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kundlich noch nicht so -gut durchforscht und wird nicht
von so unzähligen „Touristen" heimgesucht, wie der
jenseits der Werra liegende Thüringer Wald. Das
letztere ist für den Feld-, Wald- und Wiesen
ornithologen sehr wichtig; denn nichts stört die
Vögel und damit auch ihn so sehr, wie der Lärm wil
der Spaziergänger, die „sich aus die Natur wirken
lassen". Besonders in der „Hohen Rhön" wurde ich
fast nie durch landfremde unangenehme Vertreter
der Gattung „Mensch" im Beobachten gestört. Das
waren dann recht ungetrübte Forscherfreuden für
mich, wenn ich die gefiederten Bewohner der weiten
Bergwiesen und Huten, der Moore und Wälder be
lauschte. Meine Rhön-Studien wurden sehr begün
stigt durch die viele freie Zeit, die mir meine da
malige Tätigkeit als Hauslehrer in Roßdorf (Rhön)
ließ. Die Gegend ist ausgezeichnet durch die vielen
Basaltberge, die sich aus dem Kalkboden erheben,
sowie einige sehr tiefe Kraterseen von grünlicher
Wasserfärbung, in denen Barsche, Hechte und andere
Fische leben. Ein solches Gewässer nennt man
dort eine „Kutte"; die Roßdorfer Kutte ist kleiner
als die Bernshäuser Kutte und verleiht dem hinter
dem Berlepsch'schen Schloß gelegenen Park einen
eigenartigen Reiz. Eine reiche Vogelwelt bevölkert
den von Obstanlagen und Viehkoppeln umgebenen
Park, der mit seinen dichten und hohen Gehölz
gruppen, dem See, den von Rosen- und Dornhecken
eingeschlossenen Schonungen und den alten Kastanien
alleen den leichtbeschwingten Sängern Brutplätze
aller Art bietet. Neben den auch andernorts häu
figen Kleinvögeln kommen als bemerkenswerte Brut
gäste hier vor: Kernbeißer, Trauerfliegenschnäpper,
Kleiber, beide Baumläuferarten, Schwanz- und
Haubenmeise, -großer und kleiner Buntspecht und die
zwei Goldhähnchen. Erlenzeisige haben dort auch ge
brütet; Anfang Juni 1920 fütterte ein Paar dieser
sonst als Brutvögel sehr spärlich auftretenden Be
wohner gebirgiger; Nadelwälder im Park seine flüggen
Jungen. Der hier auch brütende Girlitz ist in der
Rhön selten; ich sah ihn in Roßdorf, Völkershausen,
Stadtlengsfeld und Tann und hörte noch am 24. Ok
tober einen längere Zeit auf einer einzelnen Buche
bei Unterweid singen; in Roßdorf waren die letzten
am 16. Oktober 1920. Den Winter über vermißte
ich die wärmeliebende Art, für die die milden Obst
baugegenden des Rheingebietes ein Dorado sind, in
der rauhen Rhön, während ich in Marburg z. B.
am folgenden Neujahrstag welche singen hörte (der
Girlitz überwintert aber auch im Lahntal nur aus
nahmsweise und fehlte z.B. 1922 bis zum 10. März).
Der Girlitz dehnt (wie manche anderen Vögel) sein
Brutgebiet immer mehr aus, während er früher
vor allem im Süden beheimatet war; und ich kenne
auch jetzt noch weite Strecken in Hessen, denen dieser
mit dem Kanarienvogel nahe verwandte Fink als
Brutvogel noch ganz fehlt. Einige meiner Mib-
arbeiter erzählten mir, daß der, Girlitz erst in den
letzten Jahren in ihren Orten einwanderte, wo er
durch seinen klirrenden, im Flug, oder von erhöhtem
Sitz aus vorgetragenen Singsang gleich auffiel.
Auf dem Durchzug sang in Roßdorf auch mal eine
Nachtigall; sonst traf ich diesen Sänger nicht in der
Rhön. Oster gelangten Heidelerchen, die lieblichsten
Singvögel einsamer Waldberge, und Fichtenkreuz
schnäbel zur Beobachtung. An Neuntötern fehlt es
auch nicht in der Rhön und die glücklicherweise noch
vielerorts vorhandenen dichten Feldhecken bieten auch
dem großen Raubwürger Nistplätze, hie und da sogar
der Elster, die in Hessen immer seltener wird, ja
streckenweise schon ganz ausgestorben ist. Neben dem
Mäusebussard sind Sperber und Turmfalk die ver
breitetsten Raubvögel; ein Falkenpaar horstete ailf
einer riesigen Edeltanne am Ufer der Roßdorfer
Kutte. Dort freute ich mich oft an seinen schönen
Flugspielen, ebenso abends an dem hallenden Ruf
der Waldkäuze, die hier ihren heiser schreienden
Jungen Mäuse zutrugen (ihretwegen wurde ich mal
auf spätem Beobachtungsgang vom Flurfchütz für
einen Rinderdieb gehalten!). Gelegentlich zeigen
sich auch Bekassinen, Wasserhühner, Enten, Zwerg-
taucher und Flußuferläüfer an der Kutte, während
grünfüßige Teichhühner, buntschillernde Eisvögel
und anmutige Wasserschmätzer die Rhönbäche (z. B.
Ulster) beleben. Sehr überrascht war ich, als ich
zwischen Tann und Hilders die mattköpfige Weiden
meise durch Beobachtung der von ihren Eltern ge
fütterten Jungtiere als Brutvogel feststellte. Diese
westliche Art wurde in Hessen bisher selten nach
gewiesen und zwar besonders für Rheinhessen (mehr
fach ; die dortigen Funde von Otto Kleinschmidt führ
ten zur Wiederentdeckung dieser lange Zeit in Ver
gessenheit geratenen Art, die oft mit der gemeinen
Sumpf- oder Nonnenmeise verwechselt wird). Ebenso
bemerkenswert ist das von mir festgestellte Brut
vorkommen des Heuschreckensängers bei Roßdorf;
auch bei Bubenbad (östlich der Milseburg) hörte ich
die an Grillensirren erinnernden Strophen dieses
„Schwirls", den ich früher bereits für andere hes
sische Orte nachwies: Eschwege (1909), Fritzlar
(1919), Altmorschen (1923); auf mehreren Beob
achtungsgängen der „Biologischen Vereinigung für
Hessen" hörten wir 1922 und 1923 die Art bei
Marburg, wo der Schwirl bereits Anfang der 90er
Jahre von Hartert und Kleinschmidt festgestellt war,
in der Zwischenzeit aber offenbar fehlte. Er wurde
ferner gefunden in Kassel (von O. Schnurre: 1914,
1918), Hersfeld (O. Büsing: 1915, 16), in der
Wetterau und dem Rheingebiet (öfters).
Ein Charaktervogel der vielen hochgelegenen Huten
ist der Steinschmätzer, dem die an den Gemarkungs
grenzen aufgeschichteten Steinwälle Sitz- und Nist
gelegenheit bieten. In dem Schutzhüttchen auf dem
„Ellenbogen" hing ein Ausruf zum Bau eines „Denk
mals der Namenlosen", das in Form einer Mauer
aus den über die Huten verstreuten Steinblöcken um
die Hütte errichtet werden sollte. In dem bescheide
nen Steinhaufen, der den Anfang dieses Denkmals
darstellte, hatte ein Paar Steinschmätzer sein Nest
gebaut, was meinen Widerwillen gegen Gedenk
steine soweit abschwächte, daß ich auch einen dicken
Basaltklotz herbeischleppte; denn ich freute mich über