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die dies steinerne „Vogelschutzgehölz" bewohnenden
Vögel, die ohne Scheu um und in die Hütte flogen,
vor der ich rastend lag, während ein Bussard im
Schein der Abendsonne hoch oben seine Kreise zog
und ein bunter Wiedehopf von den Berghuten in
den dämmerigen Hochwald flog, durch den das kräf
tige Hämmern eines Schwarzspechtes hallte.
Die sonst überall häufigen Feldlerchen vermißte
ich im „Schwarzen Moor", wo es massenhaft Wiesen
pieper gab. Nur an den Rändern des Gebirges und
in den Tälern war die Haubenlerche zu finden. Ein
sehr bemerkenswerter Brutvogel der Rhön ist die
Wacholderdrossel, die ich in der Nordrhön, aber auch
unweit der Milseburg nistend antraf. Erst vor nicht
langer Zeit ist diese Art von Norden her nach
Deutschland eingewandert und fehlt auch jetzt noch
vielen Gegenden zur Brutzeit völlig. 1920 fand ich
sie zur Fortpflanzungszeit auch bei Hönebach, später
im mittleren Werratal und im Ringgau (nach an
deren brütete sie vereinzelt im Vogelsberg und Tau
nus). Ein wenig bekanntes Tier ist in der Rhön
der Storch; als sich einmal einer vom Werratal
(Vacha?) her nach Roßdorf verflog, wurde er von
der Dorfjugend für eine „Schneegans" gehalten.
Um den arbeitsfreien Sonntag auszunutzen, wan
derte ich oft schon am Sonnabendmittag von Roß
dorf weg, blieb die Nacht zum Sonntag bei den
Heidelerchen und Nachtschwalben in Wald und Moor
und kam erst in der Montagnacht zurück. Meist
ging's über die „Hohe Rhön" und die Bergmoore
nach dem Fuldagebiet, zu den hessischen Vögeln. Be
sonders gern erinnere ich mich einer Wechselpollen
Wanderung zur Milseburg; auf halber Höhe kam mir
ein sehr heftiges Gewitter entgegen. Ich kehrte aber
nicht um, sondern lief, die einzeln stehenden Fichten-
und Laubbaumgruppen vorsichtig meidend, den Berg
hinauf. Als ich nach etwa einer Viertelstunde oben
anlangte, war ich völlig durchnäßt von Schweiß und
Wasser vom Regen, Schnee und Hagel. Kurz vor
mir war der Blitz in eine knorrige'Eiche geschlagen,
das Krachen dieses Donners läßt sich nicht beschrei?-
ben. Mit Kleinigkeiten schien sich das Gewitter nicht
aufhalten zu wollen, gab da und dort einem uralten
Baum einen Blitzdenkzettel, polterte ins Tal, keuchte
und fauchte, prasselte und krachte über die nächste
Höhe und die folgenden Bergzüge und schreckte
Mensch und Tier im Werratal, während über der
Milseburg schon wieder die Sonne vom blanken,
blauen Himmel schien. Von dem Lauf bergan er
schöpft, legte ich mich und meine völlig wasser
gesättigten Sachen möglichst einzeln zum Trocknen
auf den allmählich wieder warm werdenden Heide
boden unterhalb, der Felsklippen zwischen ein paar
junge Kiefern. Aus dem leichten Schlaf, in den mich
eine Heidelerche hineingesungen hatte, weckten mich
— ich weiß nicht, nach wie langer Zeit — die
Worte eines Mädchens, das mit einer fast verzweifeli-
ten Stimme rief: „Wenn ich nur wüßte, wieviel
Grieß ich nehmen muß!" Ich beeilte mich, zunächst
fertig aufzuwachen und mich in meine geographische
und sonstige Lage zu finden, zog mich an und fand
dann, nachdem ich das Kieferndickicht verlassen hatte,
eine Schar wanderfroher Mädels. Als ich erfuhr,
daß sie aus Kassel, also hessische Landsleute waren,
schlug ich ihnen gern vor, ich wollte ihnen den
Grießbrei kochen. Schließlich war man mit meinem
Vorschlag einverstanden. Dann kochte ich (der Jung
geselle!) den angehenden Hausfrauen einen erst
klassigen Grießbrei, eine Kunst, auf die ich mich
dank langjähriger Wanderpraxis gut verstehe. Natür
lich mußte ich dann mitessen, und ich hab's gern
getan, zumal der dazu (von dem Mädchen, dessen
Ausruf mich weckte) gereichte Himbeersaft nicht in
einer chemischen Fabrik, sondern in wirklichen hes
sischen Waldhimbeeren gereift war; und dann ist für
mich Grießbrei mit Saft dasselbe, was für ein
Rotkehlchen ein Mehlwurm ist: ein Leibgericht.
Mitten in unserer Unterhaltung riß ein gellender
Vogelschrei unsere Blicke empor zu der grünumwal-
deten felsigen Milseburg, wo ich in dem unerwarteten
Rufer die geschmeidige, kraftvolle Gestalt eines
Wanderfalken erkannte. Wie ein beschwingter Pfeil
sauste er an den Schroffen, die wohl an unzugäng
licher Stelle seinen Horst bargen, her; ich zeigte
meinen Gefährtinnen den seltenen Vogelrecken, den
Falco peregrinus, der ja auch ein „Wander"-Vogel
ist. Dieser Wanderfalk brachte das Gespräch auf
das Gebiet der heimischen Natur, von der ich da oben
auf der Bergmatte einer aufmerksamen Zuhörer
schaft noch mancherlei erzählte. Als Honorar für
meine Grießkochkunst erbat ich mir von den vier
zehnjährigen Mädels dann noch ein paar hessische
Volkslieder, die gern gewährt wurden. Als sich nach
dem Abschied unsere Wege west- und ostwärts trenn
ten, klangen die Berge der Rhön wieder vom
jugendfrohen Sang, und der Wanderfalke setzte seinen
selbstbewußten Schrei als Ausrufungszeichen hinter
den letzten Vers, der an mein Ohr drang:
„Ich kann es nimmermehr vergessen,
Das teure Land der blinden Reffen!!!"
Kraut und Rüben.
Erinnerungen eines Marburger Teutonen aus den Jahren 1865—186?. Von Ph. Braun.
(Fortsetzung.)
Seitdem 1866 Marburg aufhörte, kurhessische Neuankömmlingen — aber auch mancher aufgeblasene
Landesuniversität zu sein und viele Zuhörer von den Mensch, der da glaubte, er müsse den Hessen die rich-
altpreußischen Hochschulen nach Marburg strömten, tige Art zeigen. Vielfach zeigte sich die alberne Auf
wurde alles vornehmer, kostspieliger, aber nicht ge- geblasenheit dieser Jünglinge darin, daß sie sich nicht
mütlicher. Mancher liebe Geselle war unter den selber die Haare kämmten, sondern jeden Morgen