Full text: Hessenland (39.1927)

streckt er sich behaglich vor seinem Loch; wenn er 
dann aber plötzlich seinen Schatten sieht, so ivird ihm 
irgendwie unheimlich, er kriecht zurück und bleibt 
noch vier Wochen nt seiner warmen Behausung. 
Denn der Schatten, der deutet die harte, winterliche 
Witterung der nächsten vier Wochen an. Das hat 
ihm der Bauer wohl abgelauscht und irr gute 
Sprüche gebracht: „Wenn der Dachs auf Licht 
meß seinen Schatten sieht, kriecht er noch einmal 
vier Wochen ins Loch." Das ist eirre alte Wetter 
regel. Ter Bauer hat sie schon von seinem Groß 
vater gehört und dieser sie schon im Kalender 
studiert. Sie ist weit verbreitet und auch bei uns 
in Hessen und Nassau allgemein bekannt. Die Nutz 
anwendung, daß noch viel Kälte kommt, wenn an 
Lichtmeß die Sonne scheint, ist auch irr Reimen zu 
hören, wenn auch das Naturkräftige des Bildes 
der Preis für das poetische Gewand ist: 
„Ist auf Lichtmeß Sonnenschein, 
das bringt noch viel Schnee herein." 
So hat es der Volksmund am Kellerwald geformt. 
Aber viel besser ist es, wenn es recht wirbelt 
und schneit und das Wetter so unwirtlich ist, daß 
die wilden Tiere um Nahrung bis an die mensch 
lichen Wohnstätten kommen, denn „Zu Lichtmeß 
hat der Schäfer lieber den Wolf, als die Sonne im 
Stall". 
Eilt ähnliches Schicksal wie bei uns den Dachs, 
und in kälteren Gegenden den Bären, ereilt auch den 
Fuchs: „Scheint zu Lichtmeß die Sonne dem Pfaf 
fen ans ben Altar, so muß der Fuchs wieder sechs 
Wochen ins Loch." Deutlich wird in all diesen 
Wetterregeln die Sonne, das Licht, beobachtet, und 
geradezu gemessen wird es in folgenden Zeilen: 
(Der Tag nimmt zu): 
„Weihnachten einen Hahnenschrei, 
Heilge drei Könige einen Hirschensprung, 
Lichtmeß eine ganze Stnnd." 
Ebenso mißt die Zunahme des Lichtes ein Reim, 
der in der Schwalm bekannt ist: 
„Auf Lichtmeß 
schlägt die Glock bei Tag sechs." 
Welcher Fortschritt an Lichtmeß gegen die dunklen 
Dezember- und Januartage, wo beim Glockenschlage 
sechs noch undurchdringliche Dunkelheit alles rings 
umhüllte! 
Was liegt nun näher als zu glauben, daß das 
Wort „Lichtmeß" von diesem „Messen des Lichtes" 
seinen Namen hat? Daß „Lichtmeß" tatsächlich 
vielfach so gedeutet wird, geht eben gerade aus der 
großen Zahl von Wetterregelti hervor, die alle an 
das Licht anknüpfen. Folgender Reim: 
„Lichtmeß helle, 
sät man den Flachs in die Delle; 
Lichtmeß dunkel, 
sät man ihn auf den Brunkel (d. i. Anhöhe)" 
ist uns aus dem Waldeckischen eingeschickt worden. 
Was sagt er anderes, als daß man vom Benehmen 
des Dachses gelernt hat? Sieht der Dachs seinen 
Schatten, ist helles Sonnenlicht, so sät man den 
Flachs in die Telle, an eine tief gelegene, ge 
schützte Stelle; denn es kommen noch vier Wochen 
harter Kälte. Ist aber dunkler Himmel, dann kann 
man ihn getrost auf die rauhe, windüberzogene 
Anhöhe säen, denn es tritt mildes Wetter ein. 
In unserem Wörterbuchgebiet erfreut sich noch 
ein anderer Lichtmeßreim großer Beliebtheit: 
„Zu Lichtmessen 
müssen die Herrn bei Tag essen!" 
Weit verbreitet in Hessen und Nassau ist die An 
sicht, daß irgendwelche „Herren" am 2. Februar 
bei Tag essen müssen! Welcher Art diese Herren 
sind (denn die Mehrzahlform „Herren" ist deut 
hessischen Volksdenken ein Begriff, um Fremdar 
tiges, Vornehmes zu bezeichnen!), wird beleuchtet 
durch eine Erweiterung des Reimes, die sich recht 
zahlreich findet: 
„Lichtmeß, 
die Herrn bei Tag ess', 
die Armen, wenn sie was haben" 
oder: „Zu Lichtmessen 
müssen die Herrn bei Tag essen, 
die Bauern, wenn sie's können, 
die armen Leute, wenn sie's haben." 
Nun, die „Herren" sind reiche, sorgenfreie Leute, 
die in Hülle und Fülle zu essen haben, im Gegen 
satz zu anderen Leuten. Das geht aus diesen Er- 
weiterungen des Reimes hervor. Welche Elemente 
nun die Bildung solcher Reime begünstigen, zeigt 
die Mitteilung eines Einsenders, der uns schreibt: 
„An Lichtmeß mußten die Insassen des Klosters 
Fulda das Abendessen vor Eintritt der Dunkelheit 
einnehmen, weil ihnen von diesem Tage an kein 
Licht mehr zur Verfügung gestellt wurde." 
Mit diesen Reimen und dieser Erklärung weicht 
zwar das Volksdenken stark von der Wetterregel 
ab, zeigt aber doch noch deutlich einen Zusammen 
hang mit dem Zunehmen des Tageslichts. Sie 
bildeir eine Brücke, die von der Vorstellung des 
„Tageslicht- oder Sonnenlichtmessens" zu der 
Welt hiuüberleitet, von der das Wort „Lichtmeß" 
seinen Ausgang genommen hat, nämlich der der 
katholischen Kirche. Lichtmeß bedeutet ursprünglich 
nichts weiter, als daß aul 2. Februar, dem Fest 
der Reinigung Mariä, die Kirche die zum Gottes 
dienst gebrauchten Lichte, Kerzen, in einer Messe 
weiht. 
Diese Lichtmesse, ursprünglich und noch heute 
im katholischen Deutschland ein kirchlicher Akt, wur 
de dann zur Bezeichnung des 2. Februar überhaupt. 
Als einfache Zeitbestimmung ist Lichtmeß auch heute 
noch in Hessen-Nassau bekannt: „nach Lichtmeß" 
hört man z. B. summarisch die Zeit zwischen Fast 
nacht und Ostern im Oberlahnkreis benennen. 
Nichts anderes als eine Zeitangabe ist weiter die 
in Hessen bekannte Wetterregel: 
„Lichtmeß 
will einen der Winter gar fress'", 
die besagt, daß an Lichtmeß oft besonders grimmige 
Kälte eintritt, die wie ein böses Tier den Menschen 
überfüllt. 
Ist Lichtmeß aber zur Bezeichnung eines be 
stimmten Kalenderdatums geworden, so ist gewiß 
die Möglichkeit gegeben, Wetterregeln daratt an-
	        

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