Full text: Hessenland (39.1927)

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Gesichtswinkel des Protestantismus bewertet. — 
Soweit übrigens die Bürgerschaft sich dann der 
Reformation zuwandte, stand sie im Bannkreise 
Kursachsens, das natürlicherweise auch seine kirch 
lichen Interessen politisch auszuwerten verstand; 
— der Ansatz zur Reichssreiheit, der in Erfurt 
vorhanden gewesen war, beruhte auf der Herrschaft! 
der Stadt über die reichsfreie Herrschaft Kapellen-! 
darf: auch hier möge eine hessische Parallele noch 
erwähnt werden, nämlich daß die Reichsstandschaft 
der hessischen Landgrafen aus der Belehnung mit 
der Reichsstadt Eschwege und der Reichsburg Boyne- 
burg ursprünglich beruht hatte. ■— Erfurt hatte 
alw nach dieser Analogie alle Anwartschaft aus 
die Erlangung der völligen Reichsfreiheit, die jedoch 
in dem Kampfe von 1492 unterging. 11 
Recht reiches Material besitzen wir über den 
oben zuletzt genannten Eobanus Koch, den Dichter 
Hel ins Eobanus Hess ns. Dieser war am 
6. Januar 1489 als Sohn des Teich- und Fisch- 
meisters des Klosters Haina geboren und hatte 
durch den dortigen Abt Dietmar die erste Schul 
bildung empfangen. * 12 Was allerdings in der Bio 
graphie von Krause gesagt wird über den Kamps 
der Generationen au der Universität Erfurt, die 
der 16 jährige Eoban bezog, muß au .Hand der 
oben berührten Benary'schen Angaben revidiert 
iverden. 13 Die Universität hatte der Jüngling 
int Jahre 1504 bezogen, aber schon im nächsten 
Jahre begann ein Vorspiel des großen Aufstandes 
von 1509, als das städtische Proletariat mit den 
Studenten zusammenprallte. Dann trieb der Aus 
bruch der Pest die Studenten aus der Stadt aus 
die Wanderschaft, die auch Eoban mit mehreren 
seiner Kommilitonen und Magister bis in seine 
engste Heimat, nach Frankenberg, führte. 
Rach Erfurt zurückgekehrt, trat Eobanus in Be 
ziehungen zu Mutianus Rufus, der ganz im Geiste 
der Renaissauee eine rationalistische Bibelkritik übte, 
ivobei man an Erscheinungen unserer Tage er 
innert wird, an Lehren, die sogar die Existenz 
Christi in Frage stellten. Eobanus tvar dein 
älteren Mutian durch ein Gedicht näher getreten, 
vermutlich 1506, und dieser dankte dem jungen 
Poeten. — Ohne uns in Einzelheiten des Ver 
hältnisses beider Männer zueinander zu verlieren, 
sei hier nur noch aus das eingegangen, was die 
Beziehungen Eobans zu Erfurt direkt berührt. Der 
arme Bauernsohn ward zuerst bei seinen Studien 
durch den Abt und den Konvent zu Haina unter 
stützt, dann nahm sich seiner ein anderer hessischer 
Landsmann an, vielleicht aus Empfehlung des 
Hainaer Abtes. Es war Johann e s Lasst h e, 
Titularbischof, Domherr und Universitätslehrer. 
Sein eigentlicher Name tvar Johannes Bonemilch 
(Bonaemilius) und er entstammte dein Orte Lasphe 
an der oberen Lahn. Auch aus einer armen Familie 
n a. a. O. 2. 1. 
12 Dr. Karl Krause: Helms Eobanus Hessus. Sein 
Leben uno seine Werke. 2 Bände. (Gotha 1879.) 
" a. a. O. I, 2. 25. 
entsprossen, war er im kurmainzischen Dienste nach 
Erfurt gekommen, und dort hatte er sich durch 
seine Gelehrsamkeit und Geschäststüchtigkeit empor 
gearbeitet. 1503 war er Rektor der Universität — 
daß er wohlhabend getvordcu war, erkennen wir 
daran, daß er im Jahre 1500 eine Seitenkapelle 
der Michaelskirche aus seine Kosten erbauen ließ. 
Ihm widmete nun auch Eobanus sein 1507 im 
Druck erschienenes Lobgedicht aus die Universität, 
das 600 Hexameter umfaßte. Und im gleichen 
Jahre erlangte durch des Domherrn Vermittlung 
Eoban das Rektorat der Stiftsschule zu St. Sevcri, 
einer „Trivialschule", in der die grammatischen 
Elemente des Lateins den Mittelpunkt des Unter 
richts bildeten. Doch schon im nächsten Jahre 
wieder büßte er diese Stellung sowohl als auch 
einen Freitisch bei seinem Wohltäter ein. Es scheint 
die Ursache gewesen zu sein, daß die Knaben dieser 
Schule unrühmlich abstachen gegen die Schule an 
St. Marien, was er aus ihrer Trägheit erklärt. 
Jedenfalls ward ihm die Arbeit erschwert, auch 
durch den Verlust des Freitisches völlig unlohnend, 
zumal dann der Bischof und Domherr im Jahre 
1508 abdankte und 1510 starb. Vermuten dürfen 
wir auch hier bei dein Konflikte, daß der Dichter 
Eobanus manchmal mit dem Schulmeister durch 
gegangen ist. 
Als daun der Dichter im Jahre 1509 die Ma 
gisterwürde ertvorben hatte und wohl auch noch, 
davon den üblichen Gebrauch machend, an der 
Universität gelesen, schied er im Spätherbst jenes 
Jahres aus der Stadt, die mit seinem literarischen 
Werden so eng verknüpft ist. 
Aber ivieder kehrte er nach Erfurt zurück, um 
dort, inmitten des politisch und sozial verfallen 
den Gemeinwesens eine glänzende Stellung in der 
dort immer noch sich sammelnden Poetenschaft ein 
zunehmen. Dort empfing ihn 1514 sein Lands 
mann, E u r i c i u s Cordus, seit 1513 ein Ge 
nosse des mutianischen Kreises, dessen Haupt, Mu 
tianus Rufus, ihn auch wieder begeistert ivill- 
kommen hieß. 
Sich mit dem Schwulste jener damals vielbe- 
ivunderten Dichtungen auseinanderzusetzen, hieße 
den Lesern dieser Zeilen reichlich viel zumuten, 
auch die Beziehungen der Erfurter Humanisten zu 
Erasmus Roterdamus 9 , den Eobanus besuchte, wür- 
den zu weit von unserem Thema ablenken; — er 
wähnt mag nur noch iverden, daß nach der Stel 
lungnahme des Erasmus gegen Luther auch Eoba- 
uus sich gegen die Erfurter Reformationspartei 
ivandte. Er war, gleich seinem freidenkerischen 
Lehrer und Freunde Mutianus, der am 30. März 
1526 aus diesem Leben schied, angewidert durch die 
oft stürmischen Begleiterscheinungen der Reforma 
tion. Die Ästheten konnten nicht begreifen, daß 
sie mitten in einem welthistorischen Umwertungs 
prozesse standen, und so klammerten sie sich an 
das ihnen noch scheinbar feste Alte. 
Nicht allzu gut kommt Eobanus Hessus 
weg in der Darstellung K a l k o f f s, der ihn als
	        

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