Full text: Hessenland (39.1927)

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fährten der Kindheit, der Jugend und des Mannes- 
alters: 
Mitfühlend sahst du Traum und Reisen 
Der schwärmerischen Jünglingszeit, 
Du sahst des Mannes kühnes Schtveifen 
Und warst mit mir zur Tat bereit. 
Mit allem, was ich ernst begonnen, 
Kam Rat erhoffend ich zu dir, 
Du heiltest fest mich und besonnen 
Bon mancher sträflichen Begier. „ 
Zu dir trug ich mein erstes Lieben, 
Gab mein Geheimnis deinem Ohr, 
Du bist mir immer treu geblieben, 
Wenn ich Errung'nes bald verlor. 
Und tvenn sich Herz und Sinne fanden 
In dir und deinem Schutz geeint, — 
Du lächeltest und hast verstanden, 
Mein stiller, väterlicher Freund! 
Einem Menschen, der mit der Heimat so per 
sönlich verwachsen ist, dem wird sie mit jedem Tag 
von neuem zum Erlebnis, der empfindet sie als 
ein Glück, als eine Gnade, für deren überschweng 
liche Fülle er nicht müde werden kann, zu danken. 
Und in der Tat erscheint ein beträchtlicher Teil 
der Lyrik Berlepschs als ein verhaltener, wiewohl 
inbrünstiger H y m n o s an die H eim at, die 
er nicht mit Namen zu nennen braucht, weit seine 
Dichtung ja ihr lebendiger Spiegel ist, wie sie 
hinwiederum das Werden und Vergehen des Lebens 
in der Natur für die hellen Augen des Dichters, 
der zugleich ein sicherer Kenner dieses Lebens ist, 
im Spiegel ihrer Wälder und Felder erscheinen läßt. 
So begrüßt er, der immer das Positive schaut 
und seinen Blick immer dem Licht zuwendet, im 
Tauwetter eine erste Frühlingskunde und besingt 
den ersten Sonnenschein als einen Gnadentag. Seine 
Freude am Lenz ist so groß, daß er sie in einem 
germanisch-heidnischen Ostara-Reigen aufjubeln läßt. 
Ja, und selbst den Regen, der etwa den Mai ver 
düstert, empfindet der Dichter so sehr als Musik, 
daß sie in seinen Versen deutlich nachklingt: 
Die letzten schweren Tropfen hämmern 
Melodisch durch das Blattgerank, 
Und in ein veilchenfarbnes Dämmern 
Mischt sich der Erde Opferdank. 
Der Himmel, flockig eingesponnen, 
Umgibt den Wald wie Federflaum. 
Im Tal ein Dörfchen, tief versonnen, 
Und hier und dort ein Blütenbaum. 
Und dann kommt der Sommer, der „helle H>ei 
matsommer", dem Heinrich Ruppel, der hochbegabte 
Landsmann Berlepschs, ein ganzes Buch lebendiger 
Lyrik gewidmet hat. Der Sommer mit seinem 
Ritt durch die blühende Kastanienallee, mit seinen 
Morgengängen durch den Wald, mit seiner unbän 
digen Lust an der hohen Zeit des Jahres. 
Das ist ein Rausch, der ohn' Erwachen ist, 
Ein Wunderleben, das sich selbst vergißt 
In Wonnen, die sich werdend überbieten. 
Da gibt es nichts, was dem übervollen Herzen 
dieses Dichters keinen Anlaß bietet, in wohllaiv- 
tenden Wortgesügen sich auszuströmen: Bäume, 
vom Wind gebogen, Goldregen, blühende Akazien, 
Schilfgestade, Wiesenblumen — kurz, alles, was 
ihm leuchtend begegnet, fängt er bebenden Gemütes 
ein und formt es zu melodischem Sprachgebild. 
Aber nicht nur das Werden und das Sein — auch 
das Vergehen gehört zu diesem beständigen Rausch 
des Empfindens, ja, gerade der Herbst ist es, dep 
diesem, auch diesem Dichter sonore Klänge schöner 
Begeisterung entlockt: 
Du göttliches Fanal! 
Ich' breite meine Arme aus 
Und stürze mich in deine Flammen! 
Komm, süße Glut! Zünd an mein Haus! 
Schlag jauchzend über mir zusammen! 
So preist er die Septembersonne beim Auf- und 
Niedergang, preist das Weiß der Astern und das 
Rot des wilden Weins, spürt den Odem der Unsterb 
lichkeit im Erntesegen und ruft im Weinmonat 
freudig aus: 
Nütze die Stunde der Lust! 
Singt es im herbstlichen Wald, 
In zufriedener Brust 
Wird das Leben nicht alt! 
Was deinen Händen entrollt, 
Wein ihm kein Tränlein nach! — 
Trinken will ich dein Gold, 
Stiller Oktobertag. 
„Trinken will ich dein Gold!" — so lautet, 
kennzeichnend zugleich und nicht ohne heimlichen 
Verheißungsklang, der Titel des ersten Buches, 
das Karl von Berlepsch veröffentlicht hat. Und 
schon in diesem Buch weiß er auch dem Winter ein 
Lob zu singen, das er dann im jüngsten, „Die 
andere Welt" betitelt, wiederum anstimmt. 
Aus Weiß und Hellblau flaumig hingeweht, 
Mit leuchtend Gelb und Rosa übergössen, 
Weich jede Form, unwirklich und zerflossen, 
Ein Segel, das in hundert Bauschen bläht. 
Nur manchmal, wenn der Wind ganz leise geht, 
Tann gleitet von der Bäume höchsten Sprossen, 
Weil er verbotnen Sonnenkuß genossen, 
Ein Zipfel von des Winters Majestät. 
Tie Lyrik Berlepschs ist nach alledem eine gleich 
sam optische Reflexion des Erlebnisses. Tie 
Stimmungen, die sie festhält und wiedergibt, be 
ruhen wesentlich auf dem, was das A u g e sieht, 
und so liegt es nahe genug, daß der Dichter sich 
bemüht, Linien und Farben des jeweiligen Bildes, 
das die betreffende Stimmung in ihm auslöste, in 
seinen Versen weiterleben zu lassen. So malt er 
in schier altmeisterlicher Treue die „Felder vor dem 
Gewitter" etwa, eine Fahrt ins Schilf, einen Sep 
tembermorgen vor dem Jagdhaus, dergestalt, daß 
es keine Schwierigkeit macht, seinem Blick zu folgen 
und zu schauen, tvas er in sich aufgenommen hat. 
Andererseits aber ist nicht zu verkennen, daß neben 
dieser der Lebenstüchtigkeit und Taseinsbejahung 
derer von Berlepsch entsprechenden wirklichkeits 
frohen Einstellung ein anderes Element schöpferisch 
mitwirkt, das mehr von innen kommt und durch
	        
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