Full text: Hessenland (40.1928)

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nicht über Zustände und Persönlichkeiten am 
kurfürstlichen Hofe äußerte, entsprach nur ihrem 
Taktgefühl. 
Als frühreifes und kunstempfängliches Mäd 
chen hatte sie von ihrem 16. bis zum 26. Le 
bensjahre die große Glanzzeit des Kasseler 
Theaters mit durcherlebt wie wenige. Die 
Namen der berühmten Schauspieler, Sänger 
und Musiker jener Tage habe ich zumeist erst 
aus ihrem Munde erfahren, ja bei der enthu 
siastischen Charakteristik Seydelmanns (dessen 
Kasseler Wirksamkeit damals fast 50 Jahre 
zurück lag!) zum erstenmal den Eindruck ge 
wonnen, daß auch ein Schauspieler als Künstler 
groß genannt werden dürfe. Fräulein Strub 
berg bewahrte aus diesem Jahrzehnt 1821 bis 
1831 und wohl auch noch aus späterer Zeit eine 
Fülle von Erinnerungen auf: vor allem Bil 
der der damaligen ständigen Mitglieder des 
Hoftheaters wie berühmter Gäste (Litho 
graphien und Zeichnungen) sowie Stammbuch- 
eintragungen: Ferdinand und Ludwig Löwe, 
Gerstäcker, die Haitzinger und die Rettich, So 
phie Schröder, Eßlair und Ludwig Devrient 
sind damals an mir vorübergezogen. 
Nach meiner Erinnerung trat sie mit den 
meisten dieser Bühnenkünstler auch in persön 
liche Beziehung: eben im Rahmen ihres väter 
lichen Hauses. Das Haus des wohlhabenden, 
ja als reich geltenden Tabaksfabrikanten Strub 
berg in der Königsstraße 149 (heute Nr. 39: 
das Residenzkaffee am Friedrichsplatz) war da 
mals einer der geselligen Mittelpunkte der 
Stadt: hier verkehrten gewisse Kreise der Hof 
gesellschaft und der Diplomatie mit Literaten, 
bildenden und darstellenden Künstlern, und 
eine Empfehlung an Strubberg sowie eine 
Einladung zu den Festlichkeiten und offenen 
Abenden des Hauses wurde von vielen Seiten 
begehrt. 
Zu den nächsten Freunden der Familie ge 
hörte der Geheime Kabinettsrat Rivalier von 
Meysenbug, dessen Kinder Wilhelm (der spä 
tere badische Minister) und Malvida aber noch 
die Schule besuchten: daß Malvida von Mey 
senbug, die in gewissen Auslandskreisen schon 
früh hohes Ansehen genoß, eine literarische 
Berühmtheit werden würde, hat Emilie Strub- 
Der neue Bezirkskonservator. 
Daß die Denkmalpflege, die den Kunstbesitz 
unserer öffentlichen Körperschaften zu be 
treuen hat, von größter kultureller Wichtigkeit 
ist, wird niemand bestreiten, dem das Leben 
berg (die zehn Jahre älter war), freilich nicht 
geahnt: die „Memoiren einer Idealistin" er 
schienen erst in ihrem Todesjahre 1876. 
Mit einer Empfehlung seines Hamburger 
Onkels Salomon Heine tauchte auch der Göt 
tinger Student HeinrichHeineim Hause 
Strubberg auf und hat in den Jahren 1820 
und 21 Kassel nie besucht, ohne dort Gast zu 
sein. Bon seinem Uebermut und seiner Un 
gezogenheit erzählte Fräulein Strubberg ein 
paar kleine Geschichten, von denen ich eine in 
besonders deutlicher Erinnerung habe. 
Heine war eines Tages bei Strubbergs ein 
gekehrt, als diese eine größere Festlichkeit ga 
ben, und er wurde natürlich aufgefordert, zu 
bleiben. Im Laufe des Abends bemerkte man, 
daß er fehlte, und man nahm einfach an, er 
habe sich mit polnischem Abschied entfernt. Als 
nun aber Fräulein Strubberg, um irgend 
einen verlangten Gegenstand zu holen, ihr im 
oberen Stock gelegenes Zimmer aufsucht, sieht 
sie mit jähem Schrecken — sich selbst, in Lektüre 
versunken, auf dem Sofa liegen. Mit einem 
lauten Aufschrei schlägt sie die Türe zu und 
enteilt dem „doppelten Gesicht", als sie eine 
helle Lache hinter sich vernimmt und dann 
Heines Stimme: „Fräulein Emilie, machen 
Sie keine Geschichten!" Der angehende Poet 
hatte sich aus der ihn langweilenden Gesell 
schaft entfernt, das Mädchenzimmer der Toch 
ter aufgesucht, zunächst ihren Kleiderschrank 
und dann ihren Bücherschrank geöffnet und es 
sich dann in Damenkleidung auf dem Sofa be 
quem gemacht: „Ihre Bücher sind mir viel 
interessanter als Ihre Gäste!" 
Auf meine Frage und Bitte äußerte Fräu 
lein Strubberg, sie glaube noch ein paar Bil 
letts und kleine Impromptus an Heine aus 
jener Zeit zu besitzen, aber sie hat vergeblich 
danach gekramt. Daß sie ein frühreifes und 
wohl etwas altkluges Wesen war, dafür spricht 
wohl die Vorstellung, die sie in ihrer Erinne 
rung bewahrte, daß sie Heine etwas bemuttert 
und sich um seine gesellschaftliche Erziehung 
bemüht habe. — Dieser war aber, wie wir jetzt 
glücklich wissen, fast acht Jahre älter als sie; 
er selbst gab bekanntlich vor, mit dem Jahr 
hundert gleichaltrig zu sein. 
des Volkes aus seinen natürlichen Zusammen 
hängen von Landschaft, Stamm und Stammes 
überlieferung am Herzen liegt. Und wenn die 
Denkmalpflege noch heute die offizielle Auf-
	        

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