Full text: Hessenland (38.1926)

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entgegen. Er verlangte in lautein Ton zu passieren 
oder einen Offizier zu sprechen. Der Soldat horchte 
nach der Au, von wo man Kanonenschüsse hörte, 
und wies ihn zurück. Als Herr Fink lauter und 
heftiger wurde und sich von der Erregung hinreißen 
ließ, mit der geballten Faust nach dem Kosaken zu 
drohen, da ritt dieser mit Windesschnelle auf den 
Deutschen los und riß ihn vom Pferde. Wie aus 
der Erde gewachsen waren plötzlich etwa 10—14 
Kosaken um die beiden versammelt. Herr Fink wehrte 
sich niit dem Mut der Verzweiflung und rief mit 
lauter Stimme nach einem Offizier, an den Fenstern 
der benachbarten Häuser erschienen wohl Köpfe von 
Neugierigen, aber keiner wagte es, dem Landsmann 
zu Hilfe zu kommen. So mußte Herr Fink die Suppe 
ausessen, die er sich eingebrockt hatte. Sein Los 
war um kein Haar besser als das seines Sohnes. 
Blutrünstig geschlagen, ausgeplündert, der Kleider 
^ zum Teil beraubt saß er am Rain der Straße. 
Als die Russen fort waren, nahmen sich mitleidige 
Seelen vom Siechenhof seiner an, versahen ihn mit 
einem anderen Rock, verbanden seinen blutigen Kopf 
und labten ihn mit Wasser und einem Kornbrannt 
wein. Bald hatte sich seine kräftige Natur wieder 
ziemlich erholt; so machte er sich zu Fuß auf den 
Heimweg, denn der brave Schimmel war fort wie der 
Fuchs, und um Menschen zu vermeiden, zog er die 
Straße, die vor Niederkausungen von der Chaussee 
abbiegt und durch den Wald über Eschenstruth führt. 
Langsam und einsam schritt er dahin, ein Raub der 
traurigsten Gedanken. Besonders schmerzte ihn, daß 
sein Sohn mit seinen Warnungen und Befürch 
tungen Recht behalten hatte — er, der Vater, der 
doch alles hätte besser wissen müssen, so völlig Un 
recht. Aber wie konnte er auch denken, daß die 
Russen so roh waren, daß sie nicht einmal vor ihm, 
dem alten Fink, dessen Meinung und Wort überall 
etwas galt, Respekt zeigten! Am Waldesrand brach 
Rudolf Erich Raspe. 
Rudolf Erich Raspe, geboren im Jahre 1737 in 
Hannover, dort als Bibliothekar, in Kassel als Vor 
steher der landgräflichen Kunstsammlungen tätig, 
1794 in England gestorben, nimmt in unserer Kennt 
nis der Zeit des geistig ungeheuer lebendigen 
18. Jahrhunderts noch nicht den Platz ein, der ihm 
gebührt. Nur als Verfasser der „Abenteuerlichen 
Geschichten des Münchhausen" kennt man ihn aus 
der Literaturgeschichte. Eine schwere Verschuldung, 
die ihn aus seinem regsten Wirkungskreis, Kassel, 
vertrieb, brachte es mit sich, daß fein Name nicht 
mehr genannt und vergessen wurde. Über die Kasse 
ler Tätigkeit und darüber hinaus, über die geistes 
geschichtliche Bedeutung dieses großen, vielseitigen 
Gelehrten sprach auf Grund eingehender, sehr er 
gebnisreicher Nachforschungen vr. Rudolf Hallo 
vom Hessischen Landesmuseum vor einiger Zeit 
im Hessischen Geschichtsverein in Kassel. 
In Hannover ist Scheid, der Herausgeber der 
er sich einen tüchtigen Stecken ab und schwang ihn 
drohend in die Luft. Gut nur, daß der russische 
Posten und seine Kameraden die Hiebe nicht fühl 
ten, die er mit aller Kraft durch die Luft führte, 
sie wären sonst grün und blau geschlagen worden. 
Ganz kleinlaut kam er tief in der Nacht zu Haus aü. 
Seine Befürchtung, seine Frau herausklopfen und 
vielleicht das ganze Haus rebellisch machen zu 
müssen, so daß seine Schmach vor seinen Leuten 
offenbar geworden wäre, erfüllte sich zum Glück 
nicht. Seine Frau, die wohl den unglücklichen 
Ausgang der Sache geahnt haben mochte, wachte 
noch. Bei dem ersten Klopfen eilte sie an das 
Fenster, und als sie auf ihre besorgte Frage: „Bist 
du's, lieber Fink?" die gewünschte Antwort erhalten 
hatte, eilte sie zur Haustür und schloß den Heim 
gekehrten in die Arme mit den Worten: „Gott sei 
Dank, daß du glücklich wieder da bist", führte ihn in die 
Stube, erquickte ihn mit Speis und Trank, beruhigte 
ihn, als er in Schelten und Drohungen mit „Be 
schweren" ausbrach und nötigte ihn ins Bett, damit 
er sich erhole und stärke. Und als er sich dem wil 
ligen Schlummer hingab, war noch sein letzter 
Gedanke: „Eine gute, verständige Frau ist doch 
das beste Gut." Und die sorgsame Mutter sorgte 
noch weiter. Des andern Morgens verständigte sie 
mit wenigen Worten den Sohn und legte ihm zu 
gleich ans Herz, mit keinem Wort beim Vater auf 
die Geschichte anzuspielen. Beide hüteten das Ge 
heimnis gut, bis erst nach langer Zeit nähere Data 
bekannt wurden. Aber das Ansehen des alten Herrn 
war so groß, daß niemand es-wagte, ihn mit An 
spielungen zu kränken, und wenn er in der Folge 
zeit nach wie vor stark und rüstig in gravitätischem 
Schritt Sonntags zur Kirche ging, da grüßten alle 
Mitbürger gern und ehrerbietig ihren alten lieben 
Fink. 
„Origines Guelficae“, sein Lehrer; der dort lebende 
Geh. Regierungssekretär und Dichter Flügge, ein 
Mitglied des Göttinger Hains, wird sein aufrich 
tigster Freund. In Leipzig, wo er die Universität 
bezieht, kommt er unter den Einfluß von Professor 
Christ, dem Gründer einer Geschichtsschreibung 
der deutschen Kunst und Lehrer Lessings; in Göt 
tingen tritt er in Beziehung zu Kestner, Lichtenberg, 
dem Gründer der Altertumswissenschaft Heyne sowie 
auch zu dem „alten Schwadroneur" Münchhausen, 
den er unsterblich machte. In der ersten Zeit seiner 
praktischen Tätigkeit an der Bibliothek zu Han 
nover ist sein Interesse stark naturwissenschaftlich 
eingestellt; so korrespondiert er z. B. mit Benjamin 
Franklin wegen der Teilnahme an einer Reise nach 
Amerika. Von seinen wissenschaftlichen Arbeiten 
bringt ihm eine erdkundliche über die Entstehung von 
Inseln aus dem Meer den Beifall von Herder und 
den Geologen; die Herausgabe der Hinterlassen-
	        

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