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la battre que chez eile. On te mettra au
castel; triste prison oü tu mangeras de l'eau
et boiras du pain." Laut schallendes Geläch
ter, während dessen einzelne Zuschauer weiter
zogen zu einem Quacksalber, der im Scharlach
rocke, unter einer großen, gepuderten Flachs
perücke, mit Manschetten und Papier und
einem riesenhaften Fächer angetan, seine
Kranken auf dem Markte behandelte: „Voila,
messieurs et dames; nur heran, als heran!
hier is ssick su sseen, wie ein Franzos eine
blinde Eß stein Staar stickt! Kost gar nix,
steine steer outerhalti! Voila, Mesdames et
messieurs, wie ein Franzos eine alte Eß ssein
lange Sopf absneit! Kost gar nix, ssein steer
lustik!" Der blinde Heß, eine sehr charakte
ristische Figur aus der bekannten alten Schule,
krümmte sich gewaltig unter der ungeheuren
Nadel und Schere des Arztes, welche ihm in
das trübe Glasauge stach und den langen,
steifgewickelten Zopf mit kühnem Schnitte am
putierte. Wiederum schallendes Gelächter, und
wiederum weiter zu dem italienischen Im
provisatore, der seine Kanzonetten in neapo
litanischem Volksdialekte absang und mit der
Guitarre begleitete, zu dem Sklavenmarkte,
wo ein bärtiger Türke Frauen aller Farben
und Formen ausstellte, zu der französischen
Bauernhochzeit, der russischen Bauernschenke,
dem westfälischen Bauerntanze, — von einem
Bild, von einem Kreise zum andern, die in
holder Verschlingung einander ab- und auf
lösten und, wie im treuesten Spiegel, Gestalten
und Szenen jeder Zeit und jeder Zone wech
selnd vorüberführten. —
*) Hier, an ¡bet Grenze zwischen Wahrheit und
Dichtung, bin ich item Leser eine Erklärung über
beider Verhältnis zu einander schuldig. Mein Ro
man hat natürlich leine Menge erfundener Gestalten:
so der Held, Valentin, itrib seine Schwester Marie,
deren Bekanntschaft in der ersten Mitteilung an diese
Blätter flüdbtigi bereits angeknüpft wurde; so Ga
briele und ¡der Tiroler, welche in diesem Bruchstücke
zu erscheinen die Ehre haben werden. Reben solchem
Eigentume des Dichters steht daun, was er als 'ge
schichtliche Ueberlieferung an sich nahm: der König,
die Königin, ihr Hofstaat in einzelnen, hervorragen
den Figuren, wie Moria, der ebenfalls schon einge
führt worden ist. Natürlich habe ich mir in den Be
ziehungen meiner erdichteten Personen zu benen der
Wirklichkeit alle Freiheit genommen; aber ich bin
'auch- einen Schritt weiter gegangen und habe, wo es
nötig wurde, erdichtete Personen den geschichtlichen
In solchem Gewühle hat, verzeihlicher-
masten, unsere Erzählung ihre eigenen Ge
stalten für eine Weile aus dem Auge ver
loren. Suchen wir dieselben auf.*)
Valentin flatterte als graue Fledermaus
in dem Lichtermeer umher. Aber seine Flügel
waren leichter als sein Sinn. Zum ersten
Male seit dem entscheidenden Bruch mit Ma
dame Morio begegnete er ihr auf dem Balle,
nachdem er wochenlang, ob aus Mut oder
Schwäche, absichtlich jede Gelegenheit vermie
den, sie zu sehen. Auch hier wünschte er nicht,
ihr gegenüberzustehen; er hätte ganz weg
bleiben mögen, wenn ihn nicht das Interesse
an Gabriele in den Wirbel gezogen. O wie
klopfte ihm das Herz, als beide, die Frau und
das Mädchen, welche ihn so nahe angingen,
im ersten Zuge der Königin an ihm vorüber
schwebten! Caliste erschien ihm schöner, als
er jemals sie gesehen: das feine Ebenmaß ihres
Wuchses, jene schlangenhafte Beweglichkeit der
Gestalt, wie sie den Kreolinnen eigen ist, der
unaussprechliche Zauber, welcher als die voll
endetste Verbindung natürlichen Reizes und
künstlicher Ausbildung ihr ganzes Wesen um
schwebte, das alles überschlich und umstrickte,
wie er von fern stand, seine Sinne wieder mit
berückender Gewalt. Er mußte die Hand fest
aus das Herz pressen, um ein ungestümes
Bocken niederzuhalten. „Caliste", murmelte
er in sich, „ja wahrhaftig, Caliste, die Schönste
von allen!" Sie war, wie der gesamte könig
liche Zug, ohne Larve. Ihr Auge, — gibt es
denn wirklich einen magnetischen Zug und
Strom in der geistigen Welt der Leidenschaf
ten? — ihr großes Auge fiel unter den fast
untergeschoben. So namentlich Madame Morio. Adele
Morio kommt in keiner der zahlreichen Quellenschrif
ten und- Zeitdenkmäler, welche ich für meine Zwecke be
nutzt, als „galante Frau" vor; im Gegenteil wird
ihres schönen Verhältnisses zu dem Gatten und ihrer
Trefflichkeit als Frau und' Mutter ebenso oft wie
ihrer ¡Schönheit rühmliche' 'Erwähnung getan. Diese
Gestalt paßte nicht in meine Komposition': ich habe
deswegen eine eigene, etdichtete Madame Morio
hinter die geschichtliche gestellt und' sie deswegen 'auch
aus Adele in Caliste umgetauft. 'Gleiche Freiheit
nahm ich mir an feiner Stelle mit ¡dem tragischen
Ende ihres ¡Gemahls, das ich als Tatsache beibehielt,
aber in ¡seinen Motiven verwandelte. Ich bemerke
das nur, um Reklamationen zu begegnen, 'die eben
sowohl aus persönlichen Gründen, wie aus 'geschicht
lichen Bedenken gegen mich sich erheben könnten.
A n m. d. V e r f.