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fehden sind. Dennoch' weiß Grimm: „Es gibt
ein stummes Geschehen bei den Menschen, dein
kein Stift folgen kann. Ein Schieben und Ver
schieben, ein Zexflattern und Sammeln, ein
Lösen und Knüpfen der Schicksalskräfte in den
Seelen, tiefer als die tiefsten Grübler graben,
und langsamer, als die vorsichtigsten Gedan
ken sich reihen können."
Der stärkste Beweis für die erstaunliche
Einfühlung Grimms in das Wesen Südafri
kas ist zweifellos die märchenhaft anmutende
und doch wieder ganz handfeste „Geschichte dorr
Mkulu und £nii und den fünf guten Leuten
des zahmen Tiervolks", worin, durchaus in
der Perspektive des Denkens und Fühlens
der Eingeborenen, erzählt wird, wie ein Busch
mann sich aufmacht, um den aus Bosheit an
die Engländer verratenen, nun so vermißten
Hausgenossen, einen verkommenen Deutschen,
in Begleitung eines Hundes, eines Affen,
einer Meerkatze, eines Raben und ciuc§ Kra
nichs vom Kommandanten eines weit entfern
ten Gefangenenlagers — natürlich ergebnis
los — freizubitten. Die auch dein Umfange
nach erheblichste Steigerung der tragischen Epik
erreicht Grimm in der „Olewagen Saga", die
das typische Schicksal des von den Engländern,
wiewohl inr Einzelfalle unbewußt, verfolgten
Burengeschlechts gestaltet, das, nach wieder
holter Flucht vor dem Krieg und Aufgabe der
Siedlung, auf Vater und Tochter dezimiert,
im Endkampf zusammenbricht. Es ist nicht
ein Heroismus der politischen Gesinnung, dem
hier das Lied — im Rhythmus einer feier
lichen, wiewohl immer nur vom Zug, vorn
Bauen, vom Vieh, vom Verlust und vom Ge
winn redenden Prosa — gesungen wird, son
dern das Heldentum einer Beharrlichkeit, die
um des nüchternsten, privatesten Zieles willen
allen Schickfalsschlügen trotzt und immer wie
der von vorne beginnt, bis es eben gänzlich
zu Ende ist und nichts mehr bleibt als ein un
seliges Sterben, dessen fast wortloser Jammer
tiefer ins Herz greift als die pompösesten
Klagegesänge. . .
Hans Grimm hat noch „Die Olsucher von
Vom Kasseler Schauspiel.
Der weiland Theaterdirektor Goethe hat mit dem
leichten Bölkchen des Weimarer Musentempels manchen
Ärger gehabt. Er kannte die Psyche seiner Schauspieler
und darum hat er sie nie im eigentlichen Sinne auto-
kratisch behandelt, er ehrte in ihnen die Künstler.
Ganz anders ist seine Stellung dem damaligen Pub
likum gegenüber. Die Urteilslosigkeit der Menge bereitet
Duala" geschrieben, ein Buch, worin er im
Auftrag der deutschen Regierung und auf
Grulld objektiven Studiums die Zustände im
französischen Konzentrationslager von Abo-
tney ^Ost-Afrika) schildert, und „Afrikafahrt
West", eine kulturpolitische Monographie,
die den Auswanderer vor allem auf den la
tenten deutsch-britischen Gegensatz in Afrika
vorbereiten soll. Diese Arbeiten haben eine
vorwiegend zeitliche und allenfalls geschichtliche
Bedeutung. Das Gleiche gilt von den unter
den: Titel „Erlebte Politik" gesammelten Auf
sätzen, die, ohne imperialistisch zu sein, beu
Anspruch Deutschlands auf einen seiner Be
völkerungsbewegung entsprechenden „Platz an
der Sonne" betätigen. Dieser Tendenz er
mangelt auch nicht der Romail „Volk ohne
Raum", der, wie der Dichter selbst ankündigt,
das enthält, was einer im Auslande unb- in
der deutschen Kolonie erfuhr für sein Heimat-
I entb.
Die Reflexion ist aber nicht das, was im
Schaffeir Hans Grimms entscheidende Antriebe
gibt. Deshalb ändern derartige Veröffent
lichungen nichts an der historischen Be
tz e u t u n g dieses he s fischen Dichters
für das deutsche Geistesleben, einer Bedeutung,
die schon jetzt formuliert werden kann, und
zwar in dem Sinne, daß Hans Grimm zuerst
und gleich mit der Kraft einer als klassisch
anzusprechenden Reife der Gestaltung inte des
Erlebens die südafrikanische Welt dem deut
schen Geist erschlossen hat. Mit dieser Tat
zugleich rückte er in die erste Reihe nicht nur
der zeitgenössischen, sondern der deutschen Er
zähler von Rang schlechthin, insonderheit jener
Gattung, die in Heinrich von Kleist, dem
Novellisten, ein geschichtliches Vorbild erblickt,
ohne jedoch an dessen Problematik teilzuhaben.
Aber auch für Grimm ist das schöpferische Tun
ein Kampf, ein Jakobsringen um den Segen
einer höheren Gewalt, von dem zuletzt doch
alles Gelingen abhängt. Daß er dies erkannt
und daraus den Willen zur Demut gewonnen
hat, läßt seine Leistung in um so hellerem Licht
erscheinen.
ihm kaum Verdruß, eher hat er für das vielköpfige
Ungeheuer gesunde Verachtung. „Das Publikum will
ein für alle Male determiniert sein und findet sich bei
aller lebhafter Opposition doch zuletzt in die Sache."
Wenn er dem Geschmack der Zuschauer folgen ivollte,
konnte er jeden Abend Kotzebue aufführen; so zwang
er sie zu Besserem und Höherem in der Kunst, nötigte