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tausend Masken gerade auf die Fledermaus,
welche in ihrer Nische fest zu hängen schien.
Wie scharf dieses Äuge sah, wissen wir und
wundern uns deshalb nicht, wenn in der näch
sten Pause der Quadrille Caliste durch die
Menge glitt und unter dem Vorwände, eine
Schleife an ihrem Kleide zu ordnen, gerade
auf die Nische und die Fledermaus in der
selben zueilte. Valentin wollte davon, aber
sie rief ihm zu: „Resteda, pauvre chauve-
souris; tu es bien à ta place, et je ne te
dérangerai pas." Kein Ton in ihrer kalten,
Hellen Stimme verriet, wie anders diese an
dasselbe Ohr noch kurze Zeit zuvor geklungen.
Ihre linke Hand wies spottend auf die In
schrift der Bude, woran Valentin lehnte, wäh
rend sie mit der Rechten eine diamantene
Agraffe fester in die gelockerte Busenschleife
steckte. Valentin blickte um sich und las über
der Tür: à fidèle berger! Erzürnt eilte die
Fledermaus aus ihrem Versteck hinweg und
verschwand unter der Menge.
Gabriele, welche ein paar Tage zuvor ihren
neuen Dienst als „Danae d’annonce" bei der
Königin angetreten hatte, schloß als die letzte
ihres Gefolges den Zug. Sie schaute so ernst
und fremd darein, schritt so gemessen und fei
erlich einher, als fühlte sie in diesem Kreise
sich wenig heimisch oder an falscher Stelle. Es
lag in dem schönen ruhigen Gesichte, das eher
einer Britin als der Französin hätte ange
hören können, ein solcher Ausdruck von Teil
nahmlosigkeit an allem Aeußern, vorüber
gehend sogar von Kälte und Strenge, daß Va
lentin, welcher ihr mit den Blicken folgte, bei
nahe davor erschrak. Mit tiefer Spannung
Heimat und Fremde.
H o ch f ch uln a chri cht e n. M a rbur -g : Am
31. Mai starb 85jährig einer der berühmtesten Ge
lehrten unserer Universität, der ord. Prof, für rö
misches und bürgerliches Recht Geh. Iustizrat Dr.
jur. Ludwig E n n e c c e r u s. In Wenigen Wochen
hätte er sein 69jähriges Doktorjubiläum begehen kön
nen. Ans Neustadt in Hannover gebärtig, übernahm
er schon 1873 eine Professur an unserer Universität,
wo er bis zu seiner là erfolgten Emeritierung rö
misches und deutschles bürgerliches Recht vertrat und
1882/83 das Amt des Rektors bekleidete. Weiten
Kreisen bekannt wurde er durch seine hervorragende
Mitarbeit am Bürgerlichen Gesetzbuch; sein Handbuch
hat alle ähnlichen Werke überflügelt. Neben seiner
wissenschaftlichen Tätigkeit war er lange Jahre hin
durch Reichstags-' und Landtagsabgeordneter und
einer der Führer der 'nationalliberalen Partei, ferner
Vertreter des Kreises Marburg im Provinzial land tag
und über '25 Jahre Mitglied des Provinzialrats in
Kassel. Auch an der Leitung des deutschen Juristen-
hing er an ihren reinen Zügen, und diese
Spannung wuchs bis zur Angst, so oft in zu
fälliger Fügung der Tanzfiguren der König
in Gabrielens Nähe geriet oder ihre Hand
faßte. Ihm kam es dann vor, wie wenn über
einen glänzenden Spiegel ein trüber Hauch
flöge. Der galante Schatten des Bearners
drängte sich mit sichtlicher Beflissenheit und
wiederholt an Gabriele. „Sie sind", flüsterte
er ihr in einem En-avant-deux zu, „wenig
im Charakter Ihrer Rolle, schöne Gabriele."
— Wie das, Sire? — „Kennen Sie die Ge
schichte unseres schönen Frankreichs so wenig,
um nicht zu wissen, daß die Gabrielen viele
Güte für die Heinrich haben müssen?" Hier
zerriß der Tanz die leise Unterhaltung; aber
Ierome verfehlte nicht, bei der nächsten Tour
wieder anzuknüpfen. „Soll ich, wie Heinrich
um Gabriele, als Bauer verkleidet um Sie
werben, da Ihr Auge noch immer so finster auf
den König blickt? — Sire, erwiderte sie, und
suchte vergeblich zu entschlüpfen, ich dachte
eben an das Ende jener Geschichte: an die
Orange, welche der armen Gabriele so schlecht
bekam. — „Von mir, Mademoiselle, erhielten
Sie eine andere Frucht: den Apfel, wenn ich
Paris wäre." — Der Apfel ist eine verbotene
Frucht, so steht in der Bibel. — „Sind die
verbotenen Früchte nicht die süßesten?" —-
Für Kinder vielleicht, gewiß nicht für einen
König! — „Sie ist zum Entzücken", sagte Ie
rome vor sich hin, während Gabriele kalt und
ernst, mit einer tiefen Verbeugung, seine Hand
losließ. Die Quadrille trennte sie.
(Fortsetzung folgt.)
tages war er in hervorragender Weife 'beteiligt. Durch
feine grundlegenden Arbeiten über das Rechtsgeschäft
des gemeinen Rechts und fein Lehrbuch- der bürger
lichen Gesetze hat er sich ein bleibendes Denkmal ge
fetzt. — Dem a. o. Professor für -alte Geschichte, Ober
studienrat Dr. Wilhelm Enßli n-, wurd-e ein Lehr
auftrag zur Vertretung der Geschichte d-er späteren
römischen Kaiserzeit mi-t besonderer Berücksichtigung
der Kultur und Wissenschaft erteilt. — Der Privat
dozent Dr. ing. et php. Friedrich Wachtsm u t h
wird an der Wissenschaftlichen Expedition zur Unter
suchung und Ausgrabung der Ruinenstätten von
Ktesiphon und Seleukia am Tigris bei Bagdad im
kommenden Winter teilnehmen. — Am 22. Mai hielt
Dr. phil. Jost Trier feine AntrittsVorlesung über
„Innere Sprachform". — Am 19. Mai fand die end
gültige Immatrikulation der Studierenden d>es 'Som
mersemesters statt, die durch den Rektor Iber Univer
sität, Freiherrn v. Soden, in einer Ansprache begrüßt
wurden. Neu eingeschrieben ftnb diesmal 1745 Stu-