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wollte weiterreiten, aber wie der Blitz warf der
Russe die Flasche fort, hieb mit dem Kantschu dem
Spender der köstlichen Labe ein paar Hiebe über
den Rücken und schrie mit lauter Stimme Russisch.
Wie der Wind sprangen aus einem benachbarten
Haus aus dem Erdgeschoß mehrere Kameraden Rus
sisches hervor; sobald sie von dem Posten mit ein
paar Worten verständigt waren, rissen sie unsern Öko
nomen vom Pferde, bleuten ihn durch und plünderten
ihn rein aus: der eine riß ihm die Uhr heraus, ein
anderer ein paar goldene Ringe, und als Herr Fink
die Finger krumm machte und sich zu wehren schien,
half er mit ein paar kräftigen Kantschu-Liebkosungen
nach, ein dritter zog dem zur Erde Geworfenen die
schönen langen, neuen, in tadelloser Schwärze glän
zenden Okonomenstieseln aus, ein anderer fand Ge
fallen an seiner feinen Marderpetz mütze, andere
an Rock und Weste — kurz in wenig Minuten war
er bis aus Hemd, Hose und Strümpfe ausgezogen.
Dann wiesen die „Befreier" auf die Richtung,
von der er gekommen war, und als er sich nach
seinem Rößlein umsah und dies in wütendem Tone
zurückverlangte und mit dem Offizier, drohte — da
belehrten ihn einige weitere Hiebe, daß hier kein
Widerstand half. Zerschlagen und matt und heftig
erbost machte er sich auf den Rückweg. Frierend und
hungrig kam er mit blutigen Füßen nach Friedrichs
brück, da hals ihm ein bekannter Bauer mit dem
Nötigsten aus und erquickte den Armen, der nun
seinen Rückweg nach Lichtenau antrat. Unterwegs aus
der stillen, einsamen Chaussee verarbeitete er die
gehabten Eindrücke (!) weiter, in seinem Herzen,
und schmeichelhaft waren seine Gedanken und ab
gestoßenen Worte nicht für die „ritterlichen" Söhne
des großen Zaren: „Die Franzosen waren herrisch
und lebten auf unsere Kosten herrlich; die schönen
Hühner meines Hofes, der stolze Hahn mußten den
Parlez-vous zur Suppe dienen und unser Wein
schmeckte ihnen trefflich, aber sie waren doch mensch
lich, und wenn der junge Apotheker Claus mit
ihnen verhandelte und parlierte, so ließen sie sich
schließlich bedeuten — aber die Kosaken, diese Räu
ber, diese Spitzbuben! Strauchdiebe sind sie samt
und sonders! Und ich Narr reite noch hinter ihnen
her, und meinen schönen Fuchs mit dem guten Reit
zeug haben die Kerle auch! daß sie der Teufel hole!
und das wollen Befreier sein, solche Halunken!
Und was werden sie zu Hause sagen! Wie werde
ich ausgelacht werden! Ich muß mich vom Garten
her ins Haus schleichen, daß mich niemand sieht.
Ein Glück, daß es schon dämmerig wird, wenn
ich heimkomme." — Solche und ähnliche Gedanken
erfüllten sein zorniges Herz; schließlich aber kam
er zum trauten Heim, und da schon die Dunkelheit
angebrochen war, kam er von niemand gesehen in
das Haus, dessen erleuchtete Fenster ihm freundlich
entgegen leuchteten. Und als er eintrat in dem
fremden Anzug und alles berichtete, da weinte die
Mutter, daß man ihrem lieben, guten Jungen so
übel mitgespielt hatte. Aber der alte Vater, ein
trotziger, energischer Mann, trotz seiner 60 Jahre
noch ungebrochen wie eine starke Eiche der nahen
Wälder, tobte über die russischen Räuber, dann aber
schalt er seinen Sohn und warf ihm vor, er habe
sich gewiß ungeschickt und feig benommen, ihm
jelber wäre so etwas sicher nicht passiert. Und je
mehr sich der Sohn verteidigte, um so schärfer
wurden die Vorwürfe des Alten, um so mehr ver
bohrte er sich in die Meinung, daß so etwas nur
einem jungen, unerfahrenen Menschen wie seinem
„Jungen" geschehen könne. Und als'der Sohn im
Eifer der Verteidigung nun gar noch sprach: „Euch
wäre es nicht anders ergangen, Vater" — da brauste
er auf: „Das wollen wir mal sehen", und fest stand
sein Vorsatz, des andern Morgens selbst zu den Russen
zu reiten und Recht für die Beraubung seines
Sohnes zu verlangen. Vergebens stellte ihm sein
Sohn das Gefährliche und voraussichtlich Vergeb
liche eines solchen Unternehmens vor, vergebens
flehte ihn seine Frau, die seinen stolzen und auf
brausenden Sinn kannte, wiederholt an, hier zu
bleiben und zu dem einen Unglück nicht noch ein
neues zu fügen — der Vater blieb fest. Schließlich
brach die Mutter die Unterredung ab mit den
Worten: „Wir können ja morgen früh weiter sehen"
und legte sich ins Bett, sie hoffte auf den Einfluß,
den ein guter Schlaf auf ein erzürntes und er
regtes Gemüt ausübt, und wußte aus Erfahrung,
daß ihr „Alter" schon oft seinen Sinn über Nacht
von selbst geändert hatte.
Diesmal aber war die Rechnung ohne den Wirt
gemacht. Des anderen Morgens beharrte der Alte
noch ebenso energisch auf seinem Plan wie am
Abend vorher. Erneute Vorstellungen, Bitten und
Tränen prallen wirkungslos an dem Hausvater
ab, dessen „Brust mit dreifachem Erz gepanzert"
schien. So mußte man dem Geschick seinen Lauf
lassen. Es wurde unter dumpfem, unheimlichem
Schweigen gefrühstückt, dann verlangte der Alte heftig
nach seinem Schimmel, dessen Putzen und Satteln
auf des jungen Fink Befehl der Knecht recht langsam
betrieben hatte — in der stillen Hoffnung auf eine
Sinnesänderung des Vaters —, das Pferd wurde
endlich vorgeführt, der Vater verabschiedete sich
und tröstete die Seinen noch: „Ihr sollt sehen, ich
bringe den Fuchs wieder mit", und stolz wie ein
Spanier ritt er davon, während der Sohn hinter
ihm her murmelte: „Oder ich treibe den Schimmel
auch noch an die Weide".
Unbeirrt von solchen unehrbietigen Gedanken sei
nes Sprößlings verfolgte der alte Herr die Haupt
straße über Friedrichsbrück, Helsa, Ober- und Nieder
kaufungen nach Kassel. Unangefochten kam er durch
Bettenhausen und gab sich schon den schönsten Hoff
nungen hin, denn in Kassel glaubte er mit Hilfe
eines seiner zahlreichen guten Freunde leichter zu
einem höheren russischen Offizier gelangen und mit
dessen Hilfe eine Bestrafung der gewalttätigen Ko
saken und Rückgabe seines Psereds erwirken zu
können. Aber Träume sind Schäume! und von den
Gedanken bis zur Verwirklichung ist ein weiter
Weg! Am Siechenhos trat ihm ein russischer Posten