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entgegen. Er verlangte in lautein Ton zu passieren
oder einen Offizier zu sprechen. Der Soldat horchte
nach der Au, von wo man Kanonenschüsse hörte,
und wies ihn zurück. Als Herr Fink lauter und
heftiger wurde und sich von der Erregung hinreißen
ließ, mit der geballten Faust nach dem Kosaken zu
drohen, da ritt dieser mit Windesschnelle auf den
Deutschen los und riß ihn vom Pferde. Wie aus
der Erde gewachsen waren plötzlich etwa 10—14
Kosaken um die beiden versammelt. Herr Fink wehrte
sich niit dem Mut der Verzweiflung und rief mit
lauter Stimme nach einem Offizier, an den Fenstern
der benachbarten Häuser erschienen wohl Köpfe von
Neugierigen, aber keiner wagte es, dem Landsmann
zu Hilfe zu kommen. So mußte Herr Fink die Suppe
ausessen, die er sich eingebrockt hatte. Sein Los
war um kein Haar besser als das seines Sohnes.
Blutrünstig geschlagen, ausgeplündert, der Kleider
^ zum Teil beraubt saß er am Rain der Straße.
Als die Russen fort waren, nahmen sich mitleidige
Seelen vom Siechenhof seiner an, versahen ihn mit
einem anderen Rock, verbanden seinen blutigen Kopf
und labten ihn mit Wasser und einem Kornbrannt
wein. Bald hatte sich seine kräftige Natur wieder
ziemlich erholt; so machte er sich zu Fuß auf den
Heimweg, denn der brave Schimmel war fort wie der
Fuchs, und um Menschen zu vermeiden, zog er die
Straße, die vor Niederkausungen von der Chaussee
abbiegt und durch den Wald über Eschenstruth führt.
Langsam und einsam schritt er dahin, ein Raub der
traurigsten Gedanken. Besonders schmerzte ihn, daß
sein Sohn mit seinen Warnungen und Befürch
tungen Recht behalten hatte — er, der Vater, der
doch alles hätte besser wissen müssen, so völlig Un
recht. Aber wie konnte er auch denken, daß die
Russen so roh waren, daß sie nicht einmal vor ihm,
dem alten Fink, dessen Meinung und Wort überall
etwas galt, Respekt zeigten! Am Waldesrand brach
Rudolf Erich Raspe.
Rudolf Erich Raspe, geboren im Jahre 1737 in
Hannover, dort als Bibliothekar, in Kassel als Vor
steher der landgräflichen Kunstsammlungen tätig,
1794 in England gestorben, nimmt in unserer Kennt
nis der Zeit des geistig ungeheuer lebendigen
18. Jahrhunderts noch nicht den Platz ein, der ihm
gebührt. Nur als Verfasser der „Abenteuerlichen
Geschichten des Münchhausen" kennt man ihn aus
der Literaturgeschichte. Eine schwere Verschuldung,
die ihn aus seinem regsten Wirkungskreis, Kassel,
vertrieb, brachte es mit sich, daß fein Name nicht
mehr genannt und vergessen wurde. Über die Kasse
ler Tätigkeit und darüber hinaus, über die geistes
geschichtliche Bedeutung dieses großen, vielseitigen
Gelehrten sprach auf Grund eingehender, sehr er
gebnisreicher Nachforschungen vr. Rudolf Hallo
vom Hessischen Landesmuseum vor einiger Zeit
im Hessischen Geschichtsverein in Kassel.
In Hannover ist Scheid, der Herausgeber der
er sich einen tüchtigen Stecken ab und schwang ihn
drohend in die Luft. Gut nur, daß der russische
Posten und seine Kameraden die Hiebe nicht fühl
ten, die er mit aller Kraft durch die Luft führte,
sie wären sonst grün und blau geschlagen worden.
Ganz kleinlaut kam er tief in der Nacht zu Haus aü.
Seine Befürchtung, seine Frau herausklopfen und
vielleicht das ganze Haus rebellisch machen zu
müssen, so daß seine Schmach vor seinen Leuten
offenbar geworden wäre, erfüllte sich zum Glück
nicht. Seine Frau, die wohl den unglücklichen
Ausgang der Sache geahnt haben mochte, wachte
noch. Bei dem ersten Klopfen eilte sie an das
Fenster, und als sie auf ihre besorgte Frage: „Bist
du's, lieber Fink?" die gewünschte Antwort erhalten
hatte, eilte sie zur Haustür und schloß den Heim
gekehrten in die Arme mit den Worten: „Gott sei
Dank, daß du glücklich wieder da bist", führte ihn in die
Stube, erquickte ihn mit Speis und Trank, beruhigte
ihn, als er in Schelten und Drohungen mit „Be
schweren" ausbrach und nötigte ihn ins Bett, damit
er sich erhole und stärke. Und als er sich dem wil
ligen Schlummer hingab, war noch sein letzter
Gedanke: „Eine gute, verständige Frau ist doch
das beste Gut." Und die sorgsame Mutter sorgte
noch weiter. Des andern Morgens verständigte sie
mit wenigen Worten den Sohn und legte ihm zu
gleich ans Herz, mit keinem Wort beim Vater auf
die Geschichte anzuspielen. Beide hüteten das Ge
heimnis gut, bis erst nach langer Zeit nähere Data
bekannt wurden. Aber das Ansehen des alten Herrn
war so groß, daß niemand es-wagte, ihn mit An
spielungen zu kränken, und wenn er in der Folge
zeit nach wie vor stark und rüstig in gravitätischem
Schritt Sonntags zur Kirche ging, da grüßten alle
Mitbürger gern und ehrerbietig ihren alten lieben
Fink.
„Origines Guelficae“, sein Lehrer; der dort lebende
Geh. Regierungssekretär und Dichter Flügge, ein
Mitglied des Göttinger Hains, wird sein aufrich
tigster Freund. In Leipzig, wo er die Universität
bezieht, kommt er unter den Einfluß von Professor
Christ, dem Gründer einer Geschichtsschreibung
der deutschen Kunst und Lehrer Lessings; in Göt
tingen tritt er in Beziehung zu Kestner, Lichtenberg,
dem Gründer der Altertumswissenschaft Heyne sowie
auch zu dem „alten Schwadroneur" Münchhausen,
den er unsterblich machte. In der ersten Zeit seiner
praktischen Tätigkeit an der Bibliothek zu Han
nover ist sein Interesse stark naturwissenschaftlich
eingestellt; so korrespondiert er z. B. mit Benjamin
Franklin wegen der Teilnahme an einer Reise nach
Amerika. Von seinen wissenschaftlichen Arbeiten
bringt ihm eine erdkundliche über die Entstehung von
Inseln aus dem Meer den Beifall von Herder und
den Geologen; die Herausgabe der Hinterlassen-