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Phot. Ernst Braun, Kastei
Blick vom Dörnberg aus gierenberg. Muschelkalkgebiet, Basaltberge: links der Gudenberg, rechts
der große Schreckenberg, vorn der Basaltkegel der Wichtelkirche. (Aus dem „Naturschutzkalender 1929",
Verlag I. Neumann-Neudamm. Preis 3.— NM.)
Da mein Mann auch in Thüringen eine
Bahn baute, schlug er mir vor, mit Kind und
Kegel und zur Annehmlichkeit auch mit un
serer Equipage auf einige Wochen nach dem
lieblichen Liebenstein zu gehen; das geschah
auch. Damals war Liebenstein noch kein Luxus
bad, — um so mehr befreundeten sich die
Kurgäste miteinander. Wir speisten zusammen,
machten gemeinsam reizende Ausflüge nach
Altenstein, Ruhla und dem Jnselsberg. Auch
der Aufenthalt in Liebenstein blieb eine schöne
Erinnerung.
Rach Kassel zurückgekehrt, durfte ich mein
herrliches, sorgenfreies Leben wieder genießen,
— dankbar empfand ich dieses Glück in tiefster
Seele. Eine angenehme Abwechslung boten
auch die Ausflüge nach Pyrmont, Wildungen
und nach Wilhelmsthal. Zu meiner Freude
kam auch meine liebe Mutter zu Besuch, um
mir wieder einmal in der bevorstehenden
schweren Stunde beizustehen; ich genas eines
Söhnchens, das aber leider nur drei Tage alt
wurde, — ich selbst war totkrank. Doch meine
gute Natur ließ mich bald wieder gesunden.
Mein unermüdlicher Mann baute weiter und
weiter in nah und fern. Deshalb blieb ihm
zu meinem Leidwesen wenig Zeit übrig, mein
so genußreiches Leben zu teilen. Gern er
füllte er mir jeden, ja den törichsten Wunsch
und noch darüber hinaus; nichts war ihm zu
kostbar, wenn es nur seinem Schönheitssinn
entsprach. Seine große Freigebigkeit erstreckte
sich nicht nur auf mich, auf seine Freunde und
Verwandten, sondern er bedachte auch die är
mere Bevölkerung. So ließ er mehrfach wäh
rend der Hungersnot Ende der vierziger Jahre
für diese Brot backen?)
So kam denn wieder einmal die Weih
nachtszeit heran — da planten wir mit un
seren Bekannten für Silvester eine Schlitten
partie, wie sie Kassel noch nicht gesehen haben
i) Dies bestätigte mir seinerzeit ber verstorbene
Muhlenbesitzer Hermann Sinning aus Grifte, indem
er mir gelegentlich eines Aufenthaltes in Grifte wört
lich sagte: „An diesem Tisch, auf diesem- Platz, wo
Sie sitzen, saß Ihr Vater und bat den m inigen, so
viel Brot, als ihm möglich wäre, zu backen, — er
würde es bann -durch Fuhrwerke abholen und- an die
ärmere Bevölkerung verteilen lassen-.
Die Herausgeberin-.