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Gesichtswinkel des Protestantismus bewertet. —
Soweit übrigens die Bürgerschaft sich dann der
Reformation zuwandte, stand sie im Bannkreise
Kursachsens, das natürlicherweise auch seine kirch
lichen Interessen politisch auszuwerten verstand;
— der Ansatz zur Reichssreiheit, der in Erfurt
vorhanden gewesen war, beruhte auf der Herrschaft!
der Stadt über die reichsfreie Herrschaft Kapellen-!
darf: auch hier möge eine hessische Parallele noch
erwähnt werden, nämlich daß die Reichsstandschaft
der hessischen Landgrafen aus der Belehnung mit
der Reichsstadt Eschwege und der Reichsburg Boyne-
burg ursprünglich beruht hatte. ■— Erfurt hatte
alw nach dieser Analogie alle Anwartschaft aus
die Erlangung der völligen Reichsfreiheit, die jedoch
in dem Kampfe von 1492 unterging. 11
Recht reiches Material besitzen wir über den
oben zuletzt genannten Eobanus Koch, den Dichter
Hel ins Eobanus Hess ns. Dieser war am
6. Januar 1489 als Sohn des Teich- und Fisch-
meisters des Klosters Haina geboren und hatte
durch den dortigen Abt Dietmar die erste Schul
bildung empfangen. * 12 Was allerdings in der Bio
graphie von Krause gesagt wird über den Kamps
der Generationen au der Universität Erfurt, die
der 16 jährige Eoban bezog, muß au .Hand der
oben berührten Benary'schen Angaben revidiert
iverden. 13 Die Universität hatte der Jüngling
int Jahre 1504 bezogen, aber schon im nächsten
Jahre begann ein Vorspiel des großen Aufstandes
von 1509, als das städtische Proletariat mit den
Studenten zusammenprallte. Dann trieb der Aus
bruch der Pest die Studenten aus der Stadt aus
die Wanderschaft, die auch Eoban mit mehreren
seiner Kommilitonen und Magister bis in seine
engste Heimat, nach Frankenberg, führte.
Rach Erfurt zurückgekehrt, trat Eobanus in Be
ziehungen zu Mutianus Rufus, der ganz im Geiste
der Renaissauee eine rationalistische Bibelkritik übte,
ivobei man an Erscheinungen unserer Tage er
innert wird, an Lehren, die sogar die Existenz
Christi in Frage stellten. Eobanus tvar dein
älteren Mutian durch ein Gedicht näher getreten,
vermutlich 1506, und dieser dankte dem jungen
Poeten. — Ohne uns in Einzelheiten des Ver
hältnisses beider Männer zueinander zu verlieren,
sei hier nur noch aus das eingegangen, was die
Beziehungen Eobans zu Erfurt direkt berührt. Der
arme Bauernsohn ward zuerst bei seinen Studien
durch den Abt und den Konvent zu Haina unter
stützt, dann nahm sich seiner ein anderer hessischer
Landsmann an, vielleicht aus Empfehlung des
Hainaer Abtes. Es war Johann e s Lasst h e,
Titularbischof, Domherr und Universitätslehrer.
Sein eigentlicher Name tvar Johannes Bonemilch
(Bonaemilius) und er entstammte dein Orte Lasphe
an der oberen Lahn. Auch aus einer armen Familie
n a. a. O. 2. 1.
12 Dr. Karl Krause: Helms Eobanus Hessus. Sein
Leben uno seine Werke. 2 Bände. (Gotha 1879.)
" a. a. O. I, 2. 25.
entsprossen, war er im kurmainzischen Dienste nach
Erfurt gekommen, und dort hatte er sich durch
seine Gelehrsamkeit und Geschäststüchtigkeit empor
gearbeitet. 1503 war er Rektor der Universität —
daß er wohlhabend getvordcu war, erkennen wir
daran, daß er im Jahre 1500 eine Seitenkapelle
der Michaelskirche aus seine Kosten erbauen ließ.
Ihm widmete nun auch Eobanus sein 1507 im
Druck erschienenes Lobgedicht aus die Universität,
das 600 Hexameter umfaßte. Und im gleichen
Jahre erlangte durch des Domherrn Vermittlung
Eoban das Rektorat der Stiftsschule zu St. Sevcri,
einer „Trivialschule", in der die grammatischen
Elemente des Lateins den Mittelpunkt des Unter
richts bildeten. Doch schon im nächsten Jahre
wieder büßte er diese Stellung sowohl als auch
einen Freitisch bei seinem Wohltäter ein. Es scheint
die Ursache gewesen zu sein, daß die Knaben dieser
Schule unrühmlich abstachen gegen die Schule an
St. Marien, was er aus ihrer Trägheit erklärt.
Jedenfalls ward ihm die Arbeit erschwert, auch
durch den Verlust des Freitisches völlig unlohnend,
zumal dann der Bischof und Domherr im Jahre
1508 abdankte und 1510 starb. Vermuten dürfen
wir auch hier bei dein Konflikte, daß der Dichter
Eobanus manchmal mit dem Schulmeister durch
gegangen ist.
Als daun der Dichter im Jahre 1509 die Ma
gisterwürde ertvorben hatte und wohl auch noch,
davon den üblichen Gebrauch machend, an der
Universität gelesen, schied er im Spätherbst jenes
Jahres aus der Stadt, die mit seinem literarischen
Werden so eng verknüpft ist.
Aber ivieder kehrte er nach Erfurt zurück, um
dort, inmitten des politisch und sozial verfallen
den Gemeinwesens eine glänzende Stellung in der
dort immer noch sich sammelnden Poetenschaft ein
zunehmen. Dort empfing ihn 1514 sein Lands
mann, E u r i c i u s Cordus, seit 1513 ein Ge
nosse des mutianischen Kreises, dessen Haupt, Mu
tianus Rufus, ihn auch wieder begeistert ivill-
kommen hieß.
Sich mit dem Schwulste jener damals vielbe-
ivunderten Dichtungen auseinanderzusetzen, hieße
den Lesern dieser Zeilen reichlich viel zumuten,
auch die Beziehungen der Erfurter Humanisten zu
Erasmus Roterdamus 9 , den Eobanus besuchte, wür-
den zu weit von unserem Thema ablenken; — er
wähnt mag nur noch iverden, daß nach der Stel
lungnahme des Erasmus gegen Luther auch Eoba-
uus sich gegen die Erfurter Reformationspartei
ivandte. Er war, gleich seinem freidenkerischen
Lehrer und Freunde Mutianus, der am 30. März
1526 aus diesem Leben schied, angewidert durch die
oft stürmischen Begleiterscheinungen der Reforma
tion. Die Ästheten konnten nicht begreifen, daß
sie mitten in einem welthistorischen Umwertungs
prozesse standen, und so klammerten sie sich an
das ihnen noch scheinbar feste Alte.
Nicht allzu gut kommt Eobanus Hessus
weg in der Darstellung K a l k o f f s, der ihn als