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Eine neue drohende Gefahr für Nenndorf brachte
der schon oben erwähnte Durchmarsch des Mi
ch au d'scheu Armeekorps. Dabei wurde ziemlich'
viel geplündert und marodiert, wobei besonders!
die Bewohner von Großen- und Klein-Nenndosrf
Schaden litten. Im Bad selbst wurde beim Apo
theker Wolf geplündert und der Garküchenpächter
Kramer von Marodeuren grausam mißhandelt.
Die herrschaftlichen Gebäude blieben dadurch ver
schont, daß der General Michand selbst im alten
Logierhaus bei der Aufseherin Heinrichs Quar
tier nahm. Ihm folgte ein hoher holländischer
Offizier, auf dessen Rat die Aufseherin nach seiner
Abreise alle Türen befestigte und Schaltern vor
legte, worauf die Marodeure die anscheinend un-
bewohnten Gebäulichkeiten verschonten.
Später machten noch einmal die Franzosen und
schließlich auch die Preußen den Versuch, sich das
Nenndorfer Mobiliar anzueignen. Die besten Stücke
sollten nach Minden gebracht werden, um das
dortige Gouvernementsgebäude auszumöblieren.
Dem geschickten Auftreten Wiederholds gelang es,
beide Projekte zu vereiteln.
Im April 1807 kam der französische Gouverneur
General G o be r t für drei Tage nach Nenndorf,
um das Bad zu besichtigen. Das Resultat dieses
Besuches war, daß das ganze Inventar neu aus-
5 Brigitte H. (f 1809) aus Rotenburg war die Gehilfin
und Nachfolgerin der Nenndorfer Burggräfin Schumann.
In ihrer Jugend war sie die Geliebte des später durch
seine Tätigkeit bei der Rettung des kurfürstl. Schatzes be
kannten Kapitäns M e n s i n g. Ihr von dem Vater legi
timierter Sohn Joh. Gottlieb Will). Mensing (1792
bis 1864) lebte später als Mathematiker und Gymnasial-
prosessor in Halle und Erfurt.
genommen und der Aufseherin Heinrich wieder
übergebeil wurde. Seit dieser Zeit genoß das Bad
beit besonderen Schutz der französischen Verwaltung.
Ant 9. Juni erließ Gobert ein Dekret, wodurch
Nenndorf lind Umgebung eine besondere Schutz-
garde all Gendarmen erhielt, die dafür zu sorgen
hatte, daß keinerlei militärische Truppen dort durch
zogen oder gar requirierten. Ohne besondere Er
laubnis des Gouverneurs durfte auch kein Soldat
irgendwelchen Grades das Bad besuchen. Der Gene
ral versprach, im Sommer als Badegast wieder zu
kommen und veranlaßte, daß die Intendantur zum
Nenndorfer Gartenbetrieb 200 Taler, zu den not
wendigen Bau- und Reparationskosten 2086 Taler
34 Groschen und für eine Einrichtung bei der neuen
Traiteurwirtschaft 184 Taler bewilligte und den
beiden neuen Traiteurs erlaubte, ihre Pacht erst
nach der Badezeit ihrem Verdienst entsprechend zu
entrichten. Mit Hilfe dieser reichen Zuwendungen
gelang es den Kurbetrieb wieder aufzunehmen,
was durch Inserate in den Jntelligenzblättern
und dem Reichsanzeiger der Welt bekanntgegeben
wurde. Es 'kamen auch einige Kurgäste, deren be
scheidene Liste (28 Personen) 6 man dem Kurfürsten
nach Holstein schickte.
Es war der letzte offizielle Bericht, den der
vertriebene Fürst ans der Grafschaft erhielt. Bald
darauf wurde das Ländchen mit dem neugegründeten
Königreich Westfalen vereinigt, womit die französische
Besetzung ihr Ende fand.
6 Darunter waren ein paar Studenten aus Liv
land, eine Gräfin Schmettau aus Holstein, Kammer-
junker v. Löwensküldt aus Dänemark, ein Herr v. Boorst
aus Kassel, Major v. Klenke aus dem Hannöverschen,
mehrere Personen aus Bremen, Altona, Braunschweig
und Lüneburg sowie Frau Schaft aus Berlin.
Die Vier-hundertjahrfeier der chchilipps-IAniverfität
Strahlende Sommersonne lag über der mit Tan-
nengewinden und unzähligen Fahnen über und über
geschmückten Bergstadt an der Lahn. Und durch
die Gassen und Gäßchen wogte eine freudig be-
ivegte Menge, junge und ehemalige Studenten und
immer neue Scharen von Fremden aus Nah und
Fern.
Doch ehe die Fanfaren der Festesfrende schmet
terten, galt es, in stiller Stunde der 587 Gefal
lenen der Marburger Hochschule zu gedenken. In
unmittelbarer Nähe der Universität wurde das von
Bildhauer Lammert-Essen geschaffene Gefallenen-
Denkmal enthüllt.
Den Auftakt des ersten Festtages bildeten dantt
turnerische und sportliche Beranstaltungeir der Stu
dentenschaft im Stadion. Es folgte der Begrüßungs
abend in der Riesenfesthalle auf dem Kämpfrasen.
Gleichzeitig bewegte sich durch die von den Ufern
der Lahn bis hinauf zum Schloß unsagbar schön
illuminierte Stadt der Fackelzug von über 2000
Studenten, unter deneir sich auch viele ältere Se
mester befanden. Festgottesdienste der drei Kon
fessionen leiteten den zweiten Tag ein, in desseir
Mittelpunkt der Festakt in der Festhalle stand. In
feierlichem Zug betraten der Lehrkörper der Uni
versität im Ornat sowie die Chargierten der studen
tischen Korporationen das Zelt, in dem sich in
zwischen die Vertreter der übrigen deutschen und
vieler ausländischer Hochschulen und der staatlichen
und kommunalen Behörden eingesunden hatten. Der
Begrüßung durch den Rektor Geheimrat Prof. vr.
Busch folgen nach den Ansprachen des preußischen
Kultusministers Dr. Becker und des Reichsjustiz
ministers Dr. Hergt noch zahlreiche Glückwünsche,
so daß sich der von Darbietungen des Kasseler
Staatsorchesters umrahmte Festakt bis gegen 3 Uhr
hinzieht. Der Nachmittag brachte die feierliche Über
gabe und Besichtigung des Kunstinstituts, die Ein
weihung der Kinder- und der Ohrenklinik am Fir-
maneiplatz und die studentische Feier in der Uni
versitätskirche, bei der Privatdozent Dr. jur. Gerber
über die Idee der Universität als wissenschaftlicher