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pflegte. Der König fand so großen Geschmack
an diesem Vergnügen, daß im Schlosse wieder
holte Freiredouten gegeben wurden, zu denen
in leichtherziger, nicht immer wählerischer
Verschwendung Einladungen an Einheimische
und Fremde ergingen. Es ist schwer, von der
rauschenden Bewegung auch nur ein schwaches
Bild zu geben, die um jene Zeit Straßen und
Plätze vom frühen Morgen bis in die späte,
sinkende Nacht durchströmte. Gerassel der
Wagen, alle Gassen auf und alle Gassen nie
der, — in allen Läden unaufhörliches Ge
dränge kauflustiger Herren und Frauen, —
überall plaudernde Gruppen, die von den Ge
heimnissen ihrer Verkleidung sich unterhielten
und im Schutze vollkommenster Maskenfrei
heit zarte Neckereien und Intriguen verab
redeten, — alle Schneider und Schneiderinnen
in atemloser Verzweiflung, — alle Kaufleute
in händereibendem Jubel über das Aufschla
gen selbst der festesten Preise für ein Stück
Seide oder Tafst, eine Elle Band oder Borte,
eine Glas-- und Spiegelscherbe, — alle Liefe
ranten des Hofs und der vornehmen Häuser in
ihrem Vorräte an feinen Weinen und Deli
katessen fast erschöpft, — alle Tage ein Kurier
von Paris mit großen, fest versiegelten Pa
keten: so ging es, so kam es, so floß es, so
wogte es in einer betäubenden Flut der Ar
beit und des Genusses, der Erwartung und
der Ermüdung, des Reizes und der Er
schöpfung!
Bis zum Fieber steigerte sich dies Leben
voll Glanz und Glück, als es dem Ende nahte:
in der Woche vor den Fasten, während deren
jede rauschende Lustbarkeit streng verpönt war.
Am Donnerstag die letzte Redoute im The
ater. Am Freitag ein Ball bei dem Finanz
minister v. Bülow. Am Montag ein Ball bei
Simeon, dem Minister der Justiz. Am Diens
tag, dem fetten Vorläufer des mageren
Aschermittwochs, allgemeiner Kehraus im
königlichen Schlosse.
Auf diese Freiredouten, zu welcher 800
Karten ausgeteilt worden, führen wir den ge
neigten Leser. Es ist Dienstag, die neunte
Abendstunde des 14. Februar 1809. Treten
wir ein, kraft dem Rechte, welches die freie
Kunst uns verleiht, obgleich sie nicht „hof
fähig" macht. Treten wir ein in den goldenen
Saal, dessen stolz geschwungene Wölbung und
weißgipsernes Laubwerk von den majestäti
schen Weisen der ersten Polonaise bald wi
derhallen wird, dessen reiche Vergoldung in
hundert Spiegeln bei dem Schein von tausend
und abertausend Kerzen flammend sich wie
derholt, dessen ganze Länge, 150 Fuß, dessen
ganze Breite, 40 Fuß, von einem Gewirr der
malerischesten Trachten, von einem Geschwirre
der süßesten Stimmen belebt ist. Treten wir
ein!
Aber halt! Fesselt uns nicht auf der
Schwelle ein Gefühl eigentümlicher Wehmut
und gespenstischen Schauders, wenn vorüber
gehend ein kalter Hauch der Wirklichkeit durch
das bunte Reich unserer Dichtung streift?
Dieser Hauch kommt aus dem Grabe; er
wehet wie Moderduft unsere glühende Stirn
an! Wo sind sie, jene weiten Säle, jene glän
zenden Räume? — In Asche zerstoben, in
Staub verflogen; längst, längst! Wo sind sie,
jene glühenden Blicke, die aus dem Samt der
Halblava uns entgegenloderten, jene herr
lichen, hochgegürteten Gestalten, die im ver
schlungenen Reigen vorüberschwebten, jene
weißen Schultern und runden Arme und flie
genden Busen, dem begehrlichen Auge des
Mannes und dem lüsternen Sviele des Lichtes
preisgegeben, jene duftenden Locken und fun
kelnden Diademe, jene wallenden Gewänder
und bauschenden Mäntel, jene phantastischen
Verhüllungen und Verwandlungen, worunter
Liebe und Leidenschaft einander suchen und
finden, anziehen und abstoßen, umfassen und
verlassen?? — In Asche zerstoben, in Staub
verflogen; längst, längst! Vielleicht, daß hier
und da ein Haupt noch unter den Lebendigen
ragt, welches damals den priesterlichen Kranz
der Freude vollgrünend mitgetragen; aber
das Haar dieses Hauptes ist grau geworden,
wie sein Kranz welk. Vielleicht, daß mancher
Fuß. welcher damals beflüaelt über das glatte
Varkett glitt, durch die Wüste des Alters noch
jetzt sich langsam fortschleppt. Die andern,
die meisten — in Asche zerstoben, in Staub
verflogen; länast. längst!
Rein, abgeschüttelt die erste Mahnung an
das Vergängliche des Vergangenen; dies soll
noch einmal wirklich, soll gegenwärtig werden
unter dem Zauberstabe der Dichtkunst. Das
Grab gibt seine Toten zurück; die Schatten
erstehen in Fülle und Frische des Lebens. Wie
Oberons Horn ruft und lockt die schmetternde
Fanfare vom Orchester. Komm! Deinen
Arm, schöne Leserin: und mitten hinein stür
zen wir in den festlichen Jubel, in einen
überschäumenden Strom, dessen Wellen hoch
über uns zusammenschlagen!
Reun Uhr abends! Der Hof ist noch nicht
da: so haben wir Zeit, uns umzuschauen. Zu
erst in dem goldenen Saale, welcher beute
mehr noch als sonst durch prachtvolle Aus-