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nicht über Zustände und Persönlichkeiten am
kurfürstlichen Hofe äußerte, entsprach nur ihrem
Taktgefühl.
Als frühreifes und kunstempfängliches Mäd
chen hatte sie von ihrem 16. bis zum 26. Le
bensjahre die große Glanzzeit des Kasseler
Theaters mit durcherlebt wie wenige. Die
Namen der berühmten Schauspieler, Sänger
und Musiker jener Tage habe ich zumeist erst
aus ihrem Munde erfahren, ja bei der enthu
siastischen Charakteristik Seydelmanns (dessen
Kasseler Wirksamkeit damals fast 50 Jahre
zurück lag!) zum erstenmal den Eindruck ge
wonnen, daß auch ein Schauspieler als Künstler
groß genannt werden dürfe. Fräulein Strub
berg bewahrte aus diesem Jahrzehnt 1821 bis
1831 und wohl auch noch aus späterer Zeit eine
Fülle von Erinnerungen auf: vor allem Bil
der der damaligen ständigen Mitglieder des
Hoftheaters wie berühmter Gäste (Litho
graphien und Zeichnungen) sowie Stammbuch-
eintragungen: Ferdinand und Ludwig Löwe,
Gerstäcker, die Haitzinger und die Rettich, So
phie Schröder, Eßlair und Ludwig Devrient
sind damals an mir vorübergezogen.
Nach meiner Erinnerung trat sie mit den
meisten dieser Bühnenkünstler auch in persön
liche Beziehung: eben im Rahmen ihres väter
lichen Hauses. Das Haus des wohlhabenden,
ja als reich geltenden Tabaksfabrikanten Strub
berg in der Königsstraße 149 (heute Nr. 39:
das Residenzkaffee am Friedrichsplatz) war da
mals einer der geselligen Mittelpunkte der
Stadt: hier verkehrten gewisse Kreise der Hof
gesellschaft und der Diplomatie mit Literaten,
bildenden und darstellenden Künstlern, und
eine Empfehlung an Strubberg sowie eine
Einladung zu den Festlichkeiten und offenen
Abenden des Hauses wurde von vielen Seiten
begehrt.
Zu den nächsten Freunden der Familie ge
hörte der Geheime Kabinettsrat Rivalier von
Meysenbug, dessen Kinder Wilhelm (der spä
tere badische Minister) und Malvida aber noch
die Schule besuchten: daß Malvida von Mey
senbug, die in gewissen Auslandskreisen schon
früh hohes Ansehen genoß, eine literarische
Berühmtheit werden würde, hat Emilie Strub-
Der neue Bezirkskonservator.
Daß die Denkmalpflege, die den Kunstbesitz
unserer öffentlichen Körperschaften zu be
treuen hat, von größter kultureller Wichtigkeit
ist, wird niemand bestreiten, dem das Leben
berg (die zehn Jahre älter war), freilich nicht
geahnt: die „Memoiren einer Idealistin" er
schienen erst in ihrem Todesjahre 1876.
Mit einer Empfehlung seines Hamburger
Onkels Salomon Heine tauchte auch der Göt
tinger Student HeinrichHeineim Hause
Strubberg auf und hat in den Jahren 1820
und 21 Kassel nie besucht, ohne dort Gast zu
sein. Bon seinem Uebermut und seiner Un
gezogenheit erzählte Fräulein Strubberg ein
paar kleine Geschichten, von denen ich eine in
besonders deutlicher Erinnerung habe.
Heine war eines Tages bei Strubbergs ein
gekehrt, als diese eine größere Festlichkeit ga
ben, und er wurde natürlich aufgefordert, zu
bleiben. Im Laufe des Abends bemerkte man,
daß er fehlte, und man nahm einfach an, er
habe sich mit polnischem Abschied entfernt. Als
nun aber Fräulein Strubberg, um irgend
einen verlangten Gegenstand zu holen, ihr im
oberen Stock gelegenes Zimmer aufsucht, sieht
sie mit jähem Schrecken — sich selbst, in Lektüre
versunken, auf dem Sofa liegen. Mit einem
lauten Aufschrei schlägt sie die Türe zu und
enteilt dem „doppelten Gesicht", als sie eine
helle Lache hinter sich vernimmt und dann
Heines Stimme: „Fräulein Emilie, machen
Sie keine Geschichten!" Der angehende Poet
hatte sich aus der ihn langweilenden Gesell
schaft entfernt, das Mädchenzimmer der Toch
ter aufgesucht, zunächst ihren Kleiderschrank
und dann ihren Bücherschrank geöffnet und es
sich dann in Damenkleidung auf dem Sofa be
quem gemacht: „Ihre Bücher sind mir viel
interessanter als Ihre Gäste!"
Auf meine Frage und Bitte äußerte Fräu
lein Strubberg, sie glaube noch ein paar Bil
letts und kleine Impromptus an Heine aus
jener Zeit zu besitzen, aber sie hat vergeblich
danach gekramt. Daß sie ein frühreifes und
wohl etwas altkluges Wesen war, dafür spricht
wohl die Vorstellung, die sie in ihrer Erinne
rung bewahrte, daß sie Heine etwas bemuttert
und sich um seine gesellschaftliche Erziehung
bemüht habe. — Dieser war aber, wie wir jetzt
glücklich wissen, fast acht Jahre älter als sie;
er selbst gab bekanntlich vor, mit dem Jahr
hundert gleichaltrig zu sein.
des Volkes aus seinen natürlichen Zusammen
hängen von Landschaft, Stamm und Stammes
überlieferung am Herzen liegt. Und wenn die
Denkmalpflege noch heute die offizielle Auf-