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beim Holzfällen im Hag einen starken Wolf
auf, der ihnen viel zu schaffen machte, bis sie
ihn zur Strecke brachten. Dieser Wolf lebt
noch heute im Namen und im redenden Wap
pen der Stadt. An ihrem alten Rathaus prangt
ein steinernes Wappenschild. Höchst lebensvoll
sieht man darauf den Wolf durch die drei
Bäume springen, die den Hag vorstellen. Wie
aber die drei Stämme ein mangelhaftes Abbild
des Hages sind, so ist auch der Wolf nicht gut
konterfeit. Das wilde Tier im Namen und
Wappen der Stadt, der beim Burgbau aufge
scheuchte Wolf im Hag, ist wahrscheinlich ein
Rittersmann gewesen und zwar einer aus dem
uralten hessischen Adelsgeschlecht der Wölfe
vom Gudenberg. — Die Ruinen der beiden
Gudenburgen liegen über Oberelsungen, zwi
schen Wolfhagen und seinem Nachbarstädtchen
Zierenberg. Wie das niederhessische Gudens-
berg war auch der Gudenberg im sächsischen
Hessen in heidnischer Vorzeit ein Heiligtum des
Hauptgottes Wuotan. Zu Wotans heiligen
Tieren gehören die Wölfe. Das Wappentier
der edeln Sippe, die an der alten Wotanstätte
saß, war ursprünglich nur ein Wolf, und zum
Unterschied von ihren Stammesvettern nann
ten sie sich danach die Wölfe.
Mit einer Jungmannschaft aus seinen Dör
fern, d. h. mit den jüngeren, nicht erbberech
tigten Bauernsöhnen, mag nun einstmals ein
Herr von Wolf ausgezogen sein, um im
Walde roden und ein sogenanntes Hagendorf
anlegen zu lassen. Er blieb Erb- und Ge
richtsherr in seinem Wolfhagen, hielt dort
Thing und Gericht — vielleicht im Juli, zur
Zeit des heutigen Viehmarktes — von seinem
Hagestol(stuhl) sprach er Recht über seine
Hagestolten oder seine — Echten! Das alte
Wort Ehe, dessen Sinn heute viel enger ist,
liegt als Stammwort dem Wörtchen „echt" zu
Grunde. Jener gestrenge Ritter war mit dem
neuen Dorf in einen Bund getreten, hatte so
zusagen eine Ehe mit den Hagendörflern ge
schlossen. Sie waren seine Ehaften oder Ech
ten, die er beschützte, vor die er seinen Schild
hielt, er war ihr echter, angestammter Herr,
dessen Rechtsspruch sie sich unterwarfen, dem
sie allein zinsten. — Was wußte der ferne
Landgraf von Thüringen in der wirren Zeit,
wo sein Geschlecht im Absterben lag, von dem
armen Heckendörfchen Wolfhagen, nah an der
Grenze seines Gebietes?
Aber die Männer, die er zum Burgbau aus
sandte, scheuchten den Wolf im Hag auf!
Schwierigkeiten über die Besitzverhältnisse ent
standen. Wohl konnte der Landgraf neben
Wolfhagen seine Burg bauen, aber zäh
hielten der Wolf und seine Echten an ihren
Rechten fest. Da mag es zum ersten Male als
Schlachtruf erklungen sein: Hie Echte von
Wolfhagen! — Endlich aber ergab sich der
Wolf, und der Landgraf belehnte ihn mit der
Burg Wolfhagen! Aus dem Hagendorf aber
machte er die Stadt, aus den Echten die Bürger
von Wolfhagen.
Die Wölfe vom Gudenberg errichteten sich
ein festes Steinhaus in Wolfhagen. Sie saßen
lange als erste im Rat der Stadt, waren Burge-
meister und zugleich Burgmannen daselbst. Im
Namen des Landgrafen hielten sie Thing für
seine Hintersassen, die Landgräflichen, und
richteten als echte Erbherrn weiter über ihre
Echten vom alten Wolfhagen. War am Ge
richtstag der ernste Spruch getan, so begann
ein fröhliches Feiern. Da buken die Weiber
der „Echten" als Festgebäck die runden Kuchen,
die „Echten"! Den Landgräflichen kamen die
nicht zu. Noch heut sondert sich der alteinge
borene Wolfhager streng ab von den Zugezoge
nen. Es dauert einige Generationen, bis eine
Familie zu den einheimischen zählt. Man kann
im Städtchen geboren und doch kein „Echter
von Wolfhagen" sein.
Aber trotzdem hat der Landgraf treue Bür
ger dort gehabt. Tapfer wußten sie seine
Stadt zu verteidigen, und im Grenzkrieg, wenn
sie von Türmen und Wällen schossen, oder aus
den Toren brachen, war der Ruf „Hie Echte
von Wolfhagen!" dem Feind kein willkomme
ner. Ob der alte Ruf nun ganz verklungen,
auch auf den hessischen Messen und Märkten
als friedlicher Lockruf verschollen ist?
So sind wir denn von einem aufs andere ge
raten. Ob die Vermutungen richtig sind?
War jenes beim Burgbau aufgescheuchte wilde
Tier kein Werwolf, sondern ein edler Wolf
vom Gudenberg? Stammt der Wolfhagener
Wappenwolf über das Wappentier der adligen,
noch blühenden Familie hin direkt von einem
Wotanswolf ab? Und das Nationalbackwerk,
— die Hauptsache bei unserer Gebäckstudie —,
die Echten, sind sie wirklich der frohen Feier
und dem Fest ihrer Wiederkehr — dem Ehe
bund zwischen dem edlen Wolf und seinen Ech
ten entsprossen? Ein Gelehrter muß beim
siebenhundertjährigen Geburtstagsfest der
Stadt Wolfhagen unsere Fragen beantworten.
Ganz sang- und klanglos dürfen wir Hessen den
Tag nicht vergehen lassen. Wie der alte Hers
felder Ruf: „Broder Lolls!" darf auch der
Wolfhagener nicht untergehen:
„Hier Echte von Wolfhagen!"