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Die Okkupation des eigentlichen Hessenlandes
ist oft erzählt worden; weniger weiß man bisher
von der Besetzung der entlegenen Landesteile, von
denen die der Grafschaft Schaumburg ein besonderes
Interesse beanspruchen darf.
Die Nachricht von dem Überfall Kurhessens kam
in die Grafschaft Schaumburg merkwürdigerweise
durch den Kurfürsten selbst, der auf seiner Flucht
nach Holstein am 3. November 1806 durch Nenn
dorf fuhr, >vo er für die Zeit seiner Abwesenheit
eine Regentschaft einsetzte. Noch hatte kein Feind
den Boden der Grafschaft betreten. Aber ain 4. No
vember verbreitete sich das Gerücht vom Heran
nahen eines französisch-holländischen Korps, woraus
die Rinteler Regierung beschloß, eine Deputation
abzuordnen, um ähnlich wie im Siebenjährigen
Kriege mit dem Feinde zu verhandeln. Am 6. er
schien ein angeblicher Sekretär des Königs Louis
von Holland Namens Defere in Rinteln, der
aber noch am selben Tage von einer preußischen
Husarenpatrouille aufgehoben und nach Hameln
gebracht wurde. Diese Festung war von einem
preußischen Korps von 9—10 000 Mann unter
dem General Lecoq besetzt. Von Berlin aus schrieb
Napoleon am selben Tage an seinen Bruder
Louis von Holland: die Festung Rinteln
scheine ihm sehr geeignet, um Hameln zu obser
vieren; deshalb solle Louis Rinteln sofort besetzen
und gut armieren. Er erbat sich einen Plan der
lFestung, den er 10 Tage später dem General
Chasseloup zur Begutachtung sandte. Über ihre
Lage war er sich selbst nicht ganz klar, er schrieb
aber: si cette place est dans l’enclave de Hesse-
Cassel et si eile me rend maitre du Weser, je
serais assez dispose ä la garder et ä räser Nien
burg et Hameln.
Am 7. November 1806 rückten die ersten Feinde,
13 holländische Dragoner unter dem Leutnant Ca
sar q u e, in Rinteln ein. Ihnen folgte am näch
sten Tage der holländische General D a e n d e l s
mit 1500 Mann. Die Besetzung war rein mili
tärisch. Der Feind erließ keine Proklamation, aber
der Magistrat erhielt Zwangseinquartierung, um
die Proviantierung der Truppen durchzusetzen, die
zur Blockade von Hameln bestimmt waren.
Infolge der Operationen gegen Hameln hatte
namentlich die Nachbarschaft dieser Festung, der
südöstliche Teil der Grafschaft Schaumburg, zu lei
den. Die Äbtissin von Münchhausen mußte
mit ihren Stiftsdamen ans Fischbeck nach Rinteln
flüchten. Die Waldungen des Zerser Holzes wurden
fast völlig ruiniert, während die sonstigen Forsten
wenig litten. In Oldendorf befand sich das Haupt
quartier des holländischen Generals Dumon-
c e a ii, das des Königs Louis war in Aerzen.
Es hieß aber, der König wolle sein Hauptquartier
nach Rinteln verlegen; deshalb mußte der General
Daendels das dortige herrschaftliche Haus be
sichtigen und den Befehl geben, es auszumöblieren.
Ta kam auf einmal am 12. November die Nachricht,
daß der König die Armee verlassen habe und nach
Holland abgereist sei. Zugleich verließ auch der
General D a e n d e l s Rinteln, wo am 13. der
französische General Laroche als Gouverneur ein
zog. Zum Festungskommandanten wurde ein Oberst
d e M e l l e t ernannt. Die nächsten Tage brachten den
Durchmarsch der französischen Division Michaud
mit Einquartierung in Rodenberg und Umgegend.
Tie Franzosen zogen aber nach Hannover weiter
und überließen die Blockade von Hameln den Hol
ländern, deren Oberkommando der französische Gene
ral S a v a r y übernahm. Schon am 20. No
vember übergab sich diese Festung mit dem ganzen
preußischen Korps L e c o q 1 in einer schmachvollen
Kapitulation, die Napoleon im 34. und 35. Bulletin
von Berlin aus der Welt kundgab.
Tie Kapitulation von Hameln schuf der Graf
schaft Schaumburg eine bedeutende Erleichterung.
Laroche und de Mellet verließen nun auch
Rinteln am 26. November und ließen nur einen
holländischen Genie-Leutnant E s p e n b e ck als Kom
mandanten mit ein paar Mann zurück.
Aber die Tage der Festung Rinteln waren ge
zählt. Napoleon hatte sich von ihrer Wertlosigkeit
überzeugt; er gab den Befehl, die Armierung,s--
arbeiten einzustellen und die Wälle zu demolieren.
Aus dem Lippischen, Preußischen und Bückebur
gischen wurden Arbeiter requiriert, die vier Monate
brauchten, um den Hauptwall bis zwei Fuß über
den höchsten Wasserstand der Weser zu schleifen.
Ein französischer Artillerieleutnant D e r r i o n
löste den Holländer Espenbeck ab und übernahm es,
das Zeughaus zu evakuieren, dessen Bestände vom
20. Dezember 1806 bis 16. Januar 1807 zu Schiff
und Wagen nach Hameln und Wesel transportiert
wurden. Dann hörte die militärische Besetzung von
Rinteln überhaupt aus, und man sah fremde Soldaten
nur bei den häufigen Durchmärschen, wobei haupt
sächlich die Stadt Oldendorf und die Ämter Roden
berg und Freudenberg mitgenommen wurden.
Inzwischen war neben der militärischen auch die
politische Besetzung durchgeführt worden. Die Fran
zosen errichteten in Minden ein Generalgouverne
ment für die Fürstentümer Minden, Paderborn,
Corvey und die Grafschaft Ravensberg, an dessen
Spitze der Divisionsgeneral Gobert trat. Diesem
Generalgouvernement wurde am 1. Dezember 1806
auch die Grafschaft Schaumburg angegliedert und
dabei die hessischen Regierungsbeamten zu Rinteln
der preußischen Kriegs- und Domänenkammer zu
Minden untergeordnet. Mit den französischen Be
amten (außer dem General Gobert kam haupt
sächlich der Intendant Sicard in Frage) stan
den sich die Hessen ganz gut; die „Anmaßungen"
der Preußen aber führten zu vielfachen Differenzen,
da die Herren in Minden den Hessen einen möglichst
großen Teil der Besatzungs- und Verwaltungs
kosten auferlegen wollten.
* Zu seinen Offizieren gehörte der Dichter A d e l b.
v. Ch amiss o, der seinen Grimm über die Schande
von Hameln in einem langen Brief an seinen Freund
Barnhagen v. Ense ansschüttete.