Full text: Hessenland (39.1927)

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Eine neue drohende Gefahr für Nenndorf brachte 
der schon oben erwähnte Durchmarsch des Mi 
ch au d'scheu Armeekorps. Dabei wurde ziemlich' 
viel geplündert und marodiert, wobei besonders! 
die Bewohner von Großen- und Klein-Nenndosrf 
Schaden litten. Im Bad selbst wurde beim Apo 
theker Wolf geplündert und der Garküchenpächter 
Kramer von Marodeuren grausam mißhandelt. 
Die herrschaftlichen Gebäude blieben dadurch ver 
schont, daß der General Michand selbst im alten 
Logierhaus bei der Aufseherin Heinrichs Quar 
tier nahm. Ihm folgte ein hoher holländischer 
Offizier, auf dessen Rat die Aufseherin nach seiner 
Abreise alle Türen befestigte und Schaltern vor 
legte, worauf die Marodeure die anscheinend un- 
bewohnten Gebäulichkeiten verschonten. 
Später machten noch einmal die Franzosen und 
schließlich auch die Preußen den Versuch, sich das 
Nenndorfer Mobiliar anzueignen. Die besten Stücke 
sollten nach Minden gebracht werden, um das 
dortige Gouvernementsgebäude auszumöblieren. 
Dem geschickten Auftreten Wiederholds gelang es, 
beide Projekte zu vereiteln. 
Im April 1807 kam der französische Gouverneur 
General G o be r t für drei Tage nach Nenndorf, 
um das Bad zu besichtigen. Das Resultat dieses 
Besuches war, daß das ganze Inventar neu aus- 
5 Brigitte H. (f 1809) aus Rotenburg war die Gehilfin 
und Nachfolgerin der Nenndorfer Burggräfin Schumann. 
In ihrer Jugend war sie die Geliebte des später durch 
seine Tätigkeit bei der Rettung des kurfürstl. Schatzes be 
kannten Kapitäns M e n s i n g. Ihr von dem Vater legi 
timierter Sohn Joh. Gottlieb Will). Mensing (1792 
bis 1864) lebte später als Mathematiker und Gymnasial- 
prosessor in Halle und Erfurt. 
genommen und der Aufseherin Heinrich wieder 
übergebeil wurde. Seit dieser Zeit genoß das Bad 
beit besonderen Schutz der französischen Verwaltung. 
Ant 9. Juni erließ Gobert ein Dekret, wodurch 
Nenndorf lind Umgebung eine besondere Schutz- 
garde all Gendarmen erhielt, die dafür zu sorgen 
hatte, daß keinerlei militärische Truppen dort durch 
zogen oder gar requirierten. Ohne besondere Er 
laubnis des Gouverneurs durfte auch kein Soldat 
irgendwelchen Grades das Bad besuchen. Der Gene 
ral versprach, im Sommer als Badegast wieder zu 
kommen und veranlaßte, daß die Intendantur zum 
Nenndorfer Gartenbetrieb 200 Taler, zu den not 
wendigen Bau- und Reparationskosten 2086 Taler 
34 Groschen und für eine Einrichtung bei der neuen 
Traiteurwirtschaft 184 Taler bewilligte und den 
beiden neuen Traiteurs erlaubte, ihre Pacht erst 
nach der Badezeit ihrem Verdienst entsprechend zu 
entrichten. Mit Hilfe dieser reichen Zuwendungen 
gelang es den Kurbetrieb wieder aufzunehmen, 
was durch Inserate in den Jntelligenzblättern 
und dem Reichsanzeiger der Welt bekanntgegeben 
wurde. Es 'kamen auch einige Kurgäste, deren be 
scheidene Liste (28 Personen) 6 man dem Kurfürsten 
nach Holstein schickte. 
Es war der letzte offizielle Bericht, den der 
vertriebene Fürst ans der Grafschaft erhielt. Bald 
darauf wurde das Ländchen mit dem neugegründeten 
Königreich Westfalen vereinigt, womit die französische 
Besetzung ihr Ende fand. 
6 Darunter waren ein paar Studenten aus Liv 
land, eine Gräfin Schmettau aus Holstein, Kammer- 
junker v. Löwensküldt aus Dänemark, ein Herr v. Boorst 
aus Kassel, Major v. Klenke aus dem Hannöverschen, 
mehrere Personen aus Bremen, Altona, Braunschweig 
und Lüneburg sowie Frau Schaft aus Berlin. 
Die Vier-hundertjahrfeier der chchilipps-IAniverfität 
Strahlende Sommersonne lag über der mit Tan- 
nengewinden und unzähligen Fahnen über und über 
geschmückten Bergstadt an der Lahn. Und durch 
die Gassen und Gäßchen wogte eine freudig be- 
ivegte Menge, junge und ehemalige Studenten und 
immer neue Scharen von Fremden aus Nah und 
Fern. 
Doch ehe die Fanfaren der Festesfrende schmet 
terten, galt es, in stiller Stunde der 587 Gefal 
lenen der Marburger Hochschule zu gedenken. In 
unmittelbarer Nähe der Universität wurde das von 
Bildhauer Lammert-Essen geschaffene Gefallenen- 
Denkmal enthüllt. 
Den Auftakt des ersten Festtages bildeten dantt 
turnerische und sportliche Beranstaltungeir der Stu 
dentenschaft im Stadion. Es folgte der Begrüßungs 
abend in der Riesenfesthalle auf dem Kämpfrasen. 
Gleichzeitig bewegte sich durch die von den Ufern 
der Lahn bis hinauf zum Schloß unsagbar schön 
illuminierte Stadt der Fackelzug von über 2000 
Studenten, unter deneir sich auch viele ältere Se 
mester befanden. Festgottesdienste der drei Kon 
fessionen leiteten den zweiten Tag ein, in desseir 
Mittelpunkt der Festakt in der Festhalle stand. In 
feierlichem Zug betraten der Lehrkörper der Uni 
versität im Ornat sowie die Chargierten der studen 
tischen Korporationen das Zelt, in dem sich in 
zwischen die Vertreter der übrigen deutschen und 
vieler ausländischer Hochschulen und der staatlichen 
und kommunalen Behörden eingesunden hatten. Der 
Begrüßung durch den Rektor Geheimrat Prof. vr. 
Busch folgen nach den Ansprachen des preußischen 
Kultusministers Dr. Becker und des Reichsjustiz 
ministers Dr. Hergt noch zahlreiche Glückwünsche, 
so daß sich der von Darbietungen des Kasseler 
Staatsorchesters umrahmte Festakt bis gegen 3 Uhr 
hinzieht. Der Nachmittag brachte die feierliche Über 
gabe und Besichtigung des Kunstinstituts, die Ein 
weihung der Kinder- und der Ohrenklinik am Fir- 
maneiplatz und die studentische Feier in der Uni 
versitätskirche, bei der Privatdozent Dr. jur. Gerber 
über die Idee der Universität als wissenschaftlicher
	        
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