Full text: Hessenland (38.1926)

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kundlich noch nicht so -gut durchforscht und wird nicht 
von so unzähligen „Touristen" heimgesucht, wie der 
jenseits der Werra liegende Thüringer Wald. Das 
letztere ist für den Feld-, Wald- und Wiesen 
ornithologen sehr wichtig; denn nichts stört die 
Vögel und damit auch ihn so sehr, wie der Lärm wil 
der Spaziergänger, die „sich aus die Natur wirken 
lassen". Besonders in der „Hohen Rhön" wurde ich 
fast nie durch landfremde unangenehme Vertreter 
der Gattung „Mensch" im Beobachten gestört. Das 
waren dann recht ungetrübte Forscherfreuden für 
mich, wenn ich die gefiederten Bewohner der weiten 
Bergwiesen und Huten, der Moore und Wälder be 
lauschte. Meine Rhön-Studien wurden sehr begün 
stigt durch die viele freie Zeit, die mir meine da 
malige Tätigkeit als Hauslehrer in Roßdorf (Rhön) 
ließ. Die Gegend ist ausgezeichnet durch die vielen 
Basaltberge, die sich aus dem Kalkboden erheben, 
sowie einige sehr tiefe Kraterseen von grünlicher 
Wasserfärbung, in denen Barsche, Hechte und andere 
Fische leben. Ein solches Gewässer nennt man 
dort eine „Kutte"; die Roßdorfer Kutte ist kleiner 
als die Bernshäuser Kutte und verleiht dem hinter 
dem Berlepsch'schen Schloß gelegenen Park einen 
eigenartigen Reiz. Eine reiche Vogelwelt bevölkert 
den von Obstanlagen und Viehkoppeln umgebenen 
Park, der mit seinen dichten und hohen Gehölz 
gruppen, dem See, den von Rosen- und Dornhecken 
eingeschlossenen Schonungen und den alten Kastanien 
alleen den leichtbeschwingten Sängern Brutplätze 
aller Art bietet. Neben den auch andernorts häu 
figen Kleinvögeln kommen als bemerkenswerte Brut 
gäste hier vor: Kernbeißer, Trauerfliegenschnäpper, 
Kleiber, beide Baumläuferarten, Schwanz- und 
Haubenmeise, -großer und kleiner Buntspecht und die 
zwei Goldhähnchen. Erlenzeisige haben dort auch ge 
brütet; Anfang Juni 1920 fütterte ein Paar dieser 
sonst als Brutvögel sehr spärlich auftretenden Be 
wohner gebirgiger; Nadelwälder im Park seine flüggen 
Jungen. Der hier auch brütende Girlitz ist in der 
Rhön selten; ich sah ihn in Roßdorf, Völkershausen, 
Stadtlengsfeld und Tann und hörte noch am 24. Ok 
tober einen längere Zeit auf einer einzelnen Buche 
bei Unterweid singen; in Roßdorf waren die letzten 
am 16. Oktober 1920. Den Winter über vermißte 
ich die wärmeliebende Art, für die die milden Obst 
baugegenden des Rheingebietes ein Dorado sind, in 
der rauhen Rhön, während ich in Marburg z. B. 
am folgenden Neujahrstag welche singen hörte (der 
Girlitz überwintert aber auch im Lahntal nur aus 
nahmsweise und fehlte z.B. 1922 bis zum 10. März). 
Der Girlitz dehnt (wie manche anderen Vögel) sein 
Brutgebiet immer mehr aus, während er früher 
vor allem im Süden beheimatet war; und ich kenne 
auch jetzt noch weite Strecken in Hessen, denen dieser 
mit dem Kanarienvogel nahe verwandte Fink als 
Brutvogel noch ganz fehlt. Einige meiner Mib- 
arbeiter erzählten mir, daß der, Girlitz erst in den 
letzten Jahren in ihren Orten einwanderte, wo er 
durch seinen klirrenden, im Flug, oder von erhöhtem 
Sitz aus vorgetragenen Singsang gleich auffiel. 
Auf dem Durchzug sang in Roßdorf auch mal eine 
Nachtigall; sonst traf ich diesen Sänger nicht in der 
Rhön. Oster gelangten Heidelerchen, die lieblichsten 
Singvögel einsamer Waldberge, und Fichtenkreuz 
schnäbel zur Beobachtung. An Neuntötern fehlt es 
auch nicht in der Rhön und die glücklicherweise noch 
vielerorts vorhandenen dichten Feldhecken bieten auch 
dem großen Raubwürger Nistplätze, hie und da sogar 
der Elster, die in Hessen immer seltener wird, ja 
streckenweise schon ganz ausgestorben ist. Neben dem 
Mäusebussard sind Sperber und Turmfalk die ver 
breitetsten Raubvögel; ein Falkenpaar horstete ailf 
einer riesigen Edeltanne am Ufer der Roßdorfer 
Kutte. Dort freute ich mich oft an seinen schönen 
Flugspielen, ebenso abends an dem hallenden Ruf 
der Waldkäuze, die hier ihren heiser schreienden 
Jungen Mäuse zutrugen (ihretwegen wurde ich mal 
auf spätem Beobachtungsgang vom Flurfchütz für 
einen Rinderdieb gehalten!). Gelegentlich zeigen 
sich auch Bekassinen, Wasserhühner, Enten, Zwerg- 
taucher und Flußuferläüfer an der Kutte, während 
grünfüßige Teichhühner, buntschillernde Eisvögel 
und anmutige Wasserschmätzer die Rhönbäche (z. B. 
Ulster) beleben. Sehr überrascht war ich, als ich 
zwischen Tann und Hilders die mattköpfige Weiden 
meise durch Beobachtung der von ihren Eltern ge 
fütterten Jungtiere als Brutvogel feststellte. Diese 
westliche Art wurde in Hessen bisher selten nach 
gewiesen und zwar besonders für Rheinhessen (mehr 
fach ; die dortigen Funde von Otto Kleinschmidt führ 
ten zur Wiederentdeckung dieser lange Zeit in Ver 
gessenheit geratenen Art, die oft mit der gemeinen 
Sumpf- oder Nonnenmeise verwechselt wird). Ebenso 
bemerkenswert ist das von mir festgestellte Brut 
vorkommen des Heuschreckensängers bei Roßdorf; 
auch bei Bubenbad (östlich der Milseburg) hörte ich 
die an Grillensirren erinnernden Strophen dieses 
„Schwirls", den ich früher bereits für andere hes 
sische Orte nachwies: Eschwege (1909), Fritzlar 
(1919), Altmorschen (1923); auf mehreren Beob 
achtungsgängen der „Biologischen Vereinigung für 
Hessen" hörten wir 1922 und 1923 die Art bei 
Marburg, wo der Schwirl bereits Anfang der 90er 
Jahre von Hartert und Kleinschmidt festgestellt war, 
in der Zwischenzeit aber offenbar fehlte. Er wurde 
ferner gefunden in Kassel (von O. Schnurre: 1914, 
1918), Hersfeld (O. Büsing: 1915, 16), in der 
Wetterau und dem Rheingebiet (öfters). 
Ein Charaktervogel der vielen hochgelegenen Huten 
ist der Steinschmätzer, dem die an den Gemarkungs 
grenzen aufgeschichteten Steinwälle Sitz- und Nist 
gelegenheit bieten. In dem Schutzhüttchen auf dem 
„Ellenbogen" hing ein Ausruf zum Bau eines „Denk 
mals der Namenlosen", das in Form einer Mauer 
aus den über die Huten verstreuten Steinblöcken um 
die Hütte errichtet werden sollte. In dem bescheide 
nen Steinhaufen, der den Anfang dieses Denkmals 
darstellte, hatte ein Paar Steinschmätzer sein Nest 
gebaut, was meinen Widerwillen gegen Gedenk 
steine soweit abschwächte, daß ich auch einen dicken 
Basaltklotz herbeischleppte; denn ich freute mich über
	        
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