5
fährten der Kindheit, der Jugend und des Mannes-
alters:
Mitfühlend sahst du Traum und Reisen
Der schwärmerischen Jünglingszeit,
Du sahst des Mannes kühnes Schtveifen
Und warst mit mir zur Tat bereit.
Mit allem, was ich ernst begonnen,
Kam Rat erhoffend ich zu dir,
Du heiltest fest mich und besonnen
Bon mancher sträflichen Begier. „
Zu dir trug ich mein erstes Lieben,
Gab mein Geheimnis deinem Ohr,
Du bist mir immer treu geblieben,
Wenn ich Errung'nes bald verlor.
Und tvenn sich Herz und Sinne fanden
In dir und deinem Schutz geeint, —
Du lächeltest und hast verstanden,
Mein stiller, väterlicher Freund!
Einem Menschen, der mit der Heimat so per
sönlich verwachsen ist, dem wird sie mit jedem Tag
von neuem zum Erlebnis, der empfindet sie als
ein Glück, als eine Gnade, für deren überschweng
liche Fülle er nicht müde werden kann, zu danken.
Und in der Tat erscheint ein beträchtlicher Teil
der Lyrik Berlepschs als ein verhaltener, wiewohl
inbrünstiger H y m n o s an die H eim at, die
er nicht mit Namen zu nennen braucht, weit seine
Dichtung ja ihr lebendiger Spiegel ist, wie sie
hinwiederum das Werden und Vergehen des Lebens
in der Natur für die hellen Augen des Dichters,
der zugleich ein sicherer Kenner dieses Lebens ist,
im Spiegel ihrer Wälder und Felder erscheinen läßt.
So begrüßt er, der immer das Positive schaut
und seinen Blick immer dem Licht zuwendet, im
Tauwetter eine erste Frühlingskunde und besingt
den ersten Sonnenschein als einen Gnadentag. Seine
Freude am Lenz ist so groß, daß er sie in einem
germanisch-heidnischen Ostara-Reigen aufjubeln läßt.
Ja, und selbst den Regen, der etwa den Mai ver
düstert, empfindet der Dichter so sehr als Musik,
daß sie in seinen Versen deutlich nachklingt:
Die letzten schweren Tropfen hämmern
Melodisch durch das Blattgerank,
Und in ein veilchenfarbnes Dämmern
Mischt sich der Erde Opferdank.
Der Himmel, flockig eingesponnen,
Umgibt den Wald wie Federflaum.
Im Tal ein Dörfchen, tief versonnen,
Und hier und dort ein Blütenbaum.
Und dann kommt der Sommer, der „helle H>ei
matsommer", dem Heinrich Ruppel, der hochbegabte
Landsmann Berlepschs, ein ganzes Buch lebendiger
Lyrik gewidmet hat. Der Sommer mit seinem
Ritt durch die blühende Kastanienallee, mit seinen
Morgengängen durch den Wald, mit seiner unbän
digen Lust an der hohen Zeit des Jahres.
Das ist ein Rausch, der ohn' Erwachen ist,
Ein Wunderleben, das sich selbst vergißt
In Wonnen, die sich werdend überbieten.
Da gibt es nichts, was dem übervollen Herzen
dieses Dichters keinen Anlaß bietet, in wohllaiv-
tenden Wortgesügen sich auszuströmen: Bäume,
vom Wind gebogen, Goldregen, blühende Akazien,
Schilfgestade, Wiesenblumen — kurz, alles, was
ihm leuchtend begegnet, fängt er bebenden Gemütes
ein und formt es zu melodischem Sprachgebild.
Aber nicht nur das Werden und das Sein — auch
das Vergehen gehört zu diesem beständigen Rausch
des Empfindens, ja, gerade der Herbst ist es, dep
diesem, auch diesem Dichter sonore Klänge schöner
Begeisterung entlockt:
Du göttliches Fanal!
Ich' breite meine Arme aus
Und stürze mich in deine Flammen!
Komm, süße Glut! Zünd an mein Haus!
Schlag jauchzend über mir zusammen!
So preist er die Septembersonne beim Auf- und
Niedergang, preist das Weiß der Astern und das
Rot des wilden Weins, spürt den Odem der Unsterb
lichkeit im Erntesegen und ruft im Weinmonat
freudig aus:
Nütze die Stunde der Lust!
Singt es im herbstlichen Wald,
In zufriedener Brust
Wird das Leben nicht alt!
Was deinen Händen entrollt,
Wein ihm kein Tränlein nach! —
Trinken will ich dein Gold,
Stiller Oktobertag.
„Trinken will ich dein Gold!" — so lautet,
kennzeichnend zugleich und nicht ohne heimlichen
Verheißungsklang, der Titel des ersten Buches,
das Karl von Berlepsch veröffentlicht hat. Und
schon in diesem Buch weiß er auch dem Winter ein
Lob zu singen, das er dann im jüngsten, „Die
andere Welt" betitelt, wiederum anstimmt.
Aus Weiß und Hellblau flaumig hingeweht,
Mit leuchtend Gelb und Rosa übergössen,
Weich jede Form, unwirklich und zerflossen,
Ein Segel, das in hundert Bauschen bläht.
Nur manchmal, wenn der Wind ganz leise geht,
Tann gleitet von der Bäume höchsten Sprossen,
Weil er verbotnen Sonnenkuß genossen,
Ein Zipfel von des Winters Majestät.
Tie Lyrik Berlepschs ist nach alledem eine gleich
sam optische Reflexion des Erlebnisses. Tie
Stimmungen, die sie festhält und wiedergibt, be
ruhen wesentlich auf dem, was das A u g e sieht,
und so liegt es nahe genug, daß der Dichter sich
bemüht, Linien und Farben des jeweiligen Bildes,
das die betreffende Stimmung in ihm auslöste, in
seinen Versen weiterleben zu lassen. So malt er
in schier altmeisterlicher Treue die „Felder vor dem
Gewitter" etwa, eine Fahrt ins Schilf, einen Sep
tembermorgen vor dem Jagdhaus, dergestalt, daß
es keine Schwierigkeit macht, seinem Blick zu folgen
und zu schauen, tvas er in sich aufgenommen hat.
Andererseits aber ist nicht zu verkennen, daß neben
dieser der Lebenstüchtigkeit und Taseinsbejahung
derer von Berlepsch entsprechenden wirklichkeits
frohen Einstellung ein anderes Element schöpferisch
mitwirkt, das mehr von innen kommt und durch