Full text: Hessenland (37.1925)

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Etwa 8 bis 14 Tagen* vor Bechstadts Tod 
fand eine ähnliche Empfehlung statt, die für 
die Beurtheilung des Falles von großer Er 
heblichkeit ist. Als nemlich Bechstädt Sr. 5)o- 
heit dem Kurprinzen ein Pensions-Gesuch eines 
fremden verabschiedeten Bedienten überbringt, 
ergreift er diese Gelegenheit, um Se. Hoheit 
den Kurprinzen darum zu bitten, nach seinem 
Tode doch bestens für seine Frau und Kinder 
zu sorgen. Dieses .Gesuch wurde von Bechstädt 
so dringend und sonderbar vorgetragen, daß 
Se. Hoheit gleich damals diesen Vorgang selt 
sam und befremdlich gefunden. 
Es scheint aber auch, daß selbst der Ort und 
die Zeit der Vergiftung mit dem Zwecke jener 
Empfehlung im genauesten Zusammenhange 
gestanden habe. Denn abgesehen davoll, daß 
eine, im rauschenden Getümmel mehrerer hun 
dert maskirten Personell begangene Selbst 
vergiftung liicht leicht auszumitteln stand; so 
befand sich auch Bechstädt zur Zeit seiner Ver 
giftung im wirklichen Dienste seines höchsten 
Herrn und um so mehr durste er von Höchst- 
dessen Großmuth und Menschenliebe eine Ver 
sorgung seiner zurückgelassenen Familie mit 
Zuversicht erwarten. 
Für die hier ausgesprochene Ansicht der Sache 
sprechen aber auch noch mehrere andere Gründe. 
Zuförderst nemlich muß man aus der außer 
ordentlich großen Masse des bey Bechstädt ge 
fundenen Giftes nach den Regeln der gericht 
lichen Arzneiwissenschaft auf eine Selbstver 
giftung schließen; und weiln gleich nicht ans 
gemittelt werden können, ob derselbe im Besitze 
voll Gift gewesen; so ist es doch einem, all sich 
unverdächtigen Mcnscheil durchaus nicht schwer, 
sich unter diesem oder jenem Vorwände Gift 
zu verschaffen. Überdcm konnte Bechstädt sich 
dieses Gift schon vor Jahren, vielleicht im 
Auslande, allgeschafft haben. 
Daß sodann Bechstädt das Gift nicht in dem 
einzigen Glase Grog, welches er aus dem Balle 
getrunken haben will, zu sich genommen habe, 
ist zwar schon oben dargethan worden; alleill 
es verdient hier noch weiter bemerkt zu werden: 
daß an dem Gelde, welches er mit auf den 
Maskenball genommen 4 oder 6gg: bei seiner 
Zuhausekunft gefehlt haben und daß er so mit 
eine Ausgabe gemacht hat, die er, gegen seine 
sonstige Gewohnheit, feiner Ehefrau ver 
schwiegen. 
Vorzüglich aber ist es die eigne Erzählung 
und das eigne Benehmen des Bechstädt, welches 
für einen begangeneil Selbstmord spricht. 
* sie! 
Nimmt man nemlich für einen Augenblick 
an, daß sich der Vorgang auf dem Masken 
balle wirklich so ereignet habe, wie ihn Bech- 
stüdt dem Leibchirurgus Bänniler erzählt hat; 
so läßt sich das nachfolgende Betragen des 
Bechstädt auf eine vernünftige Weise überall 
lücht erklären. Denn wenn einem, ilur einiger 
maßen vernünftigen Menschen voll einem Un- 
bekanllten ohne allen denkbaren Grund ein 
Getränke gereicht wird, nach dessen Genuß er 
sogleich elend wird, S ch m e r z e n empfin 
det und sich erbrechen muß; wenn eben 
dieser Mensch den Gedanken fassen kann, daß 
er mit Rattenpulver vergiftet worden sey; 
so mußte er, in Folge des mächtigen, allen 
vernünftigen Geschöpfen einwohnenden Triebes 
der Selbsterhaltullg, alle und jede Mittel augen 
blicklich zur Hülfe nehmen, die ihm zu seiner 
Rettung dienlich erscheinen mochten. 
Das Mittel, welches unter solchen Umständen 
einen* jeden Menschen am nächsten liegt, ist 
die sofortige Mittheilung des Vorganges an 
andere Anwesende und die Bitte um Beystand 
und Hülfe. 
Statt alles dessen schleicht Bechstädt unter 
Schmerzen still und unbemerkt vom Masken 
ball hinweg, und statt da er zu hause kommt, 
seiner Ehefrau sogleich dasjenige mitzutheilen, 
was er fünf Stunden später, da ihn: der Tod 
schon nahe stand, dem Leibchirurgus Bäumler 
erzählte, unterhält er diese mit Kranken 
geschichten, die nicht dazu geeignet waren, eine 
ernsthafte Besorgniß zu erregen. Zuerst sind 
es Magenschmerzen, die er empfindet, dann 
hat er sich durch das Erbrechen Schaden im 
Magen gethan und endlich ist es nur Ver- 
kültung, die sich aus den Magen geworfen. 
Auf die Frage: was er aus dem Ball getrunken 
habe, gibt er seiner Frau eine ausweichende 
Antwort, und nachdem er unter den furcht 
barsten Schmerzen verschiedentlich versichert: 
daß ihm der genossene Thee geholfen zu haben 
scheine und daß es sich nun nach und nach 
wieder geben werde, redet er sie nach Stunden 
langem Zaudern mit den Worten an: Gretgen! 
wie sehe ich aus? ich glaube ich muß 
sterben! Allein auch jetzt noch erwähnt er 
nichts, von Grog, Maske und Gift, wie es 
später gegen den Leibchirurgus Bäumler ge 
schehen. 
So, wie hier erwähnt, handelt nur ein 
Mensch, der absichtlich und mit dem festesten 
Willen den Tod sucht; und wenn die geführte 
* sie!
	        

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