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sonders schlimm treibt's der Klaus. Nicht nur,
daß er selbst fast den ganzen Tag lang im Wirtshaus
steckt und die anderen dazu verführt, er macht
auch meinem Vater selbst dienstlich viel Schwierig
keiten, ,5. B. ■ laßt er sich von den Schiffseigen
tümern seine Arbeit beim Durchlässen durch die
Brücke noch besonders bezahlen oder schmuggelt Be
kannte über die Brücke ohne Zoll oder unterläßt
Meldungen an den Vater und den Brückeninspektor.
Neulich wurden zum Durchlässen von Schissen zwei
Trefe abgefahren, ohne daß es, lvie Vorschrift ist,
von dem diensthabenden Brückemvärter —-. das war
Klaus — an unserem Schalter gemeldet wurde.
Vater stellte den Klaus darüber zur Rede. Der
entschuldigte sich aber mit einer Ausrede. Später,
als er jedoch etwas zu holen hatte, sagte er noch
Hönisch: „Nehmen Sie's nur nicht übel, Herr Er
heber, wenn ich Ihnen das Aufmachen der Brücke
nicht gemeldet habe. Aber es wird ja wohl kein
Unglück sein — und Sie haben es ja doch auch selbst
gesehen. Übrigens — wo soll ich denn eine solche
Meldung machen, ivenn Sie nicht am .Kassenfenster
sind, wie das ja heute der Fall war?" Als Vater
ärgerlich antwortete, es iväre doch gleich, wer da
am Fenster säße; ob er oder seine Frau oder die
Emilie (die älteste, erwachsene Tochter — aus
erster Ehe der Frau), er hätte seine Meldung unter
allen Umständen an der Kasse zu machen! Klaus
aber entgegnete gereizt, das stünde nicht in seiner
Instruktion und ging schimpfend davon. — Was
sagst du dazu — unverschämt, nicht wahr? Vater
ärgert sich über so etwas immer furchtbar, er ist
noch zu sehr militärische Zucht und Unterord
nung gewöhnt. Die anderen beiden sind ja nicht
so — der Siebert, meint Vater, wird durch seine
Frau — die war doch Kammermädchen beim Kur
fürsten in Kassel —- immer wieder zur Raison ge
bracht. Na, und der Rummel, der ist halt mehr
ein „Original", meint er, und ein gutmütiger
Mensch. Aber es könnte doch mit allen Dreien
noch einmal ein schlechtes Ende nehmen, sagte er!"
4. Das Waltersche und A n d r 6 s ch e
H a u s.
Am 22. Mai 1864, am zweiten Pfingsttag,
wurde Therese R. in der Schloßkirche durch Pastor
Bonhard konfirmiert. Nun war sie erwachsen und
also auch imstande, den Vater im Schalterdienst
ebenso lvie ihre 21 jährige Stiefschwester Emilie
mit zu vertreten. Allerdings hatte sie zunächst
noch wenig Zeit dazu, da sie noch bis zum Herbst
weiter in die Töchterschule ging, um sich zur
Lehrerein vorzubilden und dann das Institut von
Batz zu besuchen.
Eine Schulfreundin von ihr war Lina Wal
ter, die schone Tochter des Hofrats Dr. Walter,
int Eckhaus der Kanal- (Kaiser-) und Großen
.Marktstraße (Judengasse). Therese kam gelegent
lich auch in dieses Haus, was für sie einen ge
wissen Reiz hatte: denn hier endete, wie erzählt
wurde, mit dem Tode des Fräuleins Eva von
Frank die große polnische Tragikomödie, deren
glänzende erste Akte in dem voin Fiirsten dem
Baron von Frank anfänglich vermieteten Psen-
burgischen Palais in der Kanal-(Kaiser-)Straße
gespielt hatten. Diese Eva Frank sollte eine Toch
ter des Kaisers Alexander I. von Rußland ge-
ivesen seien, der sie auch am 5. November 1813
nach der Schlacht von Leipzig von Frankfurt a. M.
ans besuchte. Ihr vorgegebener Vater, der Baron
Jakob von Frank, hatte aus den Mitteln des
russischen Kaisers einen glänzenden Haushalt ge
führt, bis mit seinem Tode (1791) die Herrlichkeit
mit einer Schuldenlast von 3 Billionen Gulden
zusammenbrach. Ein Sohn starb plötzlich in Offen
bart), der andere war in die russische Armee ein
getreten und seitdem verschwunden. Die Tochter-
Eva zog vom „Polenhof" in das Waltersche Haus,
ivo sie noch jahrelang als alterndes Fräulein bis
zu ihrein Tode (1816/17) wohnte. 'Ein Gerücht,
das Therese auch kannte, behauptet, sie wäre nicht
wirklich gestorben, sondern nur vor ihren Gläu
bigern geflüchtet und habe statt ihrer eine Puppe
begraben lassen. Jedenfalls hatte die Verstorbene
im Sarg ein verhülltes Gesicht und wrirde dann
auch Nachts bei Fackelschein begraben. Nach Eva
Franks Tode kaufte ein Prinz Viktor von Psen-
bnrg das Haus, richtete es neu her und baute noch
ein Stockwerk daraus. Als er starb, erwarb es
ein .Hofrat Marschall und nach diesem Hofrat Wal
ter. Therese mußte lebhaft an die romantische
und nie recht aufgeklärte Geschichte der Eva Frank
denken, als sie das Waltersche Haus betrat.
Aber es hatte noch einen weiteren Reiz für
sie dadurch, daß hier auch ein Schriftsteller ge
weilt hatte, der ein Onkel ihrer Schulfreundin
(der Schivager von Linas Vater) war: es war
Karl G u tz k 0 w, der im Sommer 1860 nach seiner
Rückkehr aus Italien einige Monate mit Familie
hier gelebt und an seinem Romalt „Der Zauberer
von Rom" ■ geschrieben hatte.
Im Februar 1865 hatte sie selbst Gelegenheit,
Gutzkow zu sehen. Er befand sich nach einem
Selbstmordversuch, den er nach seinenr Fortgang
aus Weimar in Friedberg infolge von Nervenzer
rüttung gemacht hatte, einige Zeit in Behandlung
seines Schwagers, des Arztes Dr. Walter in Offen
bach, ehe er das Sanatorium Gilgenberg bei Bay
reuth aufsuchte. An einem schönen, sonnigen Fe
bruartage kam er — es war wohl sein erster
Aus gang — von seiner Frau geführt und in Be
gleitung seines Schwagers und dessen Tochter über
die Schiffbrücke. Der Hofrat Walter entrichtete
am Kassenfenster an den Erheber R. für die vier
Personen den vorgeschriebenen Kreuzer Brücken
geld. Als sie am Erheberhaus vorbei waren, trat
Therese, die sich im Hintergrund des Erheberzim
mers befunden hatte, hastig an den Vater heran
und sagte ihm, daß das soeben der Dichter Gutzkow
gewesen sei: sie habe ihn nach einem Bilde und
an der Begleitung von Walters erkannt. „Warum
hast du das nicht gleich gesagt?" fragte der Vater.