Full text: Hessenland (39.1927)

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Die Okkupation des eigentlichen Hessenlandes 
ist oft erzählt worden; weniger weiß man bisher 
von der Besetzung der entlegenen Landesteile, von 
denen die der Grafschaft Schaumburg ein besonderes 
Interesse beanspruchen darf. 
Die Nachricht von dem Überfall Kurhessens kam 
in die Grafschaft Schaumburg merkwürdigerweise 
durch den Kurfürsten selbst, der auf seiner Flucht 
nach Holstein am 3. November 1806 durch Nenn 
dorf fuhr, >vo er für die Zeit seiner Abwesenheit 
eine Regentschaft einsetzte. Noch hatte kein Feind 
den Boden der Grafschaft betreten. Aber ain 4. No 
vember verbreitete sich das Gerücht vom Heran 
nahen eines französisch-holländischen Korps, woraus 
die Rinteler Regierung beschloß, eine Deputation 
abzuordnen, um ähnlich wie im Siebenjährigen 
Kriege mit dem Feinde zu verhandeln. Am 6. er 
schien ein angeblicher Sekretär des Königs Louis 
von Holland Namens Defere in Rinteln, der 
aber noch am selben Tage von einer preußischen 
Husarenpatrouille aufgehoben und nach Hameln 
gebracht wurde. Diese Festung war von einem 
preußischen Korps von 9—10 000 Mann unter 
dem General Lecoq besetzt. Von Berlin aus schrieb 
Napoleon am selben Tage an seinen Bruder 
Louis von Holland: die Festung Rinteln 
scheine ihm sehr geeignet, um Hameln zu obser 
vieren; deshalb solle Louis Rinteln sofort besetzen 
und gut armieren. Er erbat sich einen Plan der 
lFestung, den er 10 Tage später dem General 
Chasseloup zur Begutachtung sandte. Über ihre 
Lage war er sich selbst nicht ganz klar, er schrieb 
aber: si cette place est dans l’enclave de Hesse- 
Cassel et si eile me rend maitre du Weser, je 
serais assez dispose ä la garder et ä räser Nien 
burg et Hameln. 
Am 7. November 1806 rückten die ersten Feinde, 
13 holländische Dragoner unter dem Leutnant Ca 
sar q u e, in Rinteln ein. Ihnen folgte am näch 
sten Tage der holländische General D a e n d e l s 
mit 1500 Mann. Die Besetzung war rein mili 
tärisch. Der Feind erließ keine Proklamation, aber 
der Magistrat erhielt Zwangseinquartierung, um 
die Proviantierung der Truppen durchzusetzen, die 
zur Blockade von Hameln bestimmt waren. 
Infolge der Operationen gegen Hameln hatte 
namentlich die Nachbarschaft dieser Festung, der 
südöstliche Teil der Grafschaft Schaumburg, zu lei 
den. Die Äbtissin von Münchhausen mußte 
mit ihren Stiftsdamen ans Fischbeck nach Rinteln 
flüchten. Die Waldungen des Zerser Holzes wurden 
fast völlig ruiniert, während die sonstigen Forsten 
wenig litten. In Oldendorf befand sich das Haupt 
quartier des holländischen Generals Dumon- 
c e a ii, das des Königs Louis war in Aerzen. 
Es hieß aber, der König wolle sein Hauptquartier 
nach Rinteln verlegen; deshalb mußte der General 
Daendels das dortige herrschaftliche Haus be 
sichtigen und den Befehl geben, es auszumöblieren. 
Ta kam auf einmal am 12. November die Nachricht, 
daß der König die Armee verlassen habe und nach 
Holland abgereist sei. Zugleich verließ auch der 
General D a e n d e l s Rinteln, wo am 13. der 
französische General Laroche als Gouverneur ein 
zog. Zum Festungskommandanten wurde ein Oberst 
d e M e l l e t ernannt. Die nächsten Tage brachten den 
Durchmarsch der französischen Division Michaud 
mit Einquartierung in Rodenberg und Umgegend. 
Tie Franzosen zogen aber nach Hannover weiter 
und überließen die Blockade von Hameln den Hol 
ländern, deren Oberkommando der französische Gene 
ral S a v a r y übernahm. Schon am 20. No 
vember übergab sich diese Festung mit dem ganzen 
preußischen Korps L e c o q 1 in einer schmachvollen 
Kapitulation, die Napoleon im 34. und 35. Bulletin 
von Berlin aus der Welt kundgab. 
Tie Kapitulation von Hameln schuf der Graf 
schaft Schaumburg eine bedeutende Erleichterung. 
Laroche und de Mellet verließen nun auch 
Rinteln am 26. November und ließen nur einen 
holländischen Genie-Leutnant E s p e n b e ck als Kom 
mandanten mit ein paar Mann zurück. 
Aber die Tage der Festung Rinteln waren ge 
zählt. Napoleon hatte sich von ihrer Wertlosigkeit 
überzeugt; er gab den Befehl, die Armierung,s-- 
arbeiten einzustellen und die Wälle zu demolieren. 
Aus dem Lippischen, Preußischen und Bückebur 
gischen wurden Arbeiter requiriert, die vier Monate 
brauchten, um den Hauptwall bis zwei Fuß über 
den höchsten Wasserstand der Weser zu schleifen. 
Ein französischer Artillerieleutnant D e r r i o n 
löste den Holländer Espenbeck ab und übernahm es, 
das Zeughaus zu evakuieren, dessen Bestände vom 
20. Dezember 1806 bis 16. Januar 1807 zu Schiff 
und Wagen nach Hameln und Wesel transportiert 
wurden. Dann hörte die militärische Besetzung von 
Rinteln überhaupt aus, und man sah fremde Soldaten 
nur bei den häufigen Durchmärschen, wobei haupt 
sächlich die Stadt Oldendorf und die Ämter Roden 
berg und Freudenberg mitgenommen wurden. 
Inzwischen war neben der militärischen auch die 
politische Besetzung durchgeführt worden. Die Fran 
zosen errichteten in Minden ein Generalgouverne 
ment für die Fürstentümer Minden, Paderborn, 
Corvey und die Grafschaft Ravensberg, an dessen 
Spitze der Divisionsgeneral Gobert trat. Diesem 
Generalgouvernement wurde am 1. Dezember 1806 
auch die Grafschaft Schaumburg angegliedert und 
dabei die hessischen Regierungsbeamten zu Rinteln 
der preußischen Kriegs- und Domänenkammer zu 
Minden untergeordnet. Mit den französischen Be 
amten (außer dem General Gobert kam haupt 
sächlich der Intendant Sicard in Frage) stan 
den sich die Hessen ganz gut; die „Anmaßungen" 
der Preußen aber führten zu vielfachen Differenzen, 
da die Herren in Minden den Hessen einen möglichst 
großen Teil der Besatzungs- und Verwaltungs 
kosten auferlegen wollten. 
* Zu seinen Offizieren gehörte der Dichter A d e l b. 
v. Ch amiss o, der seinen Grimm über die Schande 
von Hameln in einem langen Brief an seinen Freund 
Barnhagen v. Ense ansschüttete.
	        
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