufklärerisch und erziehend zu wir
ken. Mit staatlichen Verordnungen und Ver
waltungsimperativen ist allein nichts geleistet,
um so mehr nicht, da ein Denkmalpflegegesetz in
Preußen noch nicht geschaffen worden ist. Und
wenn es ein solches Gesetz auch gäbe, dann
bliebe es immer noch die Aufgabe des Konser
vators, von dem Sinn und dem Wert seiner
Arbeit menschlich zu zeugen und zu überzeugen,
da die Kunstdenkmäler kein Besitz des abstrakten
Staates, sondern der lebendigen, menschlichen
Gemeinschaft sein müssen, aus der doch alle
Kunst in ihrer Fülle und Kraft hervorgegangen
ist; jener Gemeinschaft, die in den Selbstver
waltungskörpern des Landes und der Kom
munen ihren lebenserfüllten Ausdruck findet,
oder ihn dort wenigstens finden sollte.
Die bisherigen Bezirkskonservatoren unseres
Landes find wissenschaftlich geprägte, schöpfe
rische Persönlichkeiten gewesen; wir brauchen
nur die Namen Bickell, von Drach und Holt-
meyer zu nennen. Ihnen schließt sich Fried-
rich Bleibaum, der bisherige ständige
Vertreter des Bezirkskonservators, würdig an.
In diese Stellung war er im April 1919 be
rufen worden. Veranlassung waren neben sei
ner praktischen und technischen Vorbildung auf
dem Gebiet der Denkmalpflege hiermit zusam
menhängende, kunstwissenschaftliche Arbeiten.
Zunächst hatte Bleibaum eine Dissertation
über den Hannoverschen Hofbildhauer Johann
Friedrich Ziesenis verfaßt. Das bei der Ar
beit über dieses Thema zusammengebrachte
Material gab den Anstoß zu einem größeren
Werke über die Bildschnitzerfamilien des Han
noverschen und Hildesheimer Barock. Diese
Arbeit hatte der Verfasser vor dem Kriege be
reits im wesentlichen fertiggestellt, aber in
folge der Kriegs- und Inflationszeit vermochte
sie erst im Jahre 1924 im Druck zu erscheinen.
Sie umfaßt alle Meister der Holzschneidekunst,
die aus dem Kunstkreise Hannover, Celle, Hil
desheim und Goslar in Erfahrung zu bringen
find. Sie enthält nicht nur eine Lebens
beschreibung dieser Meister, sie gibt auch eine
Entwicklungsdarstellung der Formgebung aus
der Zeit um 1620 bis 1780, also vom begin
nenden Barock bis zum Abschluß des Rokoko-
In dieser Arbeit wird dargestellt, wie die Bau-
formen, der in Frage kommenden Architektur,
dann die kirchlichen Einrichtungsgegenstände
geworden sind, und wie ihre Formgebung aus
dem Boden des Geisteslebens der Zeit zu be
greifen ist. Ferner wird klar herausgearbeitet,
wie sich die Unterschiede dieser formalen Ent
wicklung innerhalb der verschiedenen Glau
bensgemeinschaften ausprägen. Zum ersten
Male ist dann der Versuch gemacht worden,
eine übersichtliche Darstellung von der Form
gebung des Ornaments an Hand datierbarer
Beispiele zu leisten. Auch der Herkunft dieser
ornamentalen Formgebung wird nachgegangen
und gezeigt, welche besondere und verschieden
artige Ausprägung sie auf deutschem Boden
erfahren haben. Auf diese Darstellung des
Ornaments und seine Entwicklung im 17. und
18. Jahrhundert hat Bleibaum eine ganze
Reihe Spezialforschungen mit großer Akribie
begründet. Aufsätze über den Meister der
Schnitzaltäre im Kloster Grauhof und über
den Meister des Chorgestühls in der Kirche zu
Lammspringe, die in „Alt-Hildesheim" er
schienen sind, zählen ergänzend hierher. Dann
sind in diesem Zusammenhang die Arbeiten
über den Maler Johann Georg Ziesenies, Vet
ter des Bildhauers, wie über die Meister des
heimischen Barock in Kassel und Fulda zu
nennen. Hieraus hat Bleibaum vor einigen
Jahren Auszüge in Lichtbildvorträgen be
kanntgegeben, die im Rahmen des Hessischen
Geschichtsvereins gehalten worden sind.
Nachdem Bleibaum nach Kassel übergesiedelt
war, leiteten ihn amtliche Arbeit und wissen
schaftliches Studium ganz von selbst zu seiner
Beschäftigung mit dem Kasseler Hofbildhauer
Johann August Nahl dem Aelteren, dessen
führende Stellung in der Entwicklung des
norddeutschen Rokoko in figürlicher, ornamen
taler und raumkünstlerischer Hinsicht Veran
lassung gegeben hat, eine größere Monographie
über diesen Meister demnächst im Verlag von
Filser in Augsburg erscheinen zu lassen. Blei
baum ist in dieser Arbeit vor allen Dingen be
müht, die Bedeutung Rahls für das Rokoko am
Hofe Friedrichs des Großen herauszustellen,
da dort alles, was Raumschöpfungen und Lei